Religionen verbinden: Ein Ort für Gemeinschaft
Dürfen meine Fingernägel rot sein? Muss mein Rock eine bestimmte Länge haben? Darf ich ein Glas Wein trinken? Das waren Fragen, die Christin Wehe durch den Kopf schwirrten, bevor sie sich zum ersten Mal mit der Muslimischen Hochschulgemeinde Halle traf. Die Gemeinde wurde im Juni 2012 an der MLU gegründet. Sie setzt sich für die Belange muslimischer Studierenden ein und möchte einen Beitrag zum interreligiösen Dialog leisten. Der Austausch zwischen den Religionen ist auch Wehe sehr wichtig.
Ob Islam, Judentum, Christentum oder Buddhismus – wer neu in einer Stadt ist, hat es nicht leicht, eine neue Glaubensgemeinschaft zu finden. Diese Erfahrung machte auch die Theologiestudentin und Studienbotschafterin Marie-Luise Gloger, als sie nach Halle kam: „Zu Hause hab ich in der Jungen Gemeinde eine eigene Gruppe geleitet, wir hatten eine Band und haben die gesamte Kirche umgestaltet. Und hier? Wusste ich nicht, wie ich die passende Gemeinde für mich finden sollte.“ Dieses Problem wollte sie im Projekt „Glaube ∙ Gemeinschaft ∙ Geborgenheit“ des Hochschulmarketings angehen. „Wir haben eine Plattform geschaffen, die religionsübergreifend ist und Studierenden einen Überblick über viele Glaubensgemeinschaften in Halle gibt“, erklärt die Projektleiterin Christin Wehe. „Sie soll beim ersten Schritt helfen, aber auch die ökumenischen Beziehungen stärken und Vorurteile abbauen.“
„Es war leichter als gedacht, viele Gemeinschaften von dem Projekt zu überzeugen“, erklärt die MLU-Alumna. „Alle traten uns mit einer unglaublichen Offenheit gegenüber und luden uns ein, auch sehr private Momente zu teilen.“ Zum Beispiel Alexander Kahanovsky, ein junger Familienvater, der seit 2011 Rabbiner für die Gemeinde in Halle ist. „Freitag bis Sonntag ist er mit seiner Familie in Halle, den Rest der Woche in Berlin. Als wir uns mit unserem Projekt vorstellten, lud er uns in seine kleine Wohnung über der Synagoge ein“, erzählt die Germanistin. „Wir wurden von dem großen, gestanden Mann mit Hut sehr freundlich begrüßt. Man merkte, dass er ein wenig aufgeregt war. Aber er und seine Frau haben wirklich alle Fragen beantwortet, die uns auf der Zunge lagen: Zur Religion und zum Leben einer jüdischen Familie.“
Diese Offenheit der Gemeinschaften beruht auch auf dem Bedürfnis Vorurteile abzubauen. „Im Islamischen Kulturzentrum in Neustadt konnte ich – als Frau – sogar den Gebetsraum der Männer sehen. Man zeigte mir, wo die Füße gewaschen werden. Damit hätte ich gar nicht gerechnet. Und zum Fastenbrechen wurde ich auch eingeladen“, schildert Wehe ihre Erfahrungen.
Auch die christlichen Gemeinden und Zen-Kreise sind auf der Projekthomepage vertreten. Torsten Evers, Referent für Hochschulmarketing an der MLU, praktiziert Zen-Buddhismus in der Tradition des japanischen Rinzai. „Zen ist ein Weg der Selbsterkenntnis. Über die Entwicklung von Weisheit und Mitgefühl wird ein glückliches Leben angestrebt. Das klingt wahrscheinlich etwas abstrakt. Interessenten verschaffen sich daher bei einem Übungsabend am besten einen eigenen Eindruck.“ Wie solch ein Übungsabend in einem Zen-Kreis aussehen kann, zeigt ein Video auf der Website.
Aber auch Fotos und Audiointerviews auf den Hauptseiten vermitteln eine erste Vorstellung von den verschiedenen Glaubensrichtungen. Das Angebot reicht dabei von Hochschulgemeinden bis hin zu alteingesessenen Gemeinden, wie die der Marktkirche. Quer durch alle Religionen. Marie-Luise Gloger erklärt: „Jeder soll hier die Gemeinde finden, die zu ihm passt. Ob musikalisch ausgerichtet oder ganz traditionell.“ Und Christin Wehe ergänzt: „Und gerade unsere internationalen Studierenden finden in der Gemeinschaft ihrer Religion ein Stück Heimatgefühl.“
Für sie war es wichtig, eine evangelische Gemeinschaft zu finden, die das komplette Gemeindeleben von Jung bis Alt bietet. So kannte sie es aus ihrer Heimat. „Bei meiner Suche hier in Halle merkte ich, dass es nicht einfach ist, als Studentin ohne eigene Familie eine Gruppe zu finden, die genau für diese Lebenssituation gemacht ist.“ Auf der Buchmesse in Leipzig vor zwei Jahren stellte sie fest, dass es auch anderen so ging. Zusammen mit Evers, Gloger und Wolfgang Seidel, dem Messebeauftragten der Uni und einem aktiven Mitglied in der neu-apostolischen Kirche, entwickelte sie die Idee einer religionsübergreifenden Plattform.
Das Team ist weiter gewachsen: Studentin und Pfarrerstochter Luise Treu unterstützt bei der Umsetzung und Betreuung. „Wenn man einen neuen Lebensabschnitt anfängt und seine Familie verlässt, dann wird die Gemeinschaft umso wichtiger“, resümiert Wehe. „Glauben heißt schließlich auch, gemeinsames Zusammenleben gestalten.“ Das gemeinsam auch religionsübergreifend heißt, merkte sie beim ersten Zusammentreffen mit der Muslimischen Hochschulgemeinde. „Ich habe an diesem Abend ganz unterschiedliche Menschen getroffen. Einige Frauen trugen Kopftücher, andere nicht. Und aufgenommen hat man mich ganz selbstverständlich.“