Master of Street Art

06.10.2014 von Tom Leonhardt in Studium und Lehre, Campus
Sticker, Graffiti, bemalte Fliesen, kleine Figuren aus Kork, riesengroße Häuserfassaden – hallesche Street Art ist vielfältig und vor allem eins: bunt. Die Kunsthistorikerin Stefanie Wiesel hat sich in ihrer Masterarbeit mit Street Art in Halle beschäftigt. Die Erkenntnis: Urbane Kunst ist nicht nur schön, sondern wertet auch ganze Stadtteile auf.
Neben kompletten Häuserfassaden werden in Freiimfelde auch kleinere Wandflächen gestaltet.
Neben kompletten Häuserfassaden werden in Freiimfelde auch kleinere Wandflächen gestaltet. (Foto: Tom Leonhardt)

Angefangen hat alles vor etwa vier Jahren. Stefanie Wiesel, damals Studentin der Kunstgeschichte, läuft durch das Paulusviertel und entdeckt etwas: „An einem Stromkasten waren Ameisen aufgesprüht.“ Klar, Street Art und Graffiti waren ihr vorher auch schon bekannt, aber „so richtig hatte ich mich damit noch nicht beschäftigt.“ Wenig später sieht sie die gesprühten Ameisen wieder. Dieses Mal kriechen sie aus einem Kellerfenster. Ab da war es dann um sie geschehen: „Wenn man einmal damit anfängt, Street Art zu sehen, hört man nicht mehr auf.“

Stefanie Wiesel hat sich in ihrer Masterarbeit mit hallescher Street Art befasst.
Stefanie Wiesel hat sich in ihrer Masterarbeit mit hallescher Street Art befasst. (Foto: privat)

Umso mehr hat es sie gefreut, als 2012 in Halles Osten die Freiraumgalerie eingerichtet wurde. Dabei handelt es sich um ein Kunstprojekt, das sich über den ganzen Stadtteil Freiimfelde erstreckt. Hier dürfen internationale Graffiti- und Street-Art-Künstler ganz legal komplette Häuserwände gestalten. Mit dem Projekt soll gezeigt werden, wie man mit dem großen Leerstand im Viertel kreativ umgehen kann und wie dadurch neue Impulse gesetzt werden können. Mit ihrer Masterarbeit wollte Wiesel die Freiraumgalerie und hallesche Street Art allgemein auch ein Stück weit dokumentieren. Schließlich verwittern kleine Sticker und Graffitis auch schnell wieder – und sind damit für die Nachwelt nicht mehr auffindbar. Jetzt hält sie eine 120 Seiten starke Arbeit in ihren Händen. Dazu kommt noch mal ein über 50-seitiges Abbildungsverzeichnis mit allerhand Bildern hallescher wie internationaler urbaner Kunst.

Lernen vom Street-Art-Mentor

In ihrer Arbeit hat sich die Kunsthistorikerin mit der Frage auseinander gesetzt, ob sich das Projekt im Osten Halles mit der kunsthistorischen Vorstellung einer Ausstellung vereinbaren lässt und ob man Graffiti bzw. Street Art als Kunst begreifen kann. „Street Art ist in Deutschland noch relativ unerforscht“, kommentiert Wiesel. Da in Halle viele aktive Street-Art-Künstler leben, wollte die Studentin unbedingt mit den Akteuren ins Gespräch kommen.

Jürgen Langner auf der Suche nach neuen Stickern
Jürgen Langner auf der Suche nach neuen Stickern (Foto: Maria Preußmann)

Während ihrer Recherchen hat sie einen Street-Art-Beobachter kennen gelernt, der genauso wie sie in die vielen Sticker, Fliesen und Co. vernarrt ist: Den ehemaligen Medizinprofessor Jürgen Langner. Seit 2009 dokumentiert er die nicht immer ganz legale Gegenwartskunst in Halle. Über 6.000 Fotos und eine Menge Wissen über die lokale Szene sind seitdem bei ihm zusammen gekommen. Ein idealer Gesprächspartner für Wiesel also. „Wir haben uns viel über meine Arbeit unterhalten“, erzählt Wiesel, „er hat mir auch Literaturhinweise gegeben und Kapitel meiner Arbeit gelesen.“

Die Freiraumgalerie als Unikat

Wann in Halle der erste Sprayer ein Graffiti auf einer Häuserwand hinterlassen hat, kann Wiesel nicht sagen. Die Künstlergruppe Klub7 sei schon seit Ende der 1990er Jahre in der Saalestadt aktiv. „In den letzten fünf oder sechs Jahren hat es aber noch mal einen großen Aufwind gegeben.“ Natürlich, so Wiesel, profitiere die hallesche Street-Art-Szene davon, dass viele junge Menschen für ihr Studium nach Halle kommen. So würden immer wieder neue Impulse gesetzt werden.

In ihrer Arbeit kommt sie zu dem Schluss: „Die Freiraumgalerie ist eine Ausstellung auf Zeit.“ Wie in einer normalen Ausstellung sind Werke verschiedener Künstler zu sehen und es gibt auch Führungen durch die Freiraumgalerie. Gleichzeitig dürfte die „Freiraumgalerie als Projekt relativ einzigartig sein.“ In Sachsen-Anhalt? „In Deutschland, wahrscheinlich sogar in Europa. Es gibt wenige Informationen zu vergleichbaren Projekten – da kommt selbst das Internet an seine Grenzen.“ Das Besondere sei hier auch, dass das Projekt über mehrere Jahre läuft und immer wieder neue Häuserfassaden gestaltet werden.

Eine weitere Erkenntnis aus der Arbeit von Wiesel: „Viele Aktivisten haben ein Problem mit dem Begriff Street Art.“ Einige ihrer Gesprächspartner würden sich nicht als Künstler sehen, sondern als Maler oder Sprayer. Gleichzeitig sei der Begriff Street Art sehr stark von den Medien geprägt worden. Und das widerspreche zumindest einer Grundidee von Street Art: Sich gegen die Überfrachtung des öffentlichen Raums durch Medien und Werbung zur Wehr zu setzen. Gerade diese Punkte klingen danach, als ob sich Wiesel weiterhin mit dem Thema befassen möchte. „Nicht wissenschaftlich“, winkt sie ab. Von der Uni habe die Kunsthistorikerin nach sieben Jahren Studium erst einmal genug – von Street Art in Halle nicht. Die will sie weiter beobachten und fotografieren: „Das ist schon fast wie eine Sucht.“

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