Soldaten ohne Waffen

03.09.2014 von Ines Godazgar in Forschung, Wissenschaft
Vor 50 Jahren wurden in der DDR die ersten Bausoldaten eingezogen, aus diesem Anlass findet ab 5. September in Wittenberg ein Bausoldatenkongress statt. Wer in der Nationalen Volksarmee der DDR den Dienst an der Waffe verweigerte, musste ab 1964 als Bausoldat antreten. Justus Vesting, Kirchenhistoriker an der Martin-Luther-Universität, hat die Geschichte dieser Gruppe eingehend untersucht.
Häftlinge und Bausoldaten mussten mithelfen, die DDR-Wirtschaft am Laufen zu halten.
Häftlinge und Bausoldaten mussten mithelfen, die DDR-Wirtschaft am Laufen zu halten. (Foto: Archiv Steffen Könau)

Was haben der Liedermacher Gerhard Schöne, Leipzigs ehemaliger OB Wolfgang Tiefensee und Sachsen-Anhalts Kultusminister Stephan Dorgerloh gemein? Es gab eine Zeit, da einte sie die Entscheidung, in der Nationalen Volksarmee der DDR den Dienst an der Waffe zu verweigern. Schöne, Tiefensee und Dorgerloh waren Bausoldaten. Vor 50 Jahren wurden in der DDR die ersten Bausoldaten eingezogen.

Ein goldener Spaten auf dem Schulterstück, daran waren die Bausoldaten zu erkennen. Dass es sie überhaupt gab, davon haben viele DDR-Bürger lange nichts gewusst. Und auch den Medien der DDR waren sie insgesamt nur wenige Zeitungsartikel im damalige Zentralorgan „Neues Deutschland“ und in der CDU-Zeitung „Neue Zeit“ wert, was darauf hindeutet, dass man dieses Angebot zur Verweigerung des Dienstes an der Waffe lieber nicht publik machen wollte.

Zu groß war offenbar die Angst davor, dass die Bausoldaten zu einem Sammelbecken Oppositioneller werden könnten. Dennoch, es gab sie. Waren es anfangs überwiegend junge Christen, die sich für diesen Dienst entschieden, so kamen später immer mehr Oppositionelle hinzu. „Bis zum Ende der DDR sind insgesamt zwischen 14.000 und 15.000 junge Männer als Bausoldat eingezogen worden“, sagt Justus Vesting von der Martin-Luther-Universität.

Doktorand Justus Vesting forscht seit 12 Jahren zur Geschichte der Bausoldaten.
Doktorand Justus Vesting forscht seit 12 Jahren zur Geschichte der Bausoldaten. (Foto: privat)

Der Kirchenhistoriker vom Institut für Bibelwissenschaften und Kirchengeschichte hat in den vergangenen zehn Jahren immer wieder zu diesem Thema geforscht, seine Arbeiten sogar in einem Buch zusammengefasst. Der Zugang zum Thema fiel ihm leicht. Als Sohn eines Pfarrers verbrachte er einen Teil seiner frühen Kindheit in Bitterfeld, dem Ort also, an dem in den 1980er Jahren immer wieder Bausoldaten eingesetzt worden sind.

2002 fragte ihn die damalige Landesbeauftragte für die Stasiunterlagen, ob er nicht eine Broschüre zu dem Thema verfassen wolle. Das war der Einstieg. Inzwischen hat Vesting seine Magisterarbeit zu diesem Thema geschrieben und sie 2012 auch als Buch publiziert.

Die Geschichte der Bausoldaten beginnt im Jahr 1964. Zwei Jahre nach der Einführung der Wehrpflicht in der DDR gewährte man jungen Christen per Gesetz eine Art Wehrersatzdienst. Grund dafür war wohl auch, dass zwischen 1962 und 1964 rund 1.500 junge Männer den Wehrdienst verweigert hatten.

