„Klarer Blick für Fragestellungen im Revier“
„Es ist der Höhepunkt meiner Rede“, sagte Armin Willingmann, der gemeinsam mit Rektorin Prof. Dr. Claudia Becker die Konferenz „Transformative Praxis“ am Mittwochnachmittag eröffnete, über den Förderbescheid. 21,5 Millionen Euro an EU-Mitteln aus dem Just Transition Fund fließen damit an die MLU zum Aufbau des European Center for Just Transition Research and Impact-Driven Transfer (JTC), ein Forschungs- und Innovationszentrum für Sachsen-Anhalt, das forschungsbasierte Lösungen für den Strukturwandel in Sachsen-Anhalt entwickeln soll, etwa im Bereich der Kreislaufwirtschaft oder sozialer Innovationen.
Zuvor hatte Willingmann klar gemacht, wie wichtig es sei, dass die Wissenschaft einen Beitrag leiste und in die Gesellschaft hineinwirke, und das „mit klarem Blick für Fragestellungen im Revier“. „Ob in der Chemie, der Bioökonomie oder beim Aufbau der grünen Wasserstoffwirtschaft – das Zukunftspotenzial im Revier ist enorm. Wir müssen es in den nächsten Jahren konsequent gemeinsam ausschöpfen“, so der Minister weiter. Auch Rektorin Claudia Becker spiegelte dies in ihrer Eröffnungsrede: Oft sehe man die Wissenschaft und die Hochschulen in einer Beobachterrolle, die retrospektiv bewerte. „Wir aber wollen mit der Konferenz zeigen, wie wir mitgestalten.“
Wie unterschiedlich dieses Mitgestalten aussehen und verstanden werden kann, machte die Podiumsdiskussion zum Thema „Hochschulen im Strukturwandel und das Potenzial neuer Forschungszentren“ deutlich. Neben MLU-Prorektorin Prof. Dr. Christine Fürst nahmen daran teil: Prof. Dr. Gesine Grande, Präsidentin der Universität Cottbus-Senftenberg, Prof. Dr. Inés Obergfell, Rektorin der Universität Leipzig, und Dr. Christina Pesavento, die beim Bundesministerium für Bildung und Forschung für die Umsetzung des Strukturstärkungsgesetzes Kohleregionen zuständig ist.
Die Diskussion zeigte, wie unterschiedlich die Voraussetzungen für den Strukturwandel in den Kohleregionen sind – auch mit Blick auf die Wissenschaftslandschaft vor Ort. Gleichzeitig sind die Ansprüche an Universitäten, in verhältnismäßig kurzer Zeit große Innovationsdynamiken anzustoßen und zu koordinieren, überall ähnlich und sehr hoch. Alle Diskutantinnen waren sich einig, dass den Universitäten bei der Mitgestaltung des Strukturwandels eine zentrale Rolle zukommt – gemeinsam mit Wirtschaft, Gesellschaft und Politik. „Auch Universitäten selbst sollten eine Transformation durchlaufen“, machte Prorektorin Christine Fürst deutlich. Das gelte im Hinblick auf die Aus- und Weiterbildung künftiger Fachkräfte für Großforschungszentren wie das „Center for the Transformation of Chemistry“ (CTC) genauso wie für Angebote an Angestellte in sich wandelnden Industrien. Immer wieder kamen die Beiträge auch auf eine gewisse „Transformationsmüdigkeit“ der Bevölkerung zu sprechen, die gerade in Ostdeutschland innerhalb von wenigen Jahrzehnten den zweiten grundlegenden Wandel durchleben muss. Universitäten mit einer starken geisteswissenschaftlichen Tradition sollten hierfür auch Lösungen bereitstellen, hieß es.
