Alle unter einem Dach

17.10.2018 von Tom Leonhardt in Im Fokus, Forschung
Das Charles-Tanford-Proteinzentrum der Universität soll die Proteinforschung auf eine neue Stufe heben. Hier bearbeiten künftig etwa 255 Beschäftigte gemeinsam Fragen zu den Bausteinen des Lebens.
Milton Stubbs (li.) erklärt Elmar Wahle die Röntgenkristallographie.
Milton Stubbs (li.) erklärt Elmar Wahle die Röntgenkristallographie. (Foto: Maike Glöckner)

Anstrengende Monate liegen hinter den beiden Proteinforschern Prof. Dr. Elmar Wahle und Prof. Dr. Milton Stubbs. Sie leiten zwei der insgesamt 14 Arbeitsgruppen, die in den vergangenen Monaten in das neue Charles-Tanford-Proteinzentrum am Weinberg Campus eingezogen sind.

Einst waren die Forscher auf fünf verschiedene Standorte in Halle verteilt. Noch ist nicht in allen Laboren jede Kiste ausgepackt und jeder Schrank vollständig eingeräumt. Das wissenschaftliche Leben läuft hier aber schon wieder auf Hochtouren: In den Laboren werden Zellkulturen angesetzt, Proben entnommen und ausgewertet – an Röntgenquellen und Massenspektrometern werden Untersuchungen zur Struktur von Proteinen durchgeführt.

Das Proteinzentrum hat eine Nutzfläche von rund 5.400 Quadratmetern auf vier Etagen. Platz für 255 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in 125 Laboren und 62 Büros. Die komplette Gebäudetechnik – Entlüftungs- und Ansauganlagen, Filterregister und viele weitere Geräte – befindet sich auf dem Dach des Proteinzentrums, versteckt hinter modernen Schallschutzwänden.

Das Gebäude hat die Form eines Quaders, bei dem die langen Seiten gegeneinander verschoben sind. An den Außenseiten befinden sich die Laborräume, innen die Büros. Über mehrere Zwischengänge und einen zentralen Aufgang sind die beiden Gebäudekomplexe miteinander verbunden, sodass zwischen Schreibtisch und der Arbeitsbank im Labor möglichst kurze Wege liegen. „Früher hatte ich meine Labore auf mehreren Etagen verteilt, jetzt ist alles beisammen. Außerdem kann ich mich schnell mit meinen Kolleginnen und Kollegen austauschen“, sagt Milton Stubbs zufrieden. Der Professor für Physikalische Biotechnologie ist der Sprecher des Proteinzentrums und fungiert damit als eine Art Bindeglied zwischen den Arbeitsgruppen, der Universität und der Außenwelt.

Neun Jahre Planung und Bau

Im Charles-Tanford-Proteinzentrum laufen die Forschungsarbeiten.
Im Charles-Tanford-Proteinzentrum laufen die Forschungsarbeiten. (Foto: Maike Glöckner)

Dass die Universität Halle seit diesem Jahr ihre Forschungsgruppen zur Proteinbiochemie unter einem Dach versammeln kann, hat eine lange Vorgeschichte. Sie beginnt im Jahr 2009: Damals war Elmar Wahle Dekan der Naturwissenschaftlichen Fakultät I. „Das damalige Rektorat – Kanzler Dr. Martin Hecht und Rektor Prof. Dr. Wulf Diepenbrock – machte mich auf eine Ausschreibung des Wissenschaftsrats zur Förderung von Forschungsbauten aufmerksam“, erinnert sich der Biochemiker. Gemeinsam mit seinen Kolleginnen und Kollegen entwickelte er eine Antragsskizze für ein Proteinforschungszentrum Halle. Hier sollte künftig ein Großteil der Arbeitsgruppen gebündelt werden, die zur Proteinbiochemie forschen; also Gruppen aus den Naturwissenschaftlichen Fakultäten I und II – und auch aus der Medizinischen Fakultät.

