Eine blitzgescheite Idee?
Zweieinhalb Jahre ist es her, dass Udo Reichmann und Marcel Neubert – zwei junge Physiker aus Dresden – an die Tür von PD Dr. Hartmut Leipner klopften. Sie schlugen vor, die übliche Graphit-Anode von Lithium-Batterien durch Silizium zu ersetzen und den Akku so mindestens zehnmal leistungsfähiger zu machen. „Ich dachte, das wird eine kurze und enttäuschende Unterhaltung, denn diese Idee ist nicht neu und bislang gescheitert“, sagt Leipner rückblickend. „Ein Irrtum, denn inzwischen hat sich daraus ein vielversprechendes Projekt entwickelt.“
Graphit hat keine hohe Ladekapazität
Hartmut Leipner ist Geschäftsführer des Interdisziplinären Zentrums für Materialwissenschaften (IZM) der MLU. Hier wird intensiv an Halbleitertechnologien, Solarmodulen und Batterien geforscht. Das Zentrum verfügt über einen Reinraum mit mehreren Ultrahochvakuumanlagen zur Herstellung von Dünnschichtmaterialien, außerdem über leistungsstarke Rasterelektronenmikroskope und andere hochauflösende Analysetechniken. „Unsere Expertise und technische Ausstattung waren die Gründe dafür, dass die Dresdner sich an mich gewandt haben.“
Grundsätzlich ist die Idee der Sachsen konsequent. Um das zu verstehen, hier ein kurzer Exkurs: Akkumulatoren bestehen aus vier zentralen Komponenten – zwei Elektroden, einem gut leitenden Elektrolyt und Ionen als Ladungsträger. Wird die Batterie geladen, wandern Lithium-Ionen zur negativen Elektrode, der Anode. Beim Entladungsvorgang bewegen sich die Ionen wieder zurück zur Kathode, wo Elektronen freigesetzt werden – die Batterie liefert Strom. „Bei den meisten Lithium-Ionen-Akkus besteht die Anode aus Graphit“, erklärt Leipner. „Graphit ist sehr stabil und übersteht tausende Ladungs- und Entladungsvorgänge.“ Der Nachteil: In die engen Räume zwischen den Kohlenstoffschichten des Graphits können sich nicht so viele Lithium-Ionen einlagern, was die Kapazität der Batterie erheblich einschränkt. Silizium dagegen besitzt ein regelmäßiges Atomgitter mit großen Zwischenräumen und kann rund einhundertmal mehr Lithium-Ionen aufnehmen als Graphit. Theoretisch.
Blitzlicht deformiert Gitterstruktur
Experimentelle Versuche haben jedoch gezeigt, dass sich Silizium-Anoden bei der Ionen-Aufnahme stark ausdehnen und beim Entladen wieder zusammenziehen. Die wiederholte Volumenänderung führt dazu, dass sie bereits nach kurzer Zeit brüchig werden und versagen. Marcel Neubert vom Helmholtz-Zentrum Dresden-Rossendorf (HZDR) und Udo Reichmann von der Rovak GmbH aus Grumbach – beide kannten sich vom Physikstudium an der TU Dresden – wollten das Konzept der Silizium-Anoden dennoch nicht aufgeben. Und sie hatten eine verrückt klingende Idee im Gepäck, als sie nach Halle kamen: Mit kurzen Lichtblitzen einer sehr starken Xenon-Lampe wollten sie das Atomgitter zerstören. Nicht vollständig, sondern nur soweit, dass die Struktur durch die Deformation stabiler wird, zugleich aber noch genügend Löcher vorhanden sind, um viele Lithium-Ionen aufnehmen zu können. Marcel Neubert: „Man kann sich das folgendermaßen vorstellen: Das Modell eines Atomgitters, wie man es aus dem Physikunterricht kennt, kann man leicht zusammendrücken oder auseinanderziehen. Durch kurze Hitzeeinwirkung und abrupte Abkühlung verschmelzen einige Bereiche miteinander, bilden unregelmäßige Verklumpungen und stabilisieren das Gitter dadurch.“
Die Idee überzeugte schließlich nicht nur Hartmut Leipner: Die EU förderte das Projekt mit einer Dreiviertelmillion Euro aus dem Europäischen Fonds für regionale Entwicklung (EFRE). Davon konnten in den vergangenen zwei Jahren jeweils zwei Wissenschaftler an der MLU und bei der NORCSI GmbH finanziert werden, die Reichmann und Neubert 2020 mit zwei weiteren Kollegen gegründet hatten. Bei NORCSI im Weinberg Campus Innovation Hub ist das Praxislabor angesiedelt: Hier werden die Prototypen der Akkus hergestellt und getestet. Herzstück ist eine halbautomatische Vakuum-Anlage, in der eine Kupferfolie mit mehreren Schichten Silizium bedampft und anschließend für wenige Millisekunden geblitzt wird. „Der Rest unterscheidet sich kaum von der etablierten Batterieproduktion“, sagt Neubert. „Wir stanzen die Folie aus und integrieren sie zusammen mit einer Metalloxid-Kathode und einem Elektrolyt in einer Knopfzelle.“
Das IZM übernimmt vor allem die Charakterisierung der Proben. Unter dem Rasterelektronenmikroskop etwa wird sichtbar, wie sich Modifikationen an Stärke und Dauer der Lichtblitze auf die Siliziumstruktur auswirken. Parallel zur Prototypenproduktion bei NORCSI wird im Reinraum des IZM auch an alternativen Bedampfungsmethoden und Materialkombinationen geforscht. Hartmut Leipner: „Wir sind gewissermaßen das Prüflabor auf molekularer Ebene, aber auch in die strategische Projektentwicklung eingebunden.“ Für dieses Jahr hoffen die Forscher auf eine Anschlussförderung für weitere zwei Jahre.
3.000 statt 300 Kilometer
Die NORCSI-Knopfzellen überstehen aktuell über 100 Ladezyklen unter verschärften Laborbedingungen, was zwischen 500 und 1000 Zyklen in der Praxis entspricht. In puncto Stabilität können sie also mit etablierten Lithium-Ionen-Akkus mithalten. Bereits heute denken die Gründer an eine Herstellung in größerem Maßstab – dafür sind sie eine Kooperation mit der Bergakademie Freiberg eingegangen.
Von der – theoretisch – einhundertfach höheren Ladekapazität der Silizium-Anode im Vergleich zu Graphit wird in der Praxis nur ein Zehntel erreicht werden, schätzen die Forscher. Dennoch: „Stellen Sie sich vor, wir würden bei gleicher Akku-Größe eines Autos nicht über eine Reichweite von 300, sondern von 3.000 Kilometern sprechen“, sagt Hartmut Leipner. „Das würde der Akzeptanz und dem Ausbau der Elektromobilität völlig neue Impulse geben.“ Zugleich wäre es mit der neuen Generation von Lithium-Batterien möglich, deutlich leichtere Geräte zu bauen – nicht nur Tablets und Laptops, sondern zum Beispiel auch Drohnen, bei denen jedes Gramm Gewichtsersparnis zählt.
PD Dr. Hartmut Leipner
Interdisziplinäres Zentrum für
Materialwissenschaften (IZM)
Tel. +49 345 55-28473
Mail hartmut.leipner@cmat.uni-halle.de