Knochenarbeit in Bitterfeld

„Ursprünglich dachte man, mit der neuen Regelung sei das Problem der christlichen Wehrdienstverweigerer erledigt“, erklärt Justus Vesting. Doch, was man offenbar nicht erwartet hatte: Die Zahlen stiegen von Jahr zu Jahr. Entschieden sich in der Anfangszeit lediglich rund 250 junge Männer pro Jahr dafür, waren es Ende der 1980er Jahre rund 1.300. Zudem organisierten sich die Bausoldaten unter dem Dach der Kirche und bildeten auf diese Weise Netzwerke. „Und so kam es“, erklärt Vesting, „dass sie den ersten Kern der späteren Friedensbewegung bildeten.“

Anfangs, etwa von 1964 bis 1975, waren sie vorwiegend beim Bau von Straßen, Militärflughäfen oder anderen Militärobjekten beschäftigt. Weil viele von ihnen deshalb Gewissensprobleme bekamen und dagegen aufbegehrten, wurden sie fortan anderweitig eingesetzt: als zivile Angestellte verrichteten sie in kleinen Gruppen Dienst in Militärkrankenhäusern oder Erholungsheimen der NVA.

Weil die Zahlen trotz allem weiter stiegen, suchte die DDR-Regierung zu Beginn der 1980er Jahre nach einer Variante, junge Leute abzuschrecken. Man fand sie: Ab 1983 wurden die Spatensoldaten wieder in größere Kompanien zusammengefasst und mussten schwerste körperliche Arbeiten verrichten, etwa in Braunkohletagebauen oder auf Großbaustellen.

Als die Chemieindustrie durch fehlende Investitionen so marode wurde, dass an einigen Stellen kaum ein ziviler Arbeiter mehr freiwillig tätig sein wollte, entdeckte man die Bausoldaten auch für diese Zwecke. So waren sie in Bitterfeld ab 1986 im Chemiekombinat eingesetzt, ab 1988 dann auch in der Produktion der berüchtigten Aluminiumwerke. Dort wurden während des Schmelzprozesses Fluor und Fluorwasserstoff frei. Bei etlichen Arbeitern führte das zu Fluoroser, einer Krankheit, die zur Verknorpelung der Knochen bis hin zur Lähmung führen kann.

"Sie hatten keine Alternative"

Für sein Buch hat Justus Vesting nicht nur in Archiven recherchiert sondern auch ehemalige Bausoldaten interviewt. Nicht alle wollten über diese für sie schwere Zeit sprechen, einige taten es trotzdem. Der Doktorand erzählt: „Viele kamen nicht aus der Chemieregion um Bitterfeld, für sie war es schon ein Schock, überhaupt in die berüchtigte Gegend zu kommen.“

In den Interviews haben die ehemaligen Soldaten ihre wenigen zivilen Kollegen eingehend und nicht minder schockiert beschrieben. Dass man ihnen die Folgen ihrer Arbeit ansehe, dass einige 30 Jahre älter ausgesehen haben, als sie damals waren und dass der Gesamteindruck des Arbeitsumfelds alle schrecklichen Erwartungen bei weitem übertraf.

Die Bausoldaten waren sich durchaus im Klaren, dass sie an einem Ort eingesetzt waren, den man heute wohl mit gutem Gewissen als No-Go-Area bezeichnen würde. Doch das perfide an der Situation war: „Sie hatten keine Alternative“, sagt Kirchenhistoriker Vesting. Arbeitsverweigerung wäre mit Befehlsverweigerung gleichgesetzt worden. Das wiederum hätte eine Haftstrafe im berüchtigten Militärgefängnis Schwedt bedeutet. – Ein Umstand, der Vesting zu der Überzeugung bringt, dass man in diesem Fall von „Zwangsarbeit“ sprechen müsse.

Bei den Bausoldaten führte die Konfrontation mit den gesundheitsschädlichen Arbeitsbedingungen oft dazu, dass sie offizielle Beschwerden an die Militärführung schrieben. Und in der Tat konnten sie damit etwas bewirken. Man gewährte ihnen in Bitterfeld eine Erschwerniszulage und einen Tag Sonderurlaub pro Monat.

Das Bittere: Der Nachweis, ob und in wieweit die Bausoldaten von damals durch ihre Arbeit tatsächlich gesundheitliche Schäden erlitten haben, ist sehr schwer zu führen. Es bleiben Belege, wie der Folgende: einer der ehemaligen Bausoldaten, mit denen Justus Vesting während der Arbeit zu seinem Buch sprach, verstarb in dieser Zeit an Krebs. „Er hatte während seiner Zeit als Bausoldat in Buna Quecksilber geschippt.“

Schlagwörter

Geschichte

Kommentar schreiben

Auf unserer Webseite werden Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung verwendet. Wenn Sie weiter auf diesen Seiten surfen, erklären Sie sich damit einverstanden. Einverstanden