Nutztierhaltung: Zwischen Ethik und Etikett

21.05.2024 von Wenke Dargel in Wissenschaft, Forschung
200 Millionen Nutztiere lebten 2023 in Deutschland, die meisten davon in der intensiven Nutztierhaltung, mit vielen Tieren auf wenig Raum. In Umfragen geben immer mehr Menschen an, sehr viel Wert auf eine artgerechte Haltung zu legen. Wie passt das zusammen? Agrarwissenschaftler der MLU haben dieses Thema näher untersucht. Im Interview spricht Richard Völker darüber, warum Menschen manchmal bestimmte unbequeme Informationen vermeiden.
Kühe stehen an einem Fressgitter. Wie genau Verbraucherinnen und Verbraucher über die Haltung von Nutztieren Bescheid wissen wollen, wurde jetzt an der MLU untersucht.
Kühe stehen an einem Fressgitter. Wie genau Verbraucherinnen und Verbraucher über die Haltung von Nutztieren Bescheid wissen wollen, wurde jetzt an der MLU untersucht. (Foto: Pixabay)

Herr Völker, wenn Menschen Informationen ausblenden, die für sie unangenehm sind, spricht man von Informationsvermeidung. Sie haben dieses Verhalten im Zusammenhang mit der Haltung von Nutztieren untersucht. Warum?
Richard Völker: Tierschutz ist einer der entscheidenden Faktoren dafür, ob die Gesellschaft Nutztierhaltung akzeptiert. Zudem ist er als Staatsziel im Grundgesetz verankert. In der Debatte darüber, wie Tiere in landwirtschaftlichen Betrieben gehalten werden sollten, gibt es oft eine Annahme: Wenn Menschen tatsächlich wüssten, wie Nutztiere gehalten werden, müsste die Tierhaltung verbessert werden. Wir haben diese Annahme hinterfragt und untersucht, ob Menschen überhaupt wissen wollen, wie es in deutschen Ställen aussieht. Deshalb haben wir uns mit dem Phänomen der Informationsvermeidung beschäftigt. Dieses hat man erstmals in der Medizin beobachtet. Ein Beispiel: Man ahnt, nicht ganz gesund zu sein, geht aber aus Angst vor der Diagnose nicht zum Arzt. Dieses Verhalten hat ökonomisch relevante, individuelle und gesellschaftliche Folgen.

Richard Völker
Richard Völker (Foto: Lucie Schirmer)

Wie haben Sie den Zusammenhang von Informationsvermeidung und Tierschutz untersucht?
Wir haben im Januar 2022 eine Onlinebefragung mit knapp 500 Personen durchgeführt. Wir wollten herausfinden, ob die Befragten Informationen über die Zustände in der intensiven Tierhaltung vermeiden, obwohl sie ein Problem- und Verantwortungsbewusstsein darüber besitzen. Hierfür haben wir die Teilnehmenden verschiedene Aussagen auf einer 5-stufigen Skala bewerten lassen. Zum Beispiel: „Politiker müssen Anreize schaffen, um Tierleid zu vermeiden“, oder: „Die intensive Nutztierhaltung ist ein großes Problem im Hinblick auf die Einhaltung des Tierschutzgesetzes.“ Aus anderen Bereichen wissen wir, dass es zu Informationsvermeidung kommen kann, wenn man sich für etwas besonders verantwortlich fühlt, daran aber nicht erinnert werden möchte. Eine weitere Ursache für Informationsvermeidung ist, dass man die Folgen des eigenen, verantwortungslosen Handelns nicht wahrnehmen möchte. Dies kann auch beim Konsum tierischer Produkte passieren. Wir haben aber in Bezug auf unsere Fragen festgestellt: Mit Tierschutzfragen beschäftigen sich vor allem Menschen, denen diese wichtig sind. Anders ist das in der Medizin: Hier vermeiden Menschen Informationen eher, wenn ein hohes Problem- und Verantwortungsbewusstsein besteht.

Welche Menschen vermeiden aktiv Informationen über Haltungsbedingungen von Nutztieren?
Aus unseren Ergebnissen können wir nicht folgern, dass eine bestimmte Gruppe eher Informationen vermeidet als eine andere. Wir haben das Geschlecht, Alter, Bildung, politische Einstellung, Persönlichkeitsmerkmale und die Nutzung sozialer Medien abgefragt. Dabei konnten wir keinen Zusammenhang zwischen diesen Merkmalen und der Informationsvermeidung feststellen. Aus unseren Daten geht hervor, dass in diesem Themenfeld keine Informationsvermeidung beobachtet werden kann.

Ist es nicht selbstverständlich, dass sich Menschen mit Tierschutz beschäftigen, wenn ihnen das Thema wichtig ist?
Nicht unbedingt. Menschen gehen beim Konsum von Produkten „belief investments“ ein. Sie investieren Geld in bestimmte Produkte, wenn sie glauben, dass diese für ihre Werte stehen. In diesem Fall wäre es ein Nachteil für die Konsumenten, wenn sie erfahren, dass das Produkt diese Werte nicht verkörpert. Denn die Folge wäre, dass sie sich gegen den Kauf bestimmter Produkte entscheiden und eventuell auf andere Produkte ausweichen müssten.  Das könnte auch dazu führen, dass sie Informationen vermeiden. Deshalb war für uns auch ein anderes Ergebnis denkbar.

Ist es sinnvoll, Fleisch mit der Haltungsform zu kennzeichnen?
Wir haben versucht, das Thema mit Blick auf das neue verpflichtende Tierhaltungslabel einzuordnen. Ab August 2025 ist dieses für bestimmte Produkte aus Schweinefleisch gesetzlich vorgeschrieben und muss Auskunft über die Haltungsform geben. Später soll es auf andere Tierarten ausgeweitet werden. Für den Erfolg eines Labels ist es wichtig, dass es für die Empfänger relevante Informationen transportiert. Das ist Ziel des Gesetzes für die Tierhaltungskennzeichnung. Ein verbindliches Kennzeichen könnte die Wissensgrundlage verbessern und somit eigenverantwortliches Entscheiden beim Erwerb von Lebensmitteln erleichtern.

Wie wollen Sie weiter dazu forschen, wie Nutztierhaltung wahrgenommen wird?
Wir sind dabei, Informationsvermeidung konkret anhand von Tierhaltungskennzeichnung zu untersuchen. Hierzu wollen wir in Experimenten jeweils eine konkrete Information präsentieren und untersuchen, inwiefern diese Information vermieden wird. In meiner Doktorarbeit analysiere ich, wie in den auflagenstärksten, überregionalen Zeitungen der Zusammenhang zwischen intensiver Nutztierhaltung und Tierschutzverstößen dargestellt wird. Diese Darstellungen haben großen Einfluss darauf, wie die Öffentlichkeit die Tierhaltung wahrnimmt.  

Studie: Völker, R., Grüner, S. Animal Protection and information Avoidance. In C. R Sunstein & L.A. Reisch, Research handbook on nudges and society. Cheltenham, UK: Edward Elgar Publishing doi: 10.4337/9781035303038.00015  

Schlagwörter

Agrarwissenschaften

Kommentar schreiben

Auf unserer Webseite werden Cookies gemäß unserer Datenschutzerklärung verwendet. Wenn Sie weiter auf diesen Seiten surfen, erklären Sie sich damit einverstanden. Einverstanden