Die Idee: Die räumliche Nähe der Arbeitsgruppen sowie die moderne Infrastruktur eines gemeinsamen Gebäudes beschleunigen die Forschung, außerdem sollte das Spektrum um medizinisch-praktische Anwendungen ergänzt werden. Ein ambitioniertes Vorhaben, das aber nicht von ungefähr kommt. Immerhin gehört die Proteinbiochemie zu dem vom Land Sachsen-Anhalt geförderten Forschungsschwerpunkt „Biowissenschaften – Makromolekulare Strukturen und biologische Informationsverarbeitung“ der Martin-Luther-Universität. Auch große Drittmittelprojekte, darunter ein Sonderforschungsbereich und ein Graduiertenkolleg der Deutschen Forschungsgemeinschaft, gingen zum Zeitpunkt der Antragstellung auf das Konto der halleschen Proteinforscher. Das Bundesministerium für Bildung und Forschung förderte in Halle das Kompetenznetzwerk „ProNet-T3“ und fördert auch bis heute das Zentrum für Innovationskompetenz „ZIK HALOmem“. Hinzu kommen zahlreiche Veröffentlichungen in international renommierten Fachzeitschriften.

Die hallesche Idee eines modernen, fakultätsübergreifenden Zentrums für Proteinforschung überzeugte letztlich auch die Gutachter: 2010 sprachen sich sowohl der Wissenschaftsrat als auch die Gemeinsame Wissenschaftskonferenz für den Bau des Forschungsneubaus „Proteinzentrum Halle“ aus. Speziell der angestrebte Praxisbezug, heißt es in dem Gutachten, „stellt auch in nationaler Perspektive ein Alleinstellungsmerkmal dar.“ Die Kosten für den Forschungsneubau, rund 40 Millionen Euro, sollten sich der Bund und das Land Sachsen-Anhalt teilen.

Es folgte eine intensive Planungsphase. „Dieser Teil hat wesentlich mehr Zeit in Anspruch genommen als die eigentliche Antragstellung“, sagt Elmar Wahle rückblickend. Jede Arbeitsgruppe, die künftig im Proteinzentrum ihren Sitz haben sollte, musste umfangreiche Planungen vornehmen: Welche Labore werden benötigt? Wo sollen welche Geräte, also etwa Massenspektrometer, NMR-Spektrometer, Röntgenquellen und Lichtmikroskope, stehen? Jeder Raum musste detailliert geplant werden. „Etagensprecher“ bündelten die Bedarfe der einzelnen Arbeitsgruppen und vertraten sie auf Bausitzungen. „Mein großer Dank gilt hier meinem Mitarbeiter Dr. Uwe Kühn, der einen erheblichen Teil seiner Arbeitszeit auf Bausitzungen und bei Laborplanungen zugebracht hat“, sagt Wahle. Für die Universität leitete Frank Sauerländer von der Abteilung Bau, Liegenschaften und Gebäudemanagement das Projekt. Ende 2014 begannen die Bauarbeiten, die etwa drei Jahre dauerten.

Selbst die damalige Bundesministerin für Bildung und Forschung Prof. Dr. Johanna Wanka stattete dem Zentrum im August 2017 – zum Ende der Bauarbeiten – bereits einen Besuch ab und würdigte die Proteinbiochemie der Universität als „hochgradig vernetzte Spitzenforschung“.

Zu Ehren Charles Tanfords

Charles Tanford
Charles Tanford (Foto: privat)

Benannt ist das Proteinzentrum nach dem Wissenschaftler Charles Tanford (1921-2009), einem Pionier der Proteinforschung. Dieser wurde unter dem Namen Karl Tannenbaum in Halle geboren. Die jüdische Familie emigrierte 1929 nach England und änderte dort ihren Familiennamen. Charles Tanford erhielt seine akademische Ausbildung in den USA und verbrachte dort sein gesamtes wissenschaftliches Leben. Er führte insbesondere grundlegende Arbeiten zur Stabilität der Proteinstruktur durch.

Auf Austausch angewiesen

Insgesamt wird in dem Forschungsgebäude sehr interdisziplinär zusammengearbeitet: Schließlich bringen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nicht nur ihr Fachwissen über die Eigenschaften von bestimmten Proteinen in die Arbeit ein. Sie sind auch Experten für spezielle Forschungsmethoden. Und dieses methodische Wissen wird in Zukunft immer wichtiger, wie Elmar Wahle weiß: „Wissenschaftliche Journale fordern immer stärker, dass eine neue Studie aus einem Mix verschiedener Methoden besteht. Deshalb sind wir auf den Austausch angewiesen.“ Er selbst publiziere mittlerweile fast nur noch Studien, die in Kooperation mit anderen Arbeitsgruppen entstanden sind.

