Resistente Keime im Visier
In der Formelsprache der Chemie sehen die Verbindungen ähnlich kompliziert aus, wie ihr Name für Nicht-Chemiker klingt. Umso einfacher und damit auch preiswerter aber lässt sich diese „Thienocarbazol“ genannte Gruppe von Substanzen im Labor herstellen. Das ist eine wichtige Eigenschaft für einen Wirkstoff, der in Zukunft Infektionen mit Bakterien auch dann behandeln soll, wenn herkömmliche Antibiotika schon längst nicht mehr wirken. Bis es so weit ist, dürfte zwar noch viel Wasser die Saale hinunterfließen. „Aber bisher sehen die Ergebnisse sehr vielversprechend aus“, sagt Prof. Dr. Andreas Hilgeroth, der mit seinen Mitarbeitern im MLU-Institut für Pharmazie diese Wirkstoffe mit dem schwierigen Namen entwickelt. Und der damit ein Problem anpackt, das vielen Ärzten auf den Nägeln brennt.
Stützt sich doch die Behandlung von Infektionen mit Bakterien seit dem Zweiten Weltkrieg auf Antibiotika, die ursprünglich Schimmelpilze, Bakterien und andere Organismen gebildet hatten, um damit ihre Konkurrenz in Schach zu halten. Diese Naturstoffe und die daraus entwickelten Verbindungen aber müssen recht aufwändig und damit nicht allzu billig hergestellt werden. Vor allem aber haben Bakterien längst gelernt, sich gegen diese Antibiotika zu wehren. Besonders in Krankenhäusern tauchen daher immer wieder Keime auf, gegen die herkömmliche Antibiotika nicht mehr wirken. „Um eine Rückkehr dieser Infektionskrankheiten und damit einer uralten Geißel der Menschheit zu verhindern, brauchen wir daher neue Wirkstoffe“, erklärt Andreas Hilgeroth.
Die Idee für eine solche Substanz brachte eine junge Wissenschaftlerin aus Ägypten an die MLU. Im Rahmen ihrer Doktorarbeit ließ sie relativ einfache und altbekannte chemische Verbindungen miteinander reagieren und gewann so verschiedene Thienocarbazole, von denen MLU-Forscher Marius Seethaler verschiedene Varianten entwickelte. Und das nicht etwa mit Hilfe teurer Katalysatoren und hohen, viel Energie kostenden Temperaturen. „Bei uns aktiviert die einfache und preiswerte Essigsäure eine der beiden Verbindungen, die dann mit der anderen reagiert und schließlich in einem einzigen Gefäß und damit sehr einfach die gewünschten Substanzen liefert“, fasst Hilgeroth die Herstellung der neuen Wirkstoffe zusammen.
Ihren Verdacht, diese Thienocarbazole könnten gegen Bakterien-Infektionen wirken, überprüften die MLU-Forscher Marius Seethaler und Andreas Hilgeroth gemeinsam mit Kolleginnen und Kollegen der Universitäten in Würzburg und Greifswald mit Hilfe von Staphylococcus aureus-Bakterien. Solche Mikroorganismen sind sehr weit verbreitet und leben häufig auch auf der Haut von Menschen, ohne dort Schaden anzurichten. Nur wenn zum Beispiel das Immunsystem geschwächt ist, nutzen die Bakterien ihre Chancen für eine Infektion. Dann kommt es zu Hautentzündungen wie Furunkeln, aber manchmal auch zu lebensbedrohlichen Entzündungen der Lunge oder des Herzens.
Normalerweise lassen sich solche Infektionen mit Antibiotika gut behandeln. Besitzen die Keime aber bereits Widerstandskräfte gegen einzelne oder mehrere Antibiotika, sind diese Waffen gegen Infektionen stumpf geworden. Gerade bei Staphylococcus aureus tauchen solche Resistenzen häufig auf. Die neuen Wirkstoffe von Hilgeroth aber setzen diese Bakterien auf einem völlig anderen Weg und zum Teil sogar besser als herkömmliche Antibiotika außer Gefecht und sollten daher auch gegen solche multiresistenten Keime wirken. Sie helfen auch gegen Enterococcus faecium. Diese normalerweise harmlosen Bewohner unseres Darms können nicht nur verschiedene Antibiotika-Resistenzen haben, sondern auch Infektionen von Herz, Galle und Blase auslösen.
„Inzwischen haben wir auch sehr klare Hinweise, wie unsere Thienocarbazole wirken“, berichtet Hilgeroth. Sie nehmen offensichtlich ein „Pyruvatkinase“ genanntes Enzym ins Visier, das eine entscheidende Rolle bei der Energieversorgung praktisch aller Organismen auf der Erde spielt. Dabei zielen die Thienocarbazole allerdings nicht auf die Schlüsselregion des Enzyms, an der eine lebenswichtige Reaktion des Energie-Stoffwechsels stattfindet. Schließlich ähnelt sich dieser Bereich bei verschiedenen Organismen sehr. Wirkt eine Substanz dort, könnte sie daher die gefährlichen Keime und den Patienten gleichermaßen treffen. In der Nachbarschaft dieser Schlüsselregion gibt es dagegen durchaus Unterschiede. Genau dort heften sich die Thienocarbazole an eine Stelle, die für eine bestimmte Bakteriengruppe typisch ist, zu der die Enterococcus- und die Staphylococcus-Keime gehören. Von dort aus blockiert der Wirkstoff die Schlüsselregion und schaltet so das Enzym und das Bakterium gleichermaßen aus, ohne die Pyruvatkinasen in Tieren und Menschen zu schädigen.
Tatsächlich schalten Hilgeroth und seine Kollegen mit diesem zielsicheren Wirkstoff in Wachsmotten zwar diese Bakterien, nicht aber die Insekten aus. Die MLU-Forscher halten also einen vielversprechenden Wirkstoff in der Hand, der in Zukunft bei Bakterien-Infektionen eingesetzt werden könnte, gegen die herkömmliche Antibiotika nichts mehr ausrichten können.
„Bis es so weit ist, müssen wir allerdings noch etliche Fragen klären“, sagt Andreas Hilgeroth. Besonders wichtig ist dabei das Verhalten der Wirkstoffe im Organismus: Erreichen sie ihr Ziel, ohne dass sie vorher abgebaut werden? Schädigen sie unter Umständen innere Organe wie die Leber oder das Herz? Verändern sie möglicherweise das Erbgut, verursachen vielleicht sogar Krebs oder beeinflussen eine Schwangerschaft? Auch wenn es bisher keinerlei Hinweise auf solche Probleme gibt, müssen etliche ähnliche Fragen in pingelig genauen Untersuchungen beantwortet werden. Anschließend werden die Substanzen jahrelang an Freiwilligen auf ihre Wirkungen und Nebenwirkungen geprüft. Sollten die Thienocarbazole alle diese Hürden überwunden haben, könnten in etwa zehn Jahren die ersten Menschenleben mit diesen Wirkstoffen aus der MLU gerettet werden.
Prof. Dr. Andreas Hilgeroth
Institut für Pharmazie
Tel. +49 345 55-25168
Mail: andreas.hilgeroth@pharmazie.uni-halle.de