Mathematiker aus Passion – Ein langes Leben für seine Wissenschaft

21.02.2023 von Prof. Dr. Christiane Tammer in Personalia
Am 22. Januar 2023 ist Prof. Dr. Alfred Göpfert im Alter von 88 Jahren verstorben. Der Mathematiker war der letzte Rektor der Technischen Hochschule „Carl Schorlemmer“ Leuna-Merseburg und maßgeblich am Erneuerungsprozess der Hochschulen nach der friedlichen Revolution und an der Integration von Teilen der TH Leuna-Merseburg in die MLU beteiligt. Ein Nachruf von seiner Schülerin und Kollegin in Halle, Prof. Dr. Christiane Tammer.
Alfred Göpfert in seiner Zeit an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg
Alfred Göpfert in seiner Zeit an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg (Foto: Universitätsarchiv Halle / Bildstelle TH Leuna-Merseburg)


Mit großer Bestürzung und mit Trauer haben wir vom Tod unseres verehrten akademischen Lehrers und außerordentlich geschätzten Wissenschaftlers Alfred Göpfert erfahren. Mit diesem Nachruf wollen wir unseren Weggefährten und wundervollen Freund Alfred Göpfert und sein Wirken als national wie international hoch geschätztem Kollegen würdigen.

Bereits als begabter Schüler begeisterte sich Alfred Göpfert für die Mathematik. Seinem großen Wunsch entsprechend studierte er Mathematik an der Universität Leipzig von 1952 bis 1957. Sein Studium schloss er im Jahr 1957 mit einer Diplomarbeit auf dem Gebiet der Topologie am Lehrstuhl von Prof. Dr. Herbert Beckert ab. Nach dem Studium war Alfred Göpfert zwei Jahre lang am Luftfahrtforschungszentrum in Dresden tätig. Hier beschäftigte er sich mit Fragen der angewandten Mathematik, insbesondere mit der Flugstabilität bei Störungen. Bereits hier hatte er Zugang zu frühen elektronischen Rechenanlagen. Anschließend ging Alfred Göpfert für ein Semester an die Bauhochschule Leipzig, wo er Lehrveranstaltungen auf dem Gebiet der Darstellenden Geometrie übernahm.

Im Jahr 1960 begann der junge Forscher seine Laufbahn am Mathematischen Institut der Universität Leipzig als wissenschaftlicher Assistent. Der damalige Direktor des Instituts, Herbert Beckert, vertrat in seinen Lehrveranstaltungen sehr viele mathematische Gebiete bis hin zur Theoretischen Physik. Dadurch wurde auch bei Alfred Göpfert das Fundament für ein außerordentlich breites mathematisches Wissen gelegt, von dem später seine Studenten und Doktoranden ebenfalls sehr profitierten. Im Jahr 1962 schloss Alfred Göpfert seine Promotion an der Universität Leipzig unter Betreuung von Herbert Beckert auf dem Gebiet Analysis, partielle Differentialgleichungen ab. Er hatte sich darin mit approximativen Methoden bei der Behandlung von Rand- und Eigenwertproblemen beschäftigt. Seine Promotion „Über die Approximation längs Flächen vorgelegter Funktionen und Vektorfelder mittels der Lösungen geeigneter Randwertprobleme elliptischer Differentialgleichungen und Differentialgleichungssysteme“ wurde international stark beachtet.

Zur gleichen Zeit entwickelte Alfred Göpfert ein großes Interesse an Fragestellungen der Konvexen Analysis und der Optimierungstheorie. Auf diesem Gebiet war er dann jahrzehntelang sehr erfolgreich tätig. Im Jahr 1973 schloss er die Promotion B (Habilitation) zum Thema „Optimierungsprobleme bei parabolischen und elliptischen Differentialgleichungen“ an der Universität Leipzig ab. 1974 folgte Alfred Göpfert einem Ruf an die Technische Hochschule Leuna- Merseburg als Professor für Mathematik. Hier baute er mit großem Erfolg eine Forschungsgruppe auf, in der wiederum international viel beachtete Resultate auf den Gebieten der Optimierungstheorie in allgemeinen Räumen und der Funktionalanalysis entwickelt wurden. Professor Göpfert leitete diese Arbeitsgruppe mit großem Engagement, betreute und förderte eine große Anzahl von Diplomarbeiten, Promotionen und Habilitationen.

Durch seine breiten Kenntnisse auf dem Gebiet der Mathematik, seine kreative Forschungstätigkeit, durch seine Ideen und seine menschliche Ausstrahlung hat Alfred Göpfert Generationen von jungen Menschen für die Mathematik begeistert. Immer war er offen für fachliche Diskussionen und gab seinen Schülern und Kollegen wichtige Anregungen. Er erkannte die fachliche Begabung von Nachwuchswissenschaftlern und hielt diesen den Rücken frei für ihre Forschungsarbeit. Durch sein großes Engagement, seine Integrität, seine Konsequenz und sein Geschick war es möglich, dass begabte Nachwuchswissenschaftler Promotions- und Habilitations-Stellen an der Technischen Hochschule erhielten und so für sie eine Laufbahn in der Wissenschaft eröffnet wurde. Seine große fachliche Kompetenz und die damit verbundene menschliche Souveränität bildeten die Grundlage für Alfred Göpferts Handeln. Wir, Alfred Göpferts Schüler und Kollegen, haben ihm unendlich viel zu verdanken. Er hat uns eine Zukunft in der Wissenschaft gegeben.

