Wie politisch waren Ehrenpromotionen?
Wie kam es dazu, dass Sie sich mit den Ehrendoktorwürden befasst haben?
Friedemann Stengel: Anlass war eine Kleine Anfrage im Landtag, wie die Universität mit dem bereits 1915 an den Generalfeldmarschall August von Mackensen verliehenen Ehrendoktortitel umgeht (siehe „Der Fall August von Mackensen“). Als Rektoratskommission haben wir den Auftrag bekommen, uns mit dem Fall zu beschäftigen. Zudem hat der Senat 2018 eine Resolution verabschiedet, alle Ehrenpromotionen in den beiden Diktaturen zu untersuchen.
Wie sind Sie dabei vorgegangen und wo sind Sie fündig geworden?
Jakob Debelka: Zwei Sachen waren hilfreich: Es gab im Universitätsarchiv einen Zettelkasten, in dem fast alle Ehrenpromotionen aus dieser Zeit verzeichnet waren - mit Hinweisen auf weiterführende Akten. Ende der 1980er Jahre ist auch eine Übersicht über alle Ehrenpromotionen der DDR-Zeit erstellt worden, die aber nicht vollständig war. In den Akten der jeweiligen Personen habe ich dann nach Hinweisen auf politische Einflussnahme gesucht.
Wie sah diese aus? Welche Formen von Einflussnahme gab es?
Debelka: Ziemlich eindeutig ist es, wenn eine Aufforderung von staatlicher Seite vorlag. Nur dann haben wir die Fälle als „nachgewiesen“ eingeordnet. Es gibt zudem eine Vielzahl von Indizien, die einen politischen Einfluss wahrscheinlich erscheinen lassen: dass eine Person in der Fakultät gar nicht bekannt war, der Vorschlag vom Rektor kam oder in der DDR von der Sektion Marxismus-Leninismus. Manchmal haben wir auch nur Hinweise darauf gefunden, dass etwas mündlich besprochen wurde.
Stengel: Ich habe über die Theologischen Fakultäten der DDR promoviert und wusste schon aus Akten der DDR-Regierung, dass alle Ehrenpromotionen – die übrigens von den Fakultäten und nicht den Universitäten verliehen werden – in der Regierung gespiegelt oder genehmigt beziehungsweise nicht genehmigt wurden. Grundkriterium für uns war die Fakultätsautonomie. Also die Frage: Ist sie beschnitten worden? Oder wurde sie eingehalten – was aber noch nicht heißt, dass ein Ehrenpromotionsakt nicht auch politisch motiviert war.
Debelka: Politische Einflussnahme sagt auch nichts aus über die Person. Dass der US-Bürgerrechtler Stanley Faulkner 1985 hier ehrenpromoviert wurde, war nachweislich politisch beeinflusst. Das hatte Gründe in der Inszenierung der DDR, macht Faulkner aber nicht automatisch zu einer politisch belasteten Person.
Stengel: Das ist ein wichtiger Punkt. Uns ging es nicht um die Bewertung der Personen. Es ging um die Bewertung der Vorgänge. Natürlich wird man uns aber fragen: Haben wir unter den Ehrenpromovierten dieser Zeit Kriegsverbrecher, hohe NS-Funktionäre oder andere Personen, bei denen wir uns als Universität unbedingt verhalten müssen? Das ist nach unserem Kenntnisstand nicht der Fall.
Lässt sich das Ergebnis Ihrer Forschungen zusammenfassen?
Debelka: Es gibt einige Fälle, in denen wir eindeutig sagen können, dass Ehrenpromotionen politisch eingefordert und den Fakultäten auch aufgezwungen wurden. Wir haben auch herausgefunden, dass die politische Einflussnahme mehr ein Thema der DDR-Zeit ist.
Stengel: Für uns war ein überraschendes Ergebnis, dass es eine große quantitative Differenz gibt zwischen der Ehrenpromotionspraxis im Nationalsozialismus und in der DDR. In der NS-Zeit sind Ehrenpromotionen eher als bürgerliche, tendenziell sogar jüdische Praxis betrachtet worden. Es gibt auch Hinweise, dass Adolf Hitler selbst Ehrenpromotionen von NSDAP-Funktionären nicht gewünscht hat.
Debelka: Prominentes Beispiel ist der Reichsbauernführer und Reichsernährungsminister Walther Darré, dessen Ehrenpromotion offenbar von außen angeregt worden war. Die Fakultät wollte sie auch durchführen, das ist vom Reichserziehungsministerium aber verhindert worden.
Und in der DDR?
Stengel: Es gibt einen Schnitt in der zweiten Hälfte der 1950er Jahre, um die 3. Hochschulkonferenz der SED 1958 herum, als die Sozialistische Einheitspartei Deutschlands offiziell und programmatisch der bürgerlich und christlich geprägten Hochschullehrerschaft und Studierendenschaft den Kampf ansagte. Halle war ein zentraler Austragungsort. Hier kam es zu zahlreichen Ablehnungen. Die Theologische Fakultät selbst hat zum Beispiel über Jahre versucht, dem indischen Bischof Rajah Manikam den Ehrendoktor zu verleihen. Der gehörte aber nicht zur sozialistischen Bewegung. Die Urkunde war schon ausgestellt, die Fakultät wurde aber mit Einbeziehung des Außenministeriums dazu gebracht, den Antrag zurückzuziehen.