Die Idee der gemeinsamen Arbeit spiegelt sich auch in den beiden „Core Facilities“ des Proteinzentrums wider. Dabei handelt es sich um Service-Einrichtungen: Die Core Facility „Imaging“ bietet zum Beispiel eine Vielzahl von Bildaufnahmetechnologien zur Analyse von Proben an. Dazu gehören hochauflösende Lasermikroskopie und Infrarot-Scanner. In der Core Facility „Proteomic Mass Spectrometry“, die sich aktuell noch im Aufbau befindet, können die Forscherinnen und Forscher Massenspektrometer verwenden, um Proteine und ihre Struktur zu untersuchen. Der Gedanke dahinter: Nicht jede Arbeitsgruppe soll ihre eigenen Geräte betreiben. Stattdessen wird ein Teil gemeinsam genutzt. Das spart Platz, Geld und letztlich kostbare Zeit, weil nicht jeder alles neu lernen muss.

Die Bedingungen für die hallesche Proteinforschung haben durch das Proteinzentrum eine neue Qualität erreicht. Dass dies auch Früchte tragen soll, etwa neue Drittmittelprojekte und Veröffentlichungen in hochrangigen Journalen, liegt auf der Hand. Stubbs und Wahle sind aber gelassen, wollen auch keine überzogenen Erwartungen wecken. Aktuell sieht Milton Stubbs seine Aufgabe als Sprecher eher darin, Angebote für den fachlichen Austausch zu machen, etwa durch eine offene Seminarreihe. Forschung und Kooperationen benötigten Zeit – und die Arbeit der Gruppen im neuen Proteinzentrum beginnt gerade erst.
 

Proteinforschung in Halle

Die Forschung im Proteinzentrum konzentriert sich auf vier große Themenkomplexe:

Membranproteine: Diese speziellen Proteine sind unter anderem für die Steuerung und Regulierung wichtiger Funktionen im menschlichen Körper zuständig – etwa bei der Immunantwort des Körpers. Membranproteine sind daher auch von großem Interesse für die Medizin und die Pharmazie: Etwa die Hälfte aller derzeit im Einsatz befindlichen Arzneimittel zielt auf Membranproteine ab.

Proteine in der posttranskriptionellen Genregulation: Die Proteinbiosynthese in Zellen ist in zwei große Prozesse unterteilt: Transkription und Translation. Während der Transkription werden Genabschnitte mit Hilfe eines Enzyms abgelesen und die in der DNA kodierte Information wird auf ein anderes Molekül, die RNA, übertragen. In der Translation werden entsprechend der in der RNA enthaltenen Information Proteine gebildet. Posttranskriptionelle Genregulation besagt, dass die Verwendung der RNA reguliert werden kann. Dies spielt zum Beispiel eine wichtige Rolle bei Entwicklungsvorgängen.

Krebs: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchen, welche Rolle fehlregulierte Proteine bei der Entstehung von Tumorerkrankungen spielen. Gleichzeitig suchen sie nach speziellen Proteinen, die nur in Tumoren vorkommen und die deshalb für die Entwicklung neuer Wirkstoffe relevant sind.

Proteinmodifikationen: Die Struktur eines Proteins bestimmt seine Funktion. Im Proteinzentrum werden Arbeiten dazu durchgeführt, wie die Struktur von Proteinen nach ihrer Synthese noch modifiziert wird und welche Folgen das für ihre Funktionsweise hat.

Prof. Dr. Milton Stubbs
Institut für Biochemie und Biotechnologie
Telefon: +49 345 55-24901
E-Mail: milton.stubbs@biochemtech.uni-halle.de

Schlagwörter

Proteinforschung

Weitere Artikel zum Thema

07.08.2018 in Im Fokus, Forschung

Verovaccines: Impfstoff-Entwickler auf Erfolgsspur

Tierseuchen stellen die Landwirtschaft vor immer größere Herausforderungen, der Bedarf an wirksamen Impfstoffen ist enorm. An dieser Stelle setzt das hallesche Spin-off-Unternehmen Verovaccines mit der Entwicklung neuartiger Impfstoffe auf Hefebasis an. Eine weitere Hürde ist dabei nun genommen: Im Rahmen des GO-Bio-Programms des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) wird es auch in den nächsten drei Jahren mit 3,1 Millionen Euro gefördert. Artikel lesen

Kommentar schreiben

Auf unserer Webseite werden Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung verwendet. Wenn Sie weiter auf diesen Seiten surfen, erklären Sie sich damit einverstanden. Einverstanden