Nachhaltigkeit in der Forschung: Ein erster Überblick
Es war der späte Nachmittag des 13. Januar 2023, als die Universität ein besonderes Papier veröffentlichte: Es enthielt die Ergebnisse der erfolgreichen Verhandlungen zwischen dem Rektorat und Studierenden der Gruppe „End Fossil: Occupy! Halle“, die sich für Klimagerechtigkeit einsetzt und zu diesem Zeitpunkt die seit fast fünf Tagen andauernde Besetzung des größten Hörsaals der Universität beendete. Unter dem Stichwort „Sichtbarkeit und Entwicklung von Angeboten“ waren sich beide Seiten einig, mehr Transparenz zu schaffen. Und das unter anderem mit einem Projekt, an dem die MLU bereits in den Monaten zuvor gearbeitet hat: einem Forschungsatlas Nachhaltigkeit.
Der Geowissenschaftler Prof. Dr. Michael Stipp, seit 2019 Nachhaltigkeitsbeauftragter des Rektorats, war im Januar beim ersten Gespräch mit den Studierenden dabei. „Wir konnten vermitteln, dass in der Forschung schon einiges getan wird“, sagt er. Und dass auch in der Lehre und im Universitätsbetrieb insgesamt einiges existiere, was den Nachhaltigkeitsrichtlinien entspreche, zum Beispiel die einhundertprozentige Versorgung mit Ökostrom oder ein Mülltrennungsprojekt am Campusbereich Heide-Süd. „Das war schon von Vorteil für die Gespräche“, sagt Stipp.
Unter seiner Regie ist im Jahr 2020 auch das Nachhaltigkeitsbüro mit Koordinator Frederik Bub eingerichtet worden. Der Forschungsatlas gehörte zu einer der ersten Aufgaben des Büros auf dem Weg zu einer Nachhaltigkeitsstrategie für die gesamte Universität. Für die Analyse des Status quo wurde zunächst mit Hilfe einer Schlagwortliste das Forschungsportal Sachsen-Anhalt ausgewertet, in dem zahlreiche Forschungsprojekte und Publikationen aus dem ganzen Land aufgelistet sind, erklärt Frederik Bub. Da die Datenbank des Forschungsportals nicht vollständig ist, seien in einem zweiten Schritt die Webseiten der einzelnen Lehrstühle der Universität durchsucht worden - in einem dritten Schritt gibt es zahlreiche Ergänzungen aus den einzelnen Fachbereichen. Insgesamt konnten so bislang (Stand Ende April) 456 Projekte mit Nachhaltigkeitsbezug identifiziert werden, die entweder noch laufen oder gerade erst beendet worden sind. Abgeschlossen sein soll der Atlas damit ausdrücklich nicht - er soll laufend weiter aktualisiert und ergänzt werden. Meldungen seien also willkommen, so Bub.
Für die Frage, welche Projekte im Atlas abgebildet werden, spielten die 17 Nachhaltigkeitsziele, die die Vereinten Nationen 2015 mit der „Agenda 2030“ beschlossen haben, die entscheidende Rolle. Die Sustainable Development Goals (SDG) beinhalten weit mehr als Klimaschutz und saubere Energie. Die Beseitigung von Armut und Hunger spielt darin ebenso eine Rolle wie zum Beispiel hochwertige Bildung, Gesundheit, weniger Ungleichheiten, nachhaltiger Konsum oder menschenwürdige Arbeit und Wirtschaftswachstum. „Alle 17 Ziele sind wichtig – und auch erforderlich. Nur mit Bildung und ohne Armut und Hunger sind wir zum Beispiel in der Lage, gemeinsam als Weltgemeinschaft für Klimaschutz zu kämpfen“, sagt Stipp.
Die Frage, die sich für den MLU-Forschungsatlas stellte: Ist zum Beispiel beim Ziel Gesundheit alles Nachhaltigkeitsforschung, was in der Unimedizin passiert? Der Fokus sei in solchen Fällen auf Projekte gerichtet worden, die mehr als einem der 17 SDG entsprechen, erklärt Bub. In der Medizin wäre das beispielsweise die Verbindung von Gesundheit und Migration oder von Gesundheit und weniger Ungleichheiten, wie sie in Projekten der Arbeitsgemeinschaft „Global Health“ existiert. Entstanden ist nach diesen Kriterien nun eine Datenbank, die zeigt, wie breit gefächert das Spektrum an der Universität ist. Sie enthält Projekte aus allen Fakultäten – von der Biodiversitäts- und Energieforschung in den Naturwissenschaftlichen Fakultäten über Unternehmensethik an der Juristischen und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät bis hin zu Akzeptanzforschung für erneuerbare Energien und Fragen von Bildungsgerechtigkeit in den philosophischen Fakultäten oder einem Projekt zum Thema fairer Handel in der Theologie. „Die Breite hat mich selbst überrascht“, sagt Stipp.
Geforscht wird an der MLU zu allen 17 SDG. Am stärksten vertreten sind Projekte im Kontext des UN-Nachhaltigkeitsziels „Leben an Land“, gefolgt von „Weniger Ungleichheiten“, „Maßnahmen zum Klimaschutz“, „Gesundheit und Wohlergehen“ und „Hochwertige Bildung“. Und während einige Fakultäten erwartungsgemäß besondere Schwerpunkte haben, gibt es Themen, die sowohl an den naturwissenschaftlichen als auch an den philosophischen Fakultäten vertreten sind – beispielsweise Hunger, Energie und Klima.
Der Forschungsatlas schaffe nicht nur Transparenz und sei eine Werbung für die Universität nach außen, sagt Stipp. Er führe auch innerhalb der Universität zu mehr Sichtbarkeit und könne so neue Kooperationsmöglichkeiten für inter- und transdisziplinäre Forschung schaffen. Vorstellbar, so Nachhaltigkeitskoordinator Bub, sind auf dessen Basis auch Veranstaltungsreihen zu einzelnen Nachhaltigkeitszielen, in denen Forschende einen Einblick in ihre Arbeit und die Herausforderungen geben.
Zum Forschungsatlas unter: https://www.rektorin.uni-halle.de/stabsstellen/vielfalt-chancengleichheit/nachhaltigkeit/forschung___transfer/forschungsatlas/
Prof. Dr. Michael Stipp
Institut für Geowissenschaften und Geographie
Telephone +49 345 55-26150
Mail michael.stipp@geo.uni-halle.de
Frederik Bub
Nachhaltigkeitsbüro
Telephone +49 345 55-25596
Mail frederik.bub@rektorat.unihalle.de