Der zweite Konferenztag begann mit einer Podiumsdiskussion zum Thema „Zukunft und Transformation“ mit Thomas Wünsch, Staatssekretär im Wissenschaftsministerium des Landes Sachsen-Anhalt, und Michael Marten, Projektleiter des Zukunftszentrums im Bundeskanzleramt. Hier stand vor allem die Frage nach dem Auftrag des „Zukunftszentrums Deutsche Einheit und Europäische Transformation“ im Spannungsfeld von Vergangenheit und Zukunft im Mittelpunkt des Austausches. Am Beispiel der friedlichen Revolution als einer von vielen Transformationserfahrungen skizzierten beide Gesprächspartner die Aufgaben des Zukunftszentrums. Dabei sei es vor allem wichtig, die Zivilgesellschaft und ihre Erfahrungen nicht außer Acht zu lassen und eine Einrichtung zu schaffen, die Geschichte - Brüche - Transformationserfahrungen aufarbeitet, aufbereitet und kommuniziert. Abschließend betonte Thomas Wünsch zudem, dass die bisher geleistete Arbeit in Hochschulen und Wissenschaftseinrichtungen des Landes auch in Zukunft helfen wird, den Strukturwandel sinnvoll zu gestalten. Michael Marten plädierte dafür, die Entstehung des Zukunftszentrums nicht als abgeschlossen zu betrachten, sondern als Arbeitsprozess, der weiter mitgestaltet werden müsse.
Ein weiterer Höhepunkt am Donnerstagabend war die Unterzeichnung des erneuerten Kooperationsvertrags zwischen der MLU und der Stadt Halle durch Rektorin Claudia Becker und Bürgermeister Egbert Geier. Beide stellten danach in einem Podiumsgespräch mit Philipp Spiegel, Programmmanager beim Stifterverband, die Inhalte der Zusammenarbeit vor. Die Kooperationsvereinbarung behandelt vor dem Hintergrund des Strukturwandels und der damit einhergehenden Herausforderungen in der Stadt und der Region die Themenfelder Exzellenz- und Fachkräftesicherung, inklusive Stadtentwicklung und gesellschaftlicher Zusammenhalt.
Der neue Vertrag baut auf eine langjährige Partnerschaft auf: „Mit dem Kooperationsvertrag erneuern und festigen Stadt und Universität ihre enge Verbundenheit“, sagte Bürgermeister Geier. Rektorin Becker ergänzte: „Wir bauen auf eine langjährig gewachsene und vertrauensvolle Kooperation auf, die bereits mit vielen gemeinsamen Projekten untersetzt ist.“ Nicht zuletzt sei die sehr gute Zusammenarbeit im Rahmen des Zukunftszentrums hervorzuheben.
Ein wichtiger Impuls für die temporeiche Neugestaltung der vertraglichen Kooperation kam vom Stifterverband mit dem Programm „Transformationslabor Hochschule“. 25.000 Euro standen somit unter anderem für Workshops im Erarbeitungsprozess bereit. Halle, so lobte am Ende Programmmanager Spiegel, sei nicht nur der einzige Standort im Osten, der den Zuschlag bekommen habe, sondern mit diesem Ergebnis auch das beste Best-Practice-Beispiel im ganzen bundesweiten Programm.
Einen kurzweiligen historischen wie organisatorischen Überblick über Transformationen in Sachsen-Anhalt lieferte Dr. Jürgen Ude, Staatssekretär für Strukturwandel und Großansiedlungen in der Staatskanzlei, in seinem Grußwort zu Beginn des dritten Konferenztages. Das Land könne auf eine mehr als 150-jährige Geschichte im Bergbau und in der Technik zurückblicken, in Alexisbad im Harz wurde 1856 auch der Verein Deutscher Ingenieure gegründet, sagte er.
Mit Blick auf die gegenwärtigen Herausforderungen betonte Ude, dass es gelungen sei, einen Großteil der Bundesgelder für den Kohleausstieg in wissenschaftliche Projekte zu investieren. Als „einmalige Chance“ bezeichnete der Staatssekretär etwa die Ansiedlung des CTC, das „die Region insgesamt befruchten muss“. Immer wieder kam er auch auf die MLU und die anderen Hochschulen der Region zu sprechen, die bei vielen Projekten eine zentrale Rolle einnehmen. Für die kommenden Jahre sei das Land trotz großer Herausforderungen gut aufgestellt. „Wir freuen uns, dass wir unsere wissenschaftlichen Einrichtungen bei der Transformation an unserer Seite haben.“