Alfred Göpfert im Jahr 2008
Alfred Göpfert im Jahr 2008 (Foto: Andreas Struzina)

Professor Alfred Göpfert war aktiv an der Gestaltung des Erneuerungsprozesses der Hochschulen in Sachsen-Anhalt beteiligt. Von 1992 bis 1993 war er der letzte Rektor der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg. Es war sein Verdienst, dass international anerkannte Forschergruppen der Merseburger Hochschule ihre wissenschaftliche Tätigkeit an der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg fortsetzen konnten. Als Alfred Göpfert dem Ruf nach Halle folgte, erwarb er sich große Verdienste bei der Neuformierung des dortigen Instituts für Mathematik. Von 1992 bis 1999 war er als Professor für Konvexe Analysis und Optimierung an der Martin-Luther- Universität Halle-Wittenberg tätig, bevor er 1999 emeritiert wurde - aber keineswegs in den Ruhestand ging. Von seinem breiten und umfassenden Wissen, seiner Ausstrahlung und seinen Anregungen profitierten Studenten, Doktoranden und Kollegen der Universität Leipzig, der Technischen Hochschule Merseburg und der Universität Halle bis in die jüngste Vergangenheit.

Die Resultate seiner international stark beachteten Forschungsarbeiten stellte Alfred Göpfert auf vielen Konferenzen und in zahlreichen Veröffentlichungen in international anerkannten Fachzeitschriften sowie in Büchern vor. Damit gab er immer wieder Anstöße für neue Forschungsrichtungen, insbesondere auf den Gebieten der Optimierung in allgemeinen Räumen und der funktionalanalytischen Grundlagen der Optimierung. Durch sein Buch „Mathematische Optimierung in allgemeinen Vektorräumen“ (Teubner, 1973) erhielten viele Wissenschaftler Impulse für ihre Forschungsarbeit. Das Lehrbuch „Funktionalanalysis“ (gemeinsam mit Thomas Riedrich; Teubner, 4. Auflage 1994) half Studenten und Wissenschaftlern, einen Einstieg in dieses Gebiet zu finden. Ebenso stellen das gemeinsam mit Reinhard Nehse veröffentlichte Buch „Vektoroptimierung Theorie, Verfahren und Anwendungen“ (Teubner, 1990) und das „Lexikon der Optimierung - Optimierung und optimale Steuerung“ (Akademie-Verlag Berlin, 1986) wichtige Beiträge zur Forschung auf dem Gebiet der Optimierung dar. Im Jahr 2003 erschien die von Alfred Göpfert und Koautoren verfasste Monographie „Variational Methods in Partially Ordered Spaces“ bei Springer, New York. Alfred Göpfert arbeitete bis zu seinen letzten Lebenstagen an der 2. Edition dieser Monographie und es war ihm vergönnt, die inhaltlichen Aspekte dieser 2. Edition am 21. Dezember 2022 abzuschließen. Ein weiteres Lehrbuch „Angewandte Funktionalanalysis“ beim Verlag Vieweg+Teubner war im Jahr 2009 erschienen. Das Buch „Approximation und Nichtlineare Optimierung in Praxisaufgaben“ wurde 2017 beim Springer-Verlag veröffentlicht.

Alfred Göpfert wird von allen, die ihn kennen, als ausgezeichneter akademischer Lehrer und Wissenschaftler geschätzt, der wesentlich zur Entwicklung der Optimierungstheorie am Institut für Mathematik der Martin-Luther-Universität Halle- Wittenberg beigetragen hat. Mit seinen nicht versiegenden Anregungen unterstützte uns Professor Göpfert in seiner stets hilfsbereiten Art bis in die allerjüngste Zeit bei unserer eigenen wissenschaftlichen Arbeit. Die Kollegen, die die Freude hatten, mit ihm zusammenarbeiten zu können, profitierten von seiner Fähigkeit, interessante Beziehungen zwischen unterschiedlichen Gebieten der Mathematik herzustellen. Für das Verfassen wichtiger Arbeiten mit einer großen Anzahl von Koautoren waren die besondere Genauigkeit im Detail und die Fähigkeit von Alfred Göpfert, wesentliche Zusammenhänge zu erkennen, prägend. Die Diskussionen mit ihm weckten immer wieder Neugier auf weiterführende mathematische Fragestellungen.

Sehr wertvoll und wichtig war Alfred Göpferts Arbeit im Editorial Board der internationalen Fachzeitschrift „Optimization“. Sein Wissen und sein Engagement haben dazu beigetragen, dass dieses Journal zu einem weltweit führenden entwickelt werden konnte. Alfred Göpfert war auch für das „Zentralblatt für Mathematik“ und „Mathematical Reviews“ tätig. Sein Wirken als Wissenschaftler war ebenso eng verbunden mit einem Engagement in akademischen Gremien, Kommissionen und Verbänden. So hat er mehrere Jahre lang als Vorsitzender des Landesverbandes Sachsen-Anhalt des Deutschen Hochschulverbandes Einfluss auf die Hochschulpolitik genommen. Seine Tätigkeit für die Georg-Cantor-Vereinigung am Institut für Mathematik möge die Aufzählung seines unermüdlichen und weiterreichenden Wirkens hier beenden.

Wir, seine Schüler und Kollegen, sind ihm für seine vielen Anregungen, seine große Unterstützung, Hilfe und besonders für seine immerwährende Herzlichkeit unendlich dankbar und werden sein Andenken mit tiefem Dank bewahren. Wir werden unseren engen Freund und Vertrauten Professor Alfred Göpfert sehr vermissen.

Christiane Tammer im Namen seiner Schüler und Weggefährten 

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Die Mathematikerin Prof. Dr. Christiane Tammer wurde 1984 an der Technischen Hochschule Leuna-Merseburg promoviert – betreut von Prof. Dr. Alfred Göpfert – und habilitierte sich dort 1991. Sie folgte 1998 einem Ruf auf die Professur „Variationsmethoden“ an der MLU. 2021 wurde sie emeritiert.

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