Photonenschüsse auf ein Fußballmolekül

25.04.2025 von Katrin Löwe in Personalia, Wissenschaft, Forschung
Für ihre Masterarbeit im Fachbereich Oberflächen- und Grenzflächenphysik erhält Kathrin Lisa Plass heute im Rahmen der feierlichen Urkundenübergabe der Universität den Anton-Wilhelm-Amo-Preis. Bei einem Treffen auf dem Weinberg Campus erklärt sie vorab, was ein Fußball und Mythologie mit ihrer Forschung zu tun haben.
Kathrin Lisa Plass im Laborraum im Institut für Physik
Kathrin Lisa Plass im Laborraum im Institut für Physik (Foto: Markus Scholz)

Der Name des Experiments, mit dem Kathrin Lisa Plass arbeitet, ist in gewisser Weise Programm. „Hydra“ steht an der Tür zu dem Laborraum im Institut für Physik. In der Mythologie ist das ein Wesen mit vielen Köpfen – „und so ist das Experiment auch irgendwie“, sagt Plass. Laien sehen eine auf den ersten Blick unüberschaubar wirkende Mischung aus Geräten, Monitoren, Kabeln und Verbindungen. „Hier gibt es viele komplexe Ebenen, es muss sehr vieles gleichzeitig funktionieren und sehr stabil laufen“, erklärt die Physikerin. Wer sich mit ihr trifft, spürt die Faszination für die Technik, mit der sie in der Arbeitsgruppe des experimentellen Physikers Prof. Dr. Wolf Widdra forscht.

Plass, geboren in Bielefeld und aufgewachsen in Jena, wurde mit einer gewissen Affinität zu Naturwissenschaften groß. Ihre Eltern sind beide promovierte Chemiker, der Vater hat seit 2003 eine Professur an der Uni Jena inne. „Ich glaube, es passiert ganz natürlich, dass man sich für ähnliche Dinge interessiert, wenn man Vorbilder hat“, sagt die 26-Jährige. Als das Abitur und die Entscheidung für ein Studium anstanden, habe sie zunächst ihrer großen Tierliebe wegen die Veterinärmedizin ins Auge gefasst. Sie sei dann aber auf die medizinische Physik gestoßen. Eine Richtung, in der sie ihr Interesse für Naturwissenschaft mit einem „gewissen sozialen Aspekt“ – dem Wunsch anderen zu helfen – verbinden konnte, wie sie sagt. Nur an zwei Hochschulen in Deutschland wurde das Fach damals als Studiengang angeboten, eine davon war die Universität Halle.

Der Wechsel zur „reinen“ Physik fiel mit der Wahl des Themas für ihre Masterarbeit zusammen. Plass sah ihre Zukunft nicht etwa in einem klassischen Bereich der medizinischen Physik, zum Beispiel in der Strahlentherapie in einer Klinik. „Ich suche gern Lösungen für Probleme, von denen sich andere gar nicht vorstellen können, dass sie überhaupt existieren.“ Mit dieser Vorstellung im Kopf stellte sie sich verschiedenen Professoren vor. Bei dem Thema, für das sie sich am Ende entschied, habe eine Freundin zur Vorsicht geraten, „weil es ultra-kompliziert sei“, erzählt die Physikerin. Ihre Reaktion: „Das ist meins. Eine Herausforderung.“ Im Januar 2024 gab Plass ihre Masterarbeit mit dem Titel „Doppelphotoemission von C60 auf SrTiO3 (001) mit gepulster Laserstrahlung“ ab. Sie wurde nicht nur mit 1,0 bewertet, für die Arbeit erhält die junge Frau heute den mit 1.000 Euro dotierten Anton-Wilhelm-Amo-Preis 2025 der Universität.

Stark vereinfacht formuliert, hat Plass in ihrer Forschung die Wechselwirkung zwischen Elektronen gemessen – mithilfe von Laserstrahlen und einem Molekül aus 60 Kohlenstoff-Atomen, das so ähnlich aussieht wie ein kleiner Fußball. Ihr gelang es mithilfe von speziell erzeugten energiereichen Photonen, so genannten „höheren Harmonischen“ von Laserstrahlung, die quantenmechanische Wechselwirkung in Elektronenpaaren zu bestimmen. Dies gelang durch die Detektion von gleichzeitig ausgelösten Elektronenpaaren in verschiedenen Molekülorbitalen – Laien können sich diese Orbitale als verschiedene Bereiche eines Moleküls vorstellen.

