„Manchmal passt einfach alles“

Vor seinem Büro hängt ein Bild des heutigen Dekanatsgebäudes der Medizinischen Fakultät. In dem Haus wurde 1884 die königliche Augen- und Ohrenklinik eröffnet, das erste Klinikgebäude für das spätere HNO-Fachgebiet in Deutschland. Als Prof. Dr. Stefan Plontke im Jahr 2010 nach Halle kam, war ihm die Bedeutung der Stadt für sein Fach nicht so bewusst. Heute spricht er darüber mit Begeisterung und zählt Namen seiner Vorgänger auf – wie den von Hermann Schwartze, der den Troja-Entdecker Heinrich Schliemann operierte. Dass er nun selbst seit 15 Jahren an diesem Ort wirkt, kommentiert Plontke mit einem Satz: „Manchmal passt einfach alles.“
Dass Stadt und Universität in der Fachwelt auch künftig einen Namen haben, dazu trägt der 56-Jährige mittlerweile selbst vieles bei. Das aktuellste Beispiel: Mitte September wurde ihm für sein wissenschaftliches Werk in Uppsala der Carl-Axel Hamberger Prize der schwedischen HNO-Gesellschaft verliehen. Vor Jahren, erzählt der Mediziner, habe er auf einem Kongress in Boston (USA) einen Vortrag über seine Forschung zur chirurgischen Therapie eines seltenen Tumors in der Gehörschnecke gehalten. Einer der Teilnehmer habe am Ende gesagt: „Ja, wirklich faszinierend. Aber ich habe noch eine Frage: Wo liegt eigentlich Halle?“
In der von ihm geleiteten Universitätsklinik und Poliklinik für Hals-, Nasen-, Ohrenheilkunde, Kopf- und Halschirurgie werden laut Plontke heute weltweit die meisten Fälle des gutartigen Innenohrtumors operiert, zu dem er in Boston einst referierte. Der Tumor führt zu Hörverlust und Schwindel und die Wiederherstellung des Hörens mit einem Cochleaimplantat galt lange Zeit als nicht durchführbar, weil man den Eingriff für zu traumatisch für das Ohr hielt, sagt der Mediziner. „Mein Vorteil ist nicht nur, dass ich viel operiere, sondern dass ich auch ein Team von vier Medizinphysikern und Medizinphysikerinnen habe. Die haben untersucht, warum es doch und dazu auch noch so gut klappt.“ Die interdisziplinäre und interprofessionelle Arbeit, das Zusammenwirken von Fachleuten aus Chirurgie, Pharmazie, Biologie, Medizinphysik, Logopädie und Sprachtherapie, aber auch mit dem Klinikmanagement ist ihm wichtig. Auch „grenzwertiger Perfektionismus“, wie er es augenzwinkernd nennt, wenn er Althergebrachtes doppelt hinterfragt – und so zu neuen Lösungen kommt.
Weltweit größte Hörsturz-Studie
Und Plontke publiziert viel, er ist Autor oder Co-Autor von mehr als 300 medizinischen Fachbeiträgen. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehört die Therapie von Innenohrerkrankungen, insbesondere durch lokale Medikamentenapplikation – viel in enger Kooperation mit der Pharmazie. Mit der „HODOKORT“-Studie leitete er bis 2023 die weltweit größte Studie zur Therapie des Hörsturzes. An 39 Studienzentren in Deutschland waren mehr als 300 Patientinnen und Patienten involviert. Das Ergebnis war auch ein Schock, sagt der Wissenschaftler. Denn: Die Studie ergab, dass die etablierte Therapie mit hochdosiertem Cortison keine Vorteile gegenüber der Standardbehandlung mit einer geringeren Dosis des Wirkstoffs bringt.
Was die Forschungsarbeit nicht beantworten konnte, war die Frage, wie ein Hörsturz behandelt werden kann. „Wir wissen nicht einmal, ob eine niedrigere Dosis Cortison überhaupt wirkt.“ In einer Nachfolgestudie soll das untersucht werden. Überhaupt, so Plontke, gebe es noch kein Medikament, das spezifisch für die Hörsturztherapie zugelassen ist. Aktuell leitet der Wissenschaftler eine internationale Studie in sechs europäischen Ländern, die sich mit einem neuen Wirkstoff befasst. Schlagzeilen machte zuletzt auch die Entwicklung eines extraflachen knochenverankerten Hörimplantats, an dem hallesche Forschende beteiligt waren und das von Plontke selbst weltweit zum ersten Mal nach der Zulassung einem Patienten eingesetzt wurde.