Die Praxis zu verhindern, ist aber offenbar irgendwann wieder gekippt…
Stengel: Richtig. Insgesamt gab es in der DDR 126 Ehrenpromotionen, der größte Teil Ende der 1960er bis in die 1980er Jahre. Ungefähr die Hälfte der Kandidatinnen und Kandidaten – es gab in der ganzen Zeit nur fünf Frauen – kam aus sozialistischen „Bruderländern“. Das wurde zum Teil auf Regierungsebene verhandelt und angeregt. So wollte etwa das ungarische Kirchenamt einen Ehrendoktortitel für Bischof Ernö Ottlyk. Die Theologische Fakultät Halle wird gefragt - vier Tage bevor der Akt stattfindet. Sie kennt den Mann gar nicht, beugt sich aber.
Hatten die Geehrten wissenschaftliche Meriten vorzuweisen oder waren die Akte zu dieser Zeit ausschließlich politisch motiviert?
Debelka: Das ist unterschiedlich. In aller Regel sind es aber politische Funktionäre, die mit Wissenschaft nicht wirklich viel zu tun haben. Es gibt 1988 zum Beispiel den Fall von Ursula Ragwitz, eine der letzten Ehrenpromotionen, die politisch noch durchgesetzt wurden. Sie saß im Zentralkomitee der SED. Damals gab es sogar starken Protest der nicht besonders widerständigen Philosophischen Fakultät. In den 1970er und 1980er Jahren sah man sonst fast keine Gegenwehr der Fakultäten mehr und es wurden auch kaum noch nonkonforme Anträge gestellt.
Stengel: Man kann dennoch nicht grundsätzlich sagen, die Ehrenpromotionspraxis wäre vollkommen politisch vereinnahmt gewesen. Immer wieder mal wurden auch Menschen gewürdigt, die wissenschaftlich verdienstvoll gewesen sind. Nach den Universitätsstatuten von 1854, 1930 und 1956 konnten die Titel ohnehin nicht nur für wissenschaftliche, sondern auch für sonstige gesellschaftliche Verdienste vergeben werden. In der NS-Zeit dagegen war vorgeschrieben, dass nur wissenschaftliche Verdienste zu ehren sind – allerdings nach Kriterien von „Rasse“ und Parteinahme für den Nationalsozialismus.
Sie haben ausschließlich Akten des Universitätsarchivs ausgewertet. Als wie vollständig schätzen Sie Ihr Bild ein?
Debelka: Es gibt 54 Ehrenpromotionen, bei denen wir kein Urteil über einen politischen Einfluss fällen können. Ich bin ziemlich sicher, dass wir zumindest alle Ehrenpromotionen aus der DDR-Zeit kennen, bei der NS-Zeit bin ich da nicht ganz so sicher.
Stengel: Die Auskunftsfähigkeit der Universitätsakten nimmt im Laufe der DDR erheblich ab. Wenn man wollte, könnte man in Akten der Staatssicherheit oder des damaligen Ministeriums für Hoch- und Fachschulwesen mehr finden.
Inwiefern hilft Ihr Bericht im Umgang mit Ehrenpromotionen, wenn er „nur“ den Prozess beschreibt? Ist die Frage nach der Person nicht bedeutender?
Stengel: Sie kann bedeutend sein. Es liegt dann in der Entscheidungsmacht der Fakultäten, sich aus ihrer fachlichen Kompetenz heraus einzelne Fälle genauer anzuschauen. Im Moment gehen wir davon aus, dass die Ehrendoktorgrade im Gegensatz zur Ehrenbürgerschaft mit dem Tod erlöschen. Man kann sie also nicht aberkennen. Aber man kann und soll sich kritisch zu ihnen verhalten.
Debelka: Was die Universität im Bericht sehen kann, ist ihre eigene Praxis – also die Frage, wie sie mit politischen Prozessen verzahnt war. Außerdem wissen wir jetzt erst einmal: Wer ist denn alles ehrenpromoviert? Es gab ja vorher keine öffentliche Liste.
*** Der vollständige Bericht soll 2022 dem Akademischen Senat vorgestellt werden.
Der Fall August von Mackensen
August von Mackensen (1849-1945) entstammt einer sächsischen Gutsverwalter-Familie. Nach dem Deutsch-Französischen Krieg 1870/71 und dem Abbruch des Landwirtschaftsstudiums an der Universität Halle entschied er sich für eine militärische Karriere. 1915 erhielt er die Ehrendoktorwürde der Universität für seine militärischen Erfolge als Generalfeldmarschall im Ersten Weltkrieg.
Prof. Dr. Dr. Uwe Wolfradt, Mitglied der Rektoratskommission, und Moritz Waitschies haben sich insbesondere mit der Rolle von Mackensens während der NS-Zeit befasst. „Er äußerte zwar ernste Vorbehalte gegenüber der NS-Ideologie, nahm aber Dotationen entgegen und trat aktiv mit seinen Auftritten für das NS-Regime ein“, heißt es in ihrer Beurteilung unter anderem. Seinen Einfluss habe er gelegentlich auch als Einsatz für Verfolgte genutzt, allerdings nur dann, wenn sie deutschnational oder nationalkonservativ waren.
Die ausführliche Einschätzung wird im Anhang zum Bericht der Rektoratskommission über Ehrenpromotionen nachzulesen sein.