Der Nord-Süd-Konflikt: Historiker diskutieren über globale Ungleichheiten
Was ist mit dem Nord-Süd-Konflikt gemeint?
Steffen Fiebrig: Der Kalte Krieg wurde immer wieder zur Erklärung historischer Phänomene in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts herangezogen. Dabei entwickelte sich ab den 1950er Jahren noch ein weiterer Konflikt – zwischen den reichen Industrieländern der nördlichen und den ärmeren Entwicklungsländern der südlichen Halbkugel. Mitte des 20. Jahrhunderts zogen sich viele Staaten aus ihren Kolonien im Süden zurück und entließen sie in die politische Unabhängigkeit. Infolgedessen formulierten die postkolonialen Regierungen erstmals eigene Ansprüche und Interessen und thematisierten strukturelle Ungleichheiten. Sie suchten dafür ganz bewusst die internationale Bühne.
Was ist das Besondere an diesem Konflikt?
Er wurde ohne Waffen geführt. Es ging eher um Argumente, Ideen und Bilder. Erstmals traten auch die Zivilgesellschaft und Nichtregierungsorganisationen in diese Debatten ein. So nahmen sie beispielweise Regierungen in reichen Ländern in die Verantwortung, auf globale Herausforderungen und Missstände in südlichen Ländern zu reagieren. Die Idee der „Dritten Welt“ spielt dabei eine zentrale Rolle. Im Workshop wollen wir diese historische Entwicklung, die zentralen Akteure und Themen, wie auch verschiedene Phasen sowie Wendepunkte der Debatten eruieren.
Wurde das Gefälle zwischen dem reichen Norden und dem armen Süden bisher zu wenig in der Geschichtswissenschaft bedacht?
In den letzten 15 Jahren sind viele Arbeiten zu diesem Themenbereich erschienen. Wichtig ist es, jetzt auch einen Perspektivwechsel in der Forschung zu vollziehen: Viele historische Arbeiten entstanden auf Basis von Quellen, die in den Archiven der Industrieländer zu finden sind. Es ist aber auch wichtig, die Archive im Süden aufzusuchen und Quellen in Erklärungen mit einzubeziehen. Ich selbst war für meine Forschung in Indien. Letztlich hat man als Historiker überall das Problem der Sprachbarriere und weiß eigentlich nie so genau, was man in den Archiven findet.
Wie entwickelte sich die Debatte um die globale Ungleichheit weiter?
Es gab in den 1970er Jahre wichtige internationale Aktionsprogramme und Erklärungen, die globale Strukturen und Regeln ändern sollten und mit denen auch Druck auf die industrialisierten Länder ausgeübt wurde. Einen generellen Wandel hat sich nicht ergeben.
Was ist aus diesen Ideen und Plänen geworden?
Nicht viel. In den 1980er Jahren hat sich die globale Debatte verlaufen. Mit dem „Washington Consensus“ strukturierten die USA die Weltwirtschaftsordnung nach ihren Ideen neu. Globale Ungleichheiten sind bis heute manifestiert, die Probleme haben sich tendenziell verschärft.
Welche Bedeutung haben dabei die Weltläden?
Sie sind sowas wie ein Überbleibsel des Nord-Süd-Konflikts. Auch in den Industrieländern gab es „Dritte Welt“-Bewegungen und Debatten über die globale Ungleichheit. Daraus entwickelte sich beispielsweise die Idee von Fair Trade – und das Streben danach, bestehende internationale Handelsstrukturen zu beeinflussen. Die Weltläden sind Sinnbilder dieser Entwicklung – sie bieten bis heute Produkte aus und Informationen zu fairem Handel. Ein Vortrag unseres Workshops konzentriert sich auch auf diesen Aspekt.
Was ist das Besondere an Ihrem Workshop?
Die Resonanz auf unsere Einladung war sehr groß. Wir haben gezielt Promovierende und Postdoktoranden eingeladen, um dem wissenschaftlichen Nachwuchs ein Podium zu geben. Gleichzeitig helfen uns die vorgestellten Arbeiten dabei zu verstehen, warum es heute immer noch so große Ungleichheiten in einer globalisierten Welt gibt. Die Themen sind, obwohl sie historisch erscheinen, also noch immer aktuell.
Zur Tagung: Globale Ungleichheiten diskutieren. Der Nord-Süd-Konflikt in den internationalen Beziehungen
16. – 17. Februar 2018
Universität Leipzig, Fakultät für Geschichte, Kunst & Orientwissenschaften
Schillerstraße 6
04109 Leipzig
Die Tagung wird von der Fritz Thyssen Stiftung für Wissenschaftsförderung und vom Forum for the Study of the Global Condition der Universitäten Halle, Jena und Leipzig gefördert.