Krieg und Religion: „Das berührt Grundfragen der Theologie“
Krieg, gewaltsame Auseinandersetzung, Konflikt. Warum ist das ein Thema für die Theologische Fakultät?
Daniel Cyranka: Das Thema Krieg und Gewalt ist für Menschen, die sich mit Theologie beschäftigen, vor allem, wenn Sie es an einer Fakultät mit über 500 Jahren Tradition tun, immer wieder ein ganz großes Thema. Leider. Oder auch zum Glück. Leider, weil die Auseinandersetzung oft so betrieben wurde, dass wir das heute kritisch sehen. Zum Glück, weil diese Auseinandersetzung weiter betrieben wird, wie zum Beispiel vor zehn Jahren, als die Fakultät eine Tagung zum Thema Kriegsgedenken 1914/1918 veranstaltet hat und sich den eigenen Verstrickungen gestellt hat, das heißt den Verstrickungen der Fakultät und der Kirchen und der Theologien im Ersten Weltkrieg.
Und warum ist ein Thema für die Theologie?
Cyranka: Das Thema Gewalt hat auch eine andere Dimension. Gewalt, das heißt im eigentlichen Wortsinne Macht. In Worten wie Gewaltenteilung steckt diese Bedeutung noch drin. Macht muss also bewusst ausgeübt werden und Gewalt muss machtvoll begegnet werden. Aus der theologischen Perspektive kann man für diese machtvolle Begegnung, die gemeint ist, eine Instanz aufrufen, die so auf der Alltagsbühne nicht vorkommt – es gibt eine letzte Instanz, vor der Macht und Gewalt zu verantworten sind. Das bin nicht ich, das bist nicht du und das sind nicht wir. Das heißt, Theologie hat die Möglichkeit, über die Begrenztheit der Auseinandersetzung – sei sie noch so gewalttätig – hinauszuragen.
Leider hat sie auch die Möglichkeit zu behaupten, dass sie – auf eine besondere Art – legitimiert sei, Macht auszuüben, auch im eigentlichen Sinne von körperlicher Gewalt. Das erleben wir in Kriegssituationen, aber auch im Sinne von Autoritätsgewalt und sexualisierter Gewalt. Das sind Missbrauchsfragen, die in den letzten Jahren die Debatten beherrschten – zu Recht. Damit ist noch nicht alles gesagt, was zu Theologie oder Kirche gesagt werden muss.
Was heißt das für den Studientag?
Cyranka: Krieg und Frieden, Kriegstreiberei und Friedensbewegung, Krieg ertragen müssen oder darüber entscheiden müssen - das alles zusammenzubringen, das berührt Grundfragen der Theologie, aber auch von der Theologie aus wiederum das menschliche und gesellschaftliche Handeln.
Der Studientag ist ein Angebot an die gesamte Gesellschaft, auch Schüler können kommen. Warum sollen Sie das?
Stanislau Paulau: Meine Beobachtung ist, dass in der deutschen Gesellschaft sehr oft und lange die Vorstellung vorherrschend war: Krieg und Religion, das ist etwas, das der Vergangenheit angehört, siehe Kreuzzüge. Oder es ist etwas, was den anderen zugeschrieben wird, zum Beispiel dem Islam. Jetzt aber sieht man, dass Krieg auch in Europa möglich ist und dass auch Religion eine legitimierende Rolle spielen und eine Ideologie stützen kann, die Krieg ermöglicht. Dieser Prozess, dieses Erwachen, hat auch das Bedürfnis bei Menschen aus ganz unterschiedlichen Milieus nach Einordnung hervorgebracht. Dieses Bedürfnis wollen wir mit diesem Studientag ernst nehmen und die Möglichkeit schaffen, mit unterschiedlichen Akteuren ins Gespräch darüber zu kommen. Diese Möglichkeit sollen auch Schülerinnen und Schüler haben, dafür schaffen wir eine Plattform.
Die christliche Religion hat ja, das haben Sie schon betont, eine gewisse Bandbreite zu bieten, die sich vom Heiligen Krieg bis hin zur Friedensbewegung spannt. Und es geht bei all den gestellten Fragen nicht nur um die christlichen Kirchen. Wie bearbeitet man das denn an einem Tag?
Cyranka: Wir haben uns beschränkt. Wir haben ja nicht gesagt „Religionen vor der Herausforderung von Krieg und Gewalt“, sondern wir sprechen von Theologien, damit sind die christlichen gemeint. Damit ist das Thema nicht begrenzt, aber das ist der Ausschnitt, mit dem wir arbeiten. Das bewahrt auch davor, in antagonistisch geführte Diskussionen hineinzukommen, wie Islam versus Judentum versus Christentum. Darum geht es nicht und das ist nicht sinnvoll.
Der Studientag ist kompakt und findet nicht im Format der bewährten Theologischen Tage statt, die zehn Jahre lang aktuelle gesellschaftliche Themen aufgegriffen haben. Warum?
Cyranka: Das ist ein Experiment. Brauchen wir zwei Tage oder wollen wir sehr konzentriert an einem Studientag möglichst viele Menschen zusammenführen? Wenn sich das bewährt, können wir das so fortsetzen.
Der Studientag „Theologien vor der Herausforderung von Krieg und Gewalt“ am 17. Januar
Der Tag ist als Austausch zwischen internationalen Referentinnen und Referenten, Mitgliedern der Fakultät und Gästen in unterschiedlichen Formaten (Vorträge, Workshops, Rundgespräch) konzipiert. Er findet in den Franckeschen Stiftungen, Freylinghausen-Saal, statt. Zu Gast ist u.a. Michael Roth, MdB (SPD). Der ehemalige Staatsminister für Europa beim Bundesminister des Auswärtigen (2013-2021) und derzeit Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages spricht über „Außenpolitik in Kriegszeiten. Zwischen Bergpredigt und gerechtem Frieden“.
Das gesamte Programm des Studientags und Anmeldung unter: https://blogs.urz.uni-halle.de/theologischerstudientag2024/programm/