Unermüdlich engagiert für die Meckelschen Sammlungen: Zum Tod von Rüdiger Schultka

Rüdiger Schultka gehörte zu den prägenden ostdeutschen Anatomen. Für viele hallesche Anatominnen und Anatomen war er eine Vaterfigur, gleichermaßen anatomisch sattelfest wie bescheiden, kollegial, ohne Geringschätzung. Er bleibt denen, die ihn kennenlernen und mit ihm zusammenarbeiten durften, durch sein überaus großes Fachwissen und seine menschliche Zugewandtheit unvergessen.
Nach der Flucht aus Ostpreußen führte ihn sein Weg nach Naumburg (wo er seine spätere Frau Maritta kennenlernte). Nach dem Abitur studierte er Medizin an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg. Auf das Staatsexamen 1963 folgten im selben Jahr die Promotion, ein Jahr später die Approbation als Arzt und eine zweijährige Pflichtassistenzzeit in Naumburg und Eckartsberga. 1965 begann er seine anatomische Ausbildung in Halle unter der Leitung von Joachim-Hermann Scharf, der ihn nachhaltig prägte. Er schätzte ihn über alle Maßen und verehrte ihn lebenslang. Wichtige Etappen seiner anatomischen Laufbahn waren die Facharztanerkennung (1969), die Facultas docendi (1974) und die B-Promotion zum Dr. sc. med. (Habilitation; 1981) mit dem Thema „Morphologie und Altern der Tuba uterina“. Mit der Berufung zum ordentlichen Professor 1987 folgte er seinem Mentor auf das Direktorat des Instituts für Anatomie in Halle. Unterbrochen wurde seine hallesche Zeit zuvor durch einen Forschungsaufenthalt in Brno (Tschechien) 1985 und eine Hochschuldozentur im Anatomischen Institut der Universität zu Jena von 1985 bis 1987.
Nach der Wende verlor er Ende 1992 das Direktorat. Die Abberufung war für ihn ein beruflicher und menschlicher Tiefpunkt. Von 1993 bis 2004 leitete er den makroskopisch-anatomischen Arbeitsbereich und die Prosektur im Anatomischen Institut in Halle. Er hatte die Weiterbildungsermächtigung und war Mitglied der Prüfungskommission Anatomie der Ärztekammer Sachsen-Anhalt. Zeitgleich, 1993, wurde er Leiter der Meckelschen Sammlungen der halleschen Anatomie. Er gründete 2007 den Förderverein „Meckelsche Sammlungen der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg e. V.“, deren Mitglieder ihm 2010 den Meckel-Preis verliehen und dessen Ehrenmitglied er 2013 wurde. Auf seine Initiative wurden die Meckelschen Sammlungen 2006 als einer von 365 Orten im „Land der Ideen“ durch den Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) ausgezeichnet.
Legendär waren seine Vorlesungen. Rüdiger Schultka war ein Anatom alter Schule. Er hatte eine exzellente Ausbildung genossen und gab diese an Generationen von Studierenden und Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter weiter. Er prägte mehr als 30 Jahre lang die anatomische Lehre in Halle und ist vielen Human- und Zahnmedizin-Studierenden als engagierter und verständnisvoller Dozent in bleibender Erinnerung. Seine Vorlesungen gehörten zu den beliebtesten in der Vorklinik. 2012 wurde ihm der Lehrpreis der Medizinischen Fakultät verliehen. Viele Studierende der Medizin und Zahnmedizin denken zuerst an ihn, wenn sie an ihr vorklinisches Studium in Halle zurückdenken. Sie verehren ihn als begnadeten Lehrer und verständnisvollen und fairen Prüfer. Er bleibt als wohlwollender und menschlich zugewandter Anatom in Erinnerung, auch für uns, seine Kolleginnen und Kollegen. Er hat sein Wissen im Rahmen der „Präparieren für Anatomen“-Workshops in Halle und in zahlreichen klinischen Kursen, Fortbildungen und Weiterbildungsveranstaltungen geteilt. Wichtig war ihm, auch über die Schattenseiten der Anatomie im Nationalsozialismus aufzuklären, beispielsweise zur Rolle und unheilvollen Allianz des halleschen Anatomischen Instituts mit der Hinrichtungsstätte „Roter Ochse“ in Halle zur Leichenbeschaffung.
