Smarte Forschung für starke Pflanzen

19.06.2025 von Miriam Buchmann in Jahrbuch, Wissenschaft, Forschung, Wissenstransfer
Wie wirken sich einzelne Mutationen auf die Struktur und Funktion von Proteinen in Pflanzen aus? Das untersucht der Sonderforschungsbereich „Diversität pflanzlicher Proteoformen“ (SFB 1664) an der Universität Halle. Die Forschung könnte langfristig dabei helfen, Pflanzen besser auf die Folgen des Klimawandels vorzubereiten und maßgeschneiderte Proteine zu entwickeln.
Andrea Sinz und Marcel Quint sind die Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs „Diversität pflanzlicher Proteoformen“.
Andrea Sinz und Marcel Quint sind die Sprecher des neuen Sonderforschungsbereichs „Diversität pflanzlicher Proteoformen“. (Foto: Heiko Rebsch)

Ein einziger ausgetauschter Baustein im Erbgut reicht – und schon kann sich der Zeitpunkt verschieben, an dem eine Pflanze blüht. Das hatten Forschende der Uni Halle bereits 2023 am Beispiel von Gerste gezeigt. Das Erbgut der Gerste umfasst 5,1 Milliarden Basenpaare. Dass eine einzige Veränderung so viel bewirken kann, liegt daran: Das Erbgut dient als Bauanleitung für Proteine, die alle wichtigen Prozesse in Pflanzen steuern. In den Zellen werden anhand des genetischen Codes Aminosäuren aneinandergereiht, aus denen Proteine aufgebaut sind. Die Reihenfolge dieser Bausteine bestimmt die dreidimensionale Struktur eines Proteins – und auch dessen spezifische Funktion. Eine einzige Änderung im genetischen Code kann die Struktur eines Proteins so verändern, dass es anders, gar nicht oder sogar besser funktioniert. Mit dem groß angelegten Sonderforschungsbereich „Diversität pflanzlicher Proteoformen“ (SFB 1664) soll es nun tief ins Detail der dafür zugrundeliegenden molekularen Mechanismen gehen – gefördert mit 13,4 Millionen Euro der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG).

„Wir wollen erforschen, welchen Einfluss natürlich auftretende Mutationen auf die Struktur von Pflanzenproteinen und damit auf deren Funktion haben“, sagt SFB-Sprecher Prof. Dr. Marcel Quint vom Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften der MLU. Im Zentrum stehen Punktmutationen – winzige Veränderungen an nur einer Stelle im Erbgut der Pflanzen, deren Auswirkungen sehr groß sein können. 

In Phytokammern wachsen Pflanzen unter standardisierten Bedingungen.
In Phytokammern wachsen Pflanzen unter standardisierten Bedingungen. (Foto: Heiko Rebsch)

Für dieses Projekt verknüpft das Team erstmals die Expertise von Pflanzenforschung und Proteinbiochemie – zwei traditionsreiche und forschungsstarke Säulen der molekularen Biowissenschaften der MLU. In allen 17 Teilprojekten arbeiten die Forschenden verschiedener Disziplinen eng zusammen: Synergien nutzend, interdisziplinär, kollaborativ. 

„Wir haben das Beste aus beiden Welten vereint, einen Common Ground geschaffen, auf dem wir unsere beiden Forschungsbereiche Pflanzen und Proteine komplett wiederfinden. Diese Kombination ist deutschlandweit einmalig“, erklärt Quint. „Mit diesem SFB sind wir an unserem vergleichsweise kleinen Forschungsstandort Halle im Wettbewerb mit großen Standorten, und das auf höchstem wissenschaftlichen Niveau.“ Wie der Pflanzenforscher Marcel Quint ist auch seine Kollegin Prof. Dr. Andrea Sinz vom Institut für Pharmazie der MLU begeistert von dem Plan, unerschlossenes Terrain zu entdecken: „Auf dem Gebiet der Pflanzenforschung stehen Proteine noch nicht so im Zentrum wie menschliche Proteine in Pharmazie und Medizin. Daher ergeben sich für uns neue spannende Möglichkeiten, Pflanzenproteine zu bearbeiten.“

Als experimentelles Feld für die gesetzten Ziele ist der Forschungsstandort Halle bestens geeignet. Vor Ort gibt es eine ausgezeichnete analytische Infrastruktur und das entsprechende Know-how: von der Kryo-Elektronenmikroskopie über Röntgenstrukturanalyse und NMR-Spektroskopie bis hin zur Massenspektrometrie. Insbesondere Letztere ist wichtig, wenn es um eine besondere Klasse von Proteinen geht, sogenannte intrinsisch ungeordnete Proteine. Diese steuern zahlreiche lebenswichtige Prozesse, ihnen fehlt jedoch eine feste oder geordnete Struktur. „Diese Proteine sind hochflexibel. Sie verändern je nach Umgebung und Bindungspartnern ihre Struktur. Um sie genauer zu erforschen, brauchen wir komplexe Experimente und Verfahren“, erklärt Sinz.

