Jugend forscht sich mit Algen ins All
Mit der Erkundung nur des Planeten Erde gibt die zivilisierte Menschheit sich schon lange nicht mehr zufrieden. Längst haben wir ein »internationales Großlabor« – die ISS – in der beinahe 400 Kilometer hohen Erdumlaufbahn und wollen auch die Sterne und Planeten erforschen, die sich nicht in »unmittelbarer Nachbarschaft« befinden. Ein solches Unterfangen ist mit einigen Schwierigkeiten verbunden.
»Bemannte Erkundungsmissionen im Weltall erfordern beispielsweise den Transport von hinreichend Sauerstoff, der bislang in Tanks mitgeführt wird«, erklärt Ulrike Geißler. Auf längeren Raumfahrten könnte nicht schlicht mehr Sauerstoff mitgeführt werden, da dies die Gesamtlast des Raumschiffes erhöhte und den Treibstoffverbrauch steigen ließe.
»MINToring«
Gemeinsam haben sich die Schüler Lucas Braune, Julia Häring, Valeria Pantusenko und die inzwischen an der MLU Biochemie studierende Ulrike Geißler daher überlegt, platzsparende und effiziente pflanzliche Einzeller ins Feld – oder eher: ins All – zu führen.
Die Idee, sich die Photosynthese zunutze zu machen, ist im Rahmen des Programms »MINToring – Studierende begleiten Schülerinnen und Schüler«, einer gemeinsamen Initiative der Stiftung der Deutschen Wirtschaft e. V. (SDW) und des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF), entstanden. Innerhalb von drei Jahren soll Jugendlichen mit Vorträgen, Workshops, eigenen Forschungsprojekten und durch Betreuung im ersten Studienjahr eine praxisnahe Studien- und Berufsorientierung in den Bereichen Mathematik, Informatik, Naturwissenschaften und Technik (MINT) geboten werden.
Der Dresdner Zwölftklässler Moritz Herzog, dessen Interesse an dem Thema durch einen Vortrag im Rahmen des MINToring geweckt wurde, hat sich ihnen angeschlossen. Gemeinsam mit Ulrike Geißler und Valeria Pantusenko, die sich zur Weiterverfolgung des Projektes über das MINToring hinaus entschlossen haben, tritt er nun beim »Jugend forscht«-Wettbewerb an.
Robuste Einzeller gesucht
»Einzellige Pflanzen wie Mikroalgen teilen sich schnell und bauen so in kurzer Zeit viel Biomasse auf, die ihrerseits durch das Betreiben von Photosynthese verhältnismäßig viel Sauerstoff freisetzen kann«, weiß Ulrike. Das Problem ist damit allerdings nicht gelöst. »Im All herrscht eine hohe Strahlung und extreme Kälte, auf die die unangepassten Mikroalgen natürlich empfindlich reagieren. Sie würden schnell absterben«, erklärt Moritz.
Ausbremsen konnten die verschärften Bedingungen die Jungforscher jedoch keineswegs. »Auch auf der Erde gibt es kalte Gebiete mit hoher Strahlenbelastung, etwa die Antarktis oder Hochgebirge«, so Ulrike. Dort existieren Algenarten, die dem Strahlenstress und niedrigen Temperaturen zwangsläufig besser gewachsen sind.
Für das neugierige MINToring-Team galt es also, solche stress-toleranteren Algenarten ausfindig zu machen und herauszufinden, ob eine dieser Arten auf zukünftigen Raumfahrten als Sauerstoff-Produzent dienen kann.
Die dafür notwendigen Experimente konnten die MINToring-Teilnehmer dank der Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Luft- und Raumfahrt (DLR) und der Unterstützung vor Ort durch die Heinz Nixdorf Stiftung am Institut für Pflanzenphysiologie der MLU in der Arbeitsgruppe von Prof. Johanningmeier in Angriff nehmen, wo Thomas Beer, Doktorand am Institut, ihnen von Anfang an mit Rat und Tat zur Seite stand.
Bengalrose und UV-Licht
»Wir mussten uns zunächst überlegen, wie wir die Weltraumatmosphäre simulieren können«, erzählt Ulrike. »Zu berücksichtigen sind dabei mehrere Faktoren, neben Strahlung und Kälte auch der Lichteinfall.«
»Die ISS benötigt 90 Minuten, um die Welt zu umrunden, sodass folglich auch ein ganz anderer Lichtrhythmus herrscht«, ergänzt Moritz. Man kann es sich ausmalen: 16 Mal Sonnenauf- und Sonnenuntergang täglich – das mag so manchen Biorhythmus stören.
Die Strahlung lässt sich mithilfe eines Farbstoffs simulieren: »Rose Bengal setzt unter Lichteinfall Sauerstoffradikale frei, die DNS, Proteine und Lipide schädigen. Diese Sauerstoffradikale werden auch durch die Weltraumstrahlung erzeugt, sodass Rose Bengal sich also gut zur Simulation eignet«, erklärt Ulrike.
Etliche Monate lang haben sie daher in einzelnen Versuchsreihen im Labor drei Algenarten – zwei aus Australien und eine alpine Schneealge – und eine weitere Alge als Referenzstamm sowohl in Petrischalen als auch in großen Kolben in einer Kniese-Apparatur zum einen verschiedenen Mengen des Farbstoffs Bengalrosa, zum anderen verschieden langer und intensiver UV-Bestrahlung ausgesetzt.
Darüber hinaus haben sie sogenannte »Mixed Cultures« hergestellt und untersucht, wie sich die Algen unter den Stressbedingungen in Konkurrenz zueinander verhalten.
Nach zahllosen Experimenten, Messungen von Biomasse, Sauerstoff-Produktions-Effizienz und Untersuchungen von DNS sollten sie fündig werden: Die südaustralische Alge Scenedesmus vacuolatus zeigte sich beim Plattentest mit Abstand am resistentesten gegen Rose Bengal und wäre daher auch für weitere Untersuchungen auf der Raumstation ISS geeignet, die sogar angedacht sind.
Ganz nebenbei …
Wer meint, ein solcher Aufwand lasse sich nicht mit dem Schul- oder Studienalltag vereinen, irrt. »Die Arbeit kostete mich etwa zwei bis drei Stunden in der Woche und ließ sich gut in meinen Alltag integrieren, da ich ohnehin in der Nähe studiere«, kann Ulrike beruhigen. »Großkampftage« wurden auf Wochenenden gelegt, sodass auch Moritz aus Dresden anreisen und mitwirken konnte. Mentor Thomas Beer übernahm die alltägliche Fürsorge für die Einzeller, die sich direkt an seinem Arbeitsplatz befanden.
Mit diesen Ergebnissen in der Tasche müssen sich Ulrike Geißler, Valeria Pantusenko und Moritz Herzog morgen in der Hallorenfabrik beim ersten von drei in Sachsen-Anhalt stattfindenden regionalen Wettbewerbsrunden der Konkurrenz stellen. Können sie auf regionaler Ebene mit ihrem Projekt überzeugen, steht ihnen Ende März die Teilnahme am Landeswettbewerb bevor und, sofern sie auch diesen meistern, im Mai das große 47. Bundesfinale in Erfurt.
Was sie gewinnen können? »Ehrlich gesagt wissen wir das gar nicht. Uns macht die Forschung einfach Spaß.«