Von der Hilfskraft zum Professor
Entwickelt wurde das Implantat mit Partnern in dem Land, das ihn jetzt für seine wissenschaftliche Arbeit ehrte: Schweden. Überhaupt ist Plontke national wie international bestens vernetzt. Er organisiert auch den in drei Jahren in Berlin stattfindenden Kongress aller rund 60 europäischen Gesellschaften für Hals-Nasen-Ohren-Medizin. Für den MLU-Professor, der im Präsidium der gastgebenden europäischen Dachgesellschaft sitzt, ist das beruflich ein besonderes Highlight. Und: Mit dem Ort des Kongresses, an dem 1989 die Mauer fiel, schließt sich auch persönlich für ihn ein Kreis.
Stefan Plontke sagt von sich, dass er ohne den Mauerfall wohl nicht „von der Putzkraft zum Professor“ aufgestiegen wäre. Erst die Wende, so der gebürtige Dresdner, habe ihm das Medizinstudium ermöglicht, zu dem er zuvor trotz eines Einser-Abiturs nicht zugelassen wurde – aus politischen Gründen. Anderthalb Jahre habe er deshalb als ungelernte Hilfskraft in einer Dresdner Klinik gearbeitet. „Ich habe den Stationsflur geschrubbt, Essen vorbereitet, abgewaschen und Patientenbetten gemacht“, erinnert sich der 56-Jährige - verbunden mit der Hoffnung, über Umwege doch noch Mediziner zu werden. Dann kam die Wende.
Dem anschließenden Medizinstudium an der Berliner Charité und in Schottland folgte ein Forschungsjahr in Philadelphia, USA, in dem Plontke sich schon intensiv mit dem Gehör befasste. Die nächste Station seiner wissenschaftlichen Karriere war Tübingen, wo er sich 2006 habilitierte. Für sein Spezialgebiet HNO mag die persönliche Vorgeschichte – Erkrankungen in der eigenen Familie und sein Hobby Musik – zwar eine Rolle gespielt haben. Er sei aber auch ein bisschen „hineingerutscht“, sagt er. „Und jetzt finde ich es wirklich perfekt.“
Trias Klinik, Forschung, Lehre
An vier Tagen in der Woche steht der Mediziner heute selbst im OP-Saal. Er engagiert sich in der ärztlichen Weiterbildung und vor allem in der universitären Lehre. „Ich denke, Klinik, Forschung und Lehre befruchten sich gegenseitig“, sagt Plontke. Er ist Initiator der halleschen OP-Wochen, ein Format, in dem seit 2014 Medizinstudierende im Hörsaal moderierte Livestreams aus dem OP verfolgen können. „Das ist in Deutschland immer noch ein Alleinstellungsmerkmal“, sagt er. Und für alle chirurgischen Disziplinen eine Chance, sich zu positionieren. „Es wurde evaluiert, dass durch die OP-Wochen das Interesse an der chirurgischen Medizin gestiegen ist.“ Unter anderem für dieses Engagement in der Lehre hat ihm die Fachschaft im Jahr 2018 den mit 10.000 Euro dotierten Lehrpreis der Fakultät verliehen.
Und die Musik? Spielt in seinem Leben schon lange eine Rolle. Angefangen hat seine Leidenschaft mit dem Fagott. „Ich wollte mit elf Jahren gern ein Orchesterinstrument lernen. Dass es das Fagott wurde, war ein schöner Zufall“, sagt er heute. Später, als er auch Jazz – jedenfalls mehr als Klassik – spielen wollte, kam das Saxophon dazu. Regelmäßig spielt Plontke heute Saxophon in der Uni-Bigband, wenn es zeitlich passt auch noch Fagott im Deutschen HNO-Orchester, das sich 2014 aus den Reihen der HNO-Ärzteschaft, Angehörigen und Freunden gebildet hat. Auf die Frage, woher er die Zeit für das Hobby noch nimmt, sagt der Mediziner: Den Abend in der Woche – oder auch zwei – müsse er sich einfach gönnen. „Für mich ist es extrem wichtig, auch mal aus der Welt der Medizin raus zu sein.“ Und in der Gruppe nicht der Chef zu sein. Sogar Unterricht am Konservatorium nimmt Plontke noch. Am Ende, glaubt er, ist das Musizieren – die Koordinierung seiner Bewegungen – sogar gut für seine Fähigkeiten beim Operieren. Auch da schließt sich wieder ein Kreis.



Kommentare
Bertram Dr. Thieme am 26.09.2025 15:42
Diese großartige Wertschätzung hat Prof. Stefan Plontke mehr als verdient. Ich kenne ihn als so wertvollen Mitmenschen seit 15 Jahren und habe größte Hochachtung vor seiner bisherigen Lebensleistung!!!
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