Die Arbeit hat überzeugt. „Eine Pionierleistung, die den Weg für ein tieferes Verständnis von Vielteilcheneffekten ebnet“, sagt ihr Betreuer Prof. Dr. Wolf Widdra. Diese Korrelationen seien entscheidend für die Erklärung komplexer Phänomene wie Supraleitung und Magnetismus, ihre quantitative Erfassung zähle zu den großen offenen Fragen der modernen Physik. „Die technische und konzeptionelle Herausforderung dieses Zwei-Elektronen-Koinzidenzexperiments ist enorm – weltweit gelingt sie nur an wenigen Standorten“, so Widdra.

Das Experiment ist auch zeitlich aufwändig, allein eine der drei für Plass‘ Masterarbeit durchgeführten Messungen dauerte am Stück vier Wochen, 24 Stunden am Tag, sieben Tage die Woche. Ab und zu fuhr die Nachwuchswissenschaftlerin in dieser Zeit selbst abends noch einmal ins Labor, weil sie auf dem PC gesehen hat, dass die Anlage nachjustiert werden musste – wegen technischer Probleme, Temperaturschwankungen, driftender Laserstrahlen.

Die Ergebnisse der Forschung, die Tatsache, dass es überhaupt funktioniert hat, „das hat mich angefixt“, sagt Plass. Ihre Arbeit komme vor allem der weiteren Grundlagenforschung zugute: Die experimentelle Physik könne dort einen Beitrag leisten, wo die Modellierungen der theoretischen Physik bisher an ihre Grenzen stoßen. Diese werden zum Beispiel benötigt, um die Eigenschaften von Festkörpern vorherzusagen. Inzwischen ist sie Doktorandin in der Arbeitsgruppe von Widdra, arbeitet nach wie vor mit der Hydra. Sie habe das Experiment noch weiterentwickelt, sagt sie und berichtet mit Begeisterung von einem neuen, leistungsstärkeren Laser. Wo sie ihre Zukunft sieht? Sicher ist die sportliche junge Frau, die einen Ausgleich zu ihrer Arbeit beim Quadball (ehemals Quidditch), im Akrobatik-Kurs des Unisportzentrums oder beim Reiten findet, noch nicht. Die wissenschaftliche Karriere nach der Promotion ist für sie aber durchaus eine Option.

Festveranstaltung und Übergabe der Universitätspreise

Die MLU veranstaltet heute für ihre Promovenden und Habilitanden eine Festveranstaltung in der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina. Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftler, die ihre Promotion mit der Bestnote „summa cum laude" abgeschlossen haben, werden zudem mit der Luther-Urkunde der MLU ausgezeichnet. Weiterhin werden die Universitätspreise für besonders herausragende Arbeiten vergeben. 

Die Dorothea-Erxleben-Preise 2025 werden zwei Mal, jeweils mit einer Dotierung von 1.000 Euro, vergeben. Dr. Lena Sophie Leffer erhält den Preis für ihre Dissertation „Automated Suspicion Algorithms - Strafverfolgung durch Künstliche Intelligenz am Beispiel der Geldwäsche". Dr. Justus Friedrich Thümmler erhält ihn für seine Dissertation „Near-Infrared Fluorescent Single-Chain Nanoparticles as Contrast Agents for Photoacoustic Imaging".

Mit dem Anton-Wilhelm-Amo-Preis 2025, der mit 1.000 Euro dotiert ist, wird Kathrin Lisa Plass für ihre Masterarbeit „Doppelphotoemission von C60 auf SrTiO3 (001) mit gepulster Laserstrahlung" ausgezeichnet.

Den mit 1.000 Euro dotierten DAAD-Preis 2025 erhält Pratyaksh Singh für seine besonderen akademischen Leistungen und sein bemerkenswertes gesellschaftliches und interkulturelles Engagement. Ausgezeichnet wird auch Diana Paola Ochoa Vásquez, die den DAAD-Preis 2024 erhält.

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