1990 als Aufbruch und Umbruch: „Jetzt konnten wir richtig Romanistik machen“

25.06.2025 von Katrin Löwe in Campus
Mit einem Zeitzeugengespräch unter dem Titel „Romanistik im Umbruch“ ist am Montag die Festwoche zum 150-jährigen Bestehen des Instituts an der Universität eröffnet worden. Was es zu erfahren gab? Viele persönliche Erinnerungen und Anekdoten – und warum eine halbe New Yorker Bibliothek nach Halle kam. Das und mehr aus der Zeit vor und nach 1990 berichteten Dr. Annette Schiller und Prof. Dr. Thomas Bremer.
Annette Schiller (links) und Thomas Bremer blickten in dem von Anke Auch moderierten Gespräch auf die Zeit vor, während und nach der Wende zurück.
Annette Schiller (links) und Thomas Bremer blickten in dem von Anke Auch moderierten Gespräch auf die Zeit vor, während und nach der Wende zurück. (Foto: Markus Scholz)

Rund zwei Stunden lang blickten die langjährige Dozentin für französische und italienische Sprachwissenschaft Annette Schiller und der mittlerweile emeritierte Thomas Bremer in einem von der wissenschaftlichen Mitarbeiterin Dr. Anke Auch moderierten Gespräch auf die Entwicklung des heutigen Instituts für Romanistik in der Zeit vor und nach der Wende zurück. Erinnerungen wurden geweckt, Namen bedeutender Romanisten fielen – von Victor Klemperer über Ulrich Ricken bis hin zu Gerda Haßler, die die Romanistik von 1985 bis 1992 leitete. Schiller erinnerte sich zum Beispiel daran, wie Haßler und sie selbst als deren Stellvertreterin die Schülerinnen und Schüler einluden, die sich Ende 1989 auf ein Romanistik-Studium beworben hatten – und sie fragten, was sie denn wirklich studieren wollten. Lehramt Französisch in der Kombination mit Russisch? Das war neben einigen Sprachkursen das einzige Studiengangs-Angebot am Ende der DDR-Zeit. Tatsächlich kamen auch Antworten wie Mathematik und Spanisch oder andere Fächerkombinationen, an die in der DDR nicht zu denken gewesen sei. 

Die Wende brachte für das Fach eine Phase des Aufbruchs und des Umbruchs mit sich. „Jetzt konnten wir richtig Romanistik machen“, sagte Schiller. Natürlich habe es schwierige Momente gegeben. Überprüfungen auf eine Mitarbeit in der Staatssicherheit, Wissenschaftler von außen, die der Ost-Romanistik ihre Strukturen „überhelfen“ wollten etwa.

An „Verhinderer“ könne er sich in dieser Aufbruchphase nicht erinnern, sagte Bremer, der ab 1993 eine Professur in der Romanistik in Halle vertrat und bereits im Jahr darauf als Professor für Iberoromanistik an die MLU berufen wurde. Er sprach über ungewöhnliche Wege bei der Neugestaltung des Instituts. In seinen Berufungsverhandlungen habe er damals für geisteswissenschaftliche Verhältnisse viele Mittel erhalten – die allerdings aus Haushaltsgründen in kurzer Zeit ausgegeben werden mussten. Was der Romanistik fehlte, war ausländische Literatur, die das Fächerspektrum besser abdeckt als in der DDR. „Aber wie kriege ich innerhalb von acht Wochen argentinische Bücher, einschließlich akzeptabler Rechnungen?“, so Bremer. Ein befreundeter Buchhändler habe schließlich in New York eine ganze Bibliothek erworben, von der die Hälfte an die MLU kam. Auch die Bibliothek eines deutschen Lateinamerikanisten wurde aufgekauft. Insgesamt seien 1994 rund 8.000 Bände in der Romanistik inventarisiert worden.

Bremer schilderte auch ein Phänomen, mit dem die Romanistik nach der Wende in besonderem Maß konfrontiert war: Vielen aktiven Lehrern waren in der Schule Fächer „weggebrochen“, Staatsbürgerkunde etwa, das nicht mehr unterrichtet wurde, aber auch Russisch, das plötzlich wenig gefragt war. Die zu DDR-Zeiten ausgebildeten Französisch-Russisch-Lehrkräfte wurden nun berufsbegleitend in einer weiteren Sprache ausgebildet, zum Beispiel Spanisch. Bremer sprach von Staatsexamen-Prüfungen wie am Fließband. „Es war unglaublich, Stress pur.“ Ergänzt wurde die Veranstaltung im Seminarraum 1 des Steintor-Campus durch Fragen aus dem Publikum, zu dem auch Alumni der Romanistik gehörten.

Bereits seit April hat das Institut für Romanistik verschiedene Veranstaltungen dem Jubiläum gewidmet. Am Freitag, zum Abschluss der Festwoche, gibt es noch einmal einen Blick in die Geschichte: bei einem Stadtspaziergang zu den historischen Orten des Fachs in Halle. Die Lektorin für Französisch, Sophie Ortiz-Vobis, hat mit Studierenden - in Kooperation mit Radio Corax - einen Podcast aufgenommen anlässlich des Jubiläums. Der Titel ist "Frankophone Texte":https://radiocorax.de/150-jahre-institut-fuer-romanistik-in-halle-frankophone-texte/

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