Er hatte ein Emeritus-Zimmer im Institut und konnte sich auch nach seinem offiziellen Ausscheiden noch jahrelang seinem „Lebenswerk“ widmen, den Meckelschen Sammlungen. Sein Engagement, seine Begeisterung, seine wissenschaftliche Neugier, sein schier unerschöpfliches Wissen zeichneten ihn aus. Die Meckelschen Sammlungen sind für uns und die vielen Besucherinnen und Besucher untrennbar mit seinem Namen verbunden. Seine Doktorandinnen und Doktoranden verehrten ihn. Keiner kannte sich in der Sammlung und in den Archiven so gut aus wie er. Die Sammlungen erlebten unter ihm eine Wiederauferstehung und wissenschaftliche Weiterentwicklung und Wertschätzung. Seiner einzigartigen Expertise ist es zu verdanken, dass Erhalt und wissenschaftliche Aufarbeitung dieser weit über Halle hinaus bekannten anatomischen Sammlungen gelangen. Er machte die Sammlungen der breiten Öffentlichkeit durch vielfältige wissenschaftliche und populärwissenschaftliche Publikationen und Führungen zugänglich. Er organisierte drei Workshops zu den Meckelschen Sammlungen in Halle, zum Beispiel 2005 das internationale Symposium „Anatomie und Anatomische Sammlungen im 18. Jahrhundert“ oder 2017 „Präparate menschlicher Herkunft in universitären Sammlungen“ und nahm damit bereits vor Jahren dieses Thema in den Fokus, das heute aktueller denn je ist. 2015 wurden die Sammlungen in das Verzeichnis des „national wertvollen Kulturguts Deutschlands“ aufgenommen.
Kein zweiter wäre in der Lage gewesen, so profund und sachkundig über die vielen Facetten der Meckelschen Sammlungen zu berichten. Es ist sein Verdienst, dass die Meckelschen Sammlungen eine zuvor nicht erwartbare Renaissance erfuhren. Er wurde dafür 2020 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Die mit der Ehrung verbundene Anerkennung war, wie er stets sagte, einer der Höhepunkte in seinem Leben.
Die Meckelschen Sammlungen waren auch für ihn ein Glücksfall. Bis an sein Lebensende arbeitete er mit großer persönlicher Erfüllung für die Sammlungen. Er investierte dafür viel Zeit und reiste häufig von Naumburg nach Halle.
Das Anatomische Institut hat einen guten Freund, einen gleichermaßen kundigen wie menschlich zugewandten Kollegen und geschätzten Anatomen verloren.
Wir trauern mit seiner Familie, seiner Frau Maritta, mit der er über 50 Jahre glücklich verheiratet war, und seinen drei Söhnen.
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Prof. Dr. Heike Kielstein ist Direktorin des Anatomischen Instituts der Medizinischen Fakultät der MLU. Prof. Dr. Dr. Bernd Fischer ist der ehemalige Institutsdirektor und aktuell Vorsitzender des Fördervereins Meckelsche Sammlungen der MLU e.V.
Kommentare
Gudrun Schaaf am 27.04.2025 10:30
Mein Mann und ich hatten das grosse Glück, mit Professor Rüdiger Schultka zu arbeiten. Er vertraute uns die Dokumentation der Sammlung an. Er war ein so herzensguter, korrekter und liebevoller Mensch. Auch seine Spässe kamen dabei nie zu kurz.
Es war die schönste Zeit für uns, diesem wunderbaren Menschen kennengelernt zu haben und mit ihm arbeiten durften.
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