Doktorandin Aycan Sentürk stellt eine Pflanze in eine Phänotypisierungsbox, um ihre Entwicklung genau zu dokumentieren.
Doktorandin Aycan Sentürk stellt eine Pflanze in eine Phänotypisierungsbox, um ihre Entwicklung genau zu dokumentieren. (Foto: Heiko Rebsch)

Auch das wissenschaftliche Umfeld in und um Halle bietet zahlreiche Kooperationsmöglichkeiten für den SFB: Neben der MLU beteiligen sich auch das Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) auf dem Weinberg-Campus, das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben sowie die Universität Leipzig an dem Verbund. Insgesamt forschen 27 Promovierende und neun Postdoktoranden an den SFB-Projekten. Das Team des Forschungsverbunds ist international aufgestellt – von der Expertise vor Ort bis zu Promovierenden und Postdocs aus aller Welt. „Diese Internationalität ist wichtig, um konkurrenzfähig zu sein“, betont Andrea Sinz. 

Die Vielzahl an Methoden, Disziplinen und Personen ist notwendig, um das ambitionierte Forschungsprogramm umzusetzen. Wie Marcel Quint erläutert, fehlt der Wissenschaft bislang oft das Verständnis für die Auswirkungen einzelner Mutationen auf die Proteinstruktur und -funktion. „In unserem SFB bieten wir genau die richtige Expertise, um das im Detail zu untersuchen. Wir erforschen in enger Verzahnung von Protein- und Pflanzenforschung die molekularen Mechanismen, die sich später in jedwede phänotypische Ausprägung bei den Pflanzen übersetzen lassen“, erklärt Marcel Quint. „Wir entwickeln also quasi eine Toolbox, um von der Genvariante zu einem Protein mit bestimmten Funktionen zu gelangen.“ 

Um die molekularen Mechanismen besser zu verstehen, wollen die Forschenden zunächst nachweisen, dass genetische Vielfalt tatsächlich zu unterschiedlichen Proteinstrukturen führt. Zu den Forschungsfragen gehören beispielsweise: Wie wirken sich kleinste Änderungen der Proteine – etwa durch fehlende Abschnitte oder durch winzige Modifikationen auf Genebene – auf die dreidimensionale Struktur der Proteine und deren Funktion aus? Und: Wie gehen Pflanzen beispielsweise mit Stress um, der durch Trockenheit, Hitze, Überflutung oder Extremwetterereignisse verursacht wird? 

Hierbei steht zunächst die Modellpflanze Arabidopsis thaliana im Fokus, mit der Forschende weltweit schon seit vielen Jahren arbeiten. Marcel Quint: „Für diese Pflanze gibt es eine unglaubliche Tiefe an genetischen Informationen. Über 1.000 natürliche Herkünfte aus der ganzen Welt sind komplett sequenziert. Und wir kennen all die kleinen Unterschiede im Genom.“ Diese vorliegenden Daten sollen ausgewertet und mit eigenen neuen Experimenten kombiniert werden. So will sich das Team ein genaues Bild davon machen, wie diese genetischen Varianten in der Natur entstehen und was sie bewirken.

Die avisierte „Toolbox“ der Grundlagenforschung verspricht dabei eine Fülle von konkreten späteren Anwendungsmöglichkeiten. Vor dem Hintergrund des Klimawandels ist das Ziel, Nutzpflanzen zum Beispiel resistenter gegen Trockenheit und Hitze zu machen. Unzählige weitere Anwendungsmöglichkeiten sind denkbar, wie die Synthese von Naturstoffen oder die Produktion neuer pflanzlicher Inhaltsstoffe für Medikamente. Die Langzeitvision beschreibt Quint so: „Pflanzenzüchtung der Zukunft sieht völlig anders aus als heute. Ich überlege mir vorher, was für ein Protein ich brauche, um eine bestimmte Funktion zu erzeugen. Dieses Protein designe ich dann auf genomischer Ebene.“ Anschließend würden die Baupläne für diese Proteine in Pflanzen integriert, um den Pflanzen die gewünschten Eigenschaften zu verleihen. Diese Idee ist jedoch noch Zukunftsmusik, zunächst müssen viele grundlegende Zusammenhänge untersucht und verstanden werden.

Das Gesamtprojekt ist konzipiert für drei Phasen von je vier Jahren. Bewilligt ist zunächst Phase eins. Sinz: „Unsere wissenschaftliche Expertise hier ist international wirklich kompetitiv. Wir sind sehr dankbar für dieses langfristig angelegte strukturfördernde Projekt, das national und international Strahlkraft entwickeln wird.“

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