Wanderndes Natrium
95 Prozent der installierten Solarmodule in Deutschland basieren auf kristallinem Silizium. In den letzten Jahren wird verstärkt an Alternativen geforscht, die nachhaltiger hergestellt, flexibler eingesetzt und umweltfreundlicher recycelt werden können. Eine dieser Alternativen sind sogenannte Dünnschichtsolarzellen, bei denen mehrere Lagen verschiedener Materialien miteinander kombiniert werden. „Diese Schichten werden direkt auf einen Träger aufgedampft, was die Herstellungskosten gegenüber klassischen Siliziumzellen reduzieren könnte“, sagt Prof. Dr. Roland Scheer, Leiter der Arbeitsgruppe Photovoltaik an der MLU. „Außerdem sind Dünnschichtmodule sehr leicht und können als biegsame Folien produziert werden, was ihr Einsatzspektrum deutlich erweitert.“
Die Arbeitsgruppe um Roland Scheer erforscht unter anderem Module, bei denen die Absorberschicht – also jener Bereich, in dem Sonnenenergie in elektrischen Strom umgewandelt wird – aus Kupfer, Indium, Gallium und Selen (CIGS) besteht. Derartige Solarmodule werden bereits industriell gefertigt. Dabei hat sich ein Verfahren etabliert, bei dem die CIGS-Legierung unter Zugabe von Natrium aufgebracht wird. Das Natrium wirkt als Katalysator für ein kontrolliertes Wachstum der Legierung und sorgt für eine höhere Konzentration von Ladungsträgern. Gegenüber vergleichbaren Dünnschichtmodulen kann die Natriumdotierung die Effizienz um bis zu 15 Prozent relativ steigern – im Ringen um optimierte Wirkungsgrade ein beachtlicher Zuwachs.
Allerdings hat das Photovoltaik-Team herausgefunden, dass eben jener Katalysator einen Teil der gewonnenen Effizienz wieder zunichtemachen kann. Scheer: „Unter Umwelteinflüssen wie Licht und Feuchtigkeit wandern Natriumatome an die Oberfläche der CIGS-Schicht und behindern dort den Elektronentransport. Das passiert allerdings nur während der Produktion, solange die Zellen nicht versiegelt sind.“
Kombinierte Verfahren im Ultrahochvakuum
Um diese Defekte und ihre Ursachen genauer untersuchen zu können, initiierten Roland Scheer und Dr. Stefan Förster aus der Fachgruppe Oberflächen- und Grenzflächenphysik ein Forschungsprojekt, das von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird. Herzstück der Experimente ist eine Ultrahochvakuumanlage – abgesehen vom interstellaren Weltraum gibt es kein reineres Vakuum als in solchen Anlagen. Erreicht wird das durch mehrere Hochleistungspumpen. Zusätzlich wird die gesamte Apparatur, die etwa eine halbe Tonne wiegt, über drei Tage auf 130 Grad Celsius erwärmt. „Das ist nötig, um letzte Verunreinigungen im Inneren zu beseitigen“, erklärt Stefan Förster. „Schließlich wollen wir Fremdeinflüsse so weit wie möglich ausschließen.“
Für die Charakterisierung der etwa ein Quadratzentimeter großen Solarzellenproben haben Stefan Förster und seine Doktorandin Philine Stötzner ein Verfahren entwickelt, das weltweit einmalig ist: In einem ersten Schritt wird die Verteilung der Elemente auf der CIGS-Schicht mit einem Photoelektronenspektrometer ermittelt. „Im Falle unserer Proben können wir damit nachweisen, wieviel Natrium an die Oberfläche gewandert ist“, erklärt Philine Stötzner.
Im zweiten Schritt wird die Lebensdauer der Ladungsträger untersucht, die für die elektronischen Eigenschaften der Solarzelle entscheidend ist: Ein Laser sendet ultrakurze Lichtpulse auf die Probenfläche und setzt so – ähnlich wie das Sonnenlicht –Elektronen frei. Kehren die angeregten Elektronen wieder zu ihrem ursprünglichen Zustand zurück, senden sie Licht aus, das von einem hochempfindlichen Sensor detektiert wird. Stötzner: „Je schneller die Elektronen wieder zurückkehren, desto schlechter ist der photovoltaische Wirkungsgrad des Materials. Wir konnten zweifelsfrei zeigen, dass die Natriumatome auf der Oberfläche der Solarmodule diesen unerwünschten Effekt dramatisch verstärken.“
Im ersten Jahr ihrer Doktorarbeit ist es Philine Stötzner bereits gelungen, beide Messverfahren – die Elektronenspektroskopie und die zeitaufgelöste Photolumineszenz – direkt in die Hochvakuumanlage zu integrieren.
Licht und Sauerstoff führen zu Oberflächendefekten
Um herauszufinden, welche konkreten Faktoren die Oberflächendefekte begünstigen, setzt das Team die Proben sehr kontrolliert verschiedenen Einflüssen aus. Die Absorberoberflächen werden beispielsweise mit weißem Licht bestrahlt und mit Sauerstoff kontaminiert – in unterschiedlichen Zeitabschnitten von einer Minute bis zu drei Tagen. „Es hat sich gezeigt, dass vor allem die Kombination der Einflüsse, also das Zusammentreffen von Licht und Sauerstoff, dazu führt, dass das Natrium an die Oberfläche der Probe gelangt und so die elektronischen Defekte verursacht“, sagt Stefan Förster.
Das MLU-Team ist optimistisch, dass die gewonnenen Erkenntnisse schon bald in die industrielle Produktion von Dünnschichtsolarmodulen einfließen können. Das bedeutet nicht zwangsläufig, dass die Herstellung in einem Vakuum stattfinden muss: Schon jetzt werden die Schichten unter Schutzgas aufgedampft, was die Kontamination mit Sauerstoff weitestgehend verhindert. Jedoch könnte der zusätzliche Ausschluss von Licht in bestimmten Produktionsphasen den Wirkungsgrad weiter erhöhen. Das im Gemeinschaftsprojekt entwickelte kombinierte Vakuumverfahren ist zudem keineswegs auf Solarzellen beschränkt – es kann universell für die Forschung an und mit Halbleiter-Materialien eingesetzt werden.
Prof. Dr. Roland Scheer
Institut für Physik
Tel.: +49 345 55-25490
E-Mail: roland.scheer@physik.uni-halle.de
Dr. Stefan Förster
Institut für Physik
Tel.: +49 345 55-25363
E-Mail: stefan.foerster@physik.unihalle.de
Philine Stötzner
Institut für Physik
Tel.: +49 345 55-25364
E-Mail: philine.stoetzner@physik.unihalle.de