Kooperationen mit Indien: „Man orientiert sich nach Europa“

05.06.2025 von Katrin Löwe in Campus, Internationales
Indien sieht sich als Bildungsland der Zukunft und investiert viel in die Wissenschaft. Welche Kooperationsmöglichkeiten ergeben sich dort für die Universität Halle? Diese Frage stand im Zentrum der Reisen von Prof. Dr. Christine Fürst, Prorektorin für Forschung, und Dr. Boris Wille, Leiter des International Office. Im Interview berichten sie über ihre Erfahrungen und die Aussichten.
Die Delegation der Hochschulpolitischen Informationsreise mit indischen Gesprächspartnern an der Universität Hyderabad
Die Delegation der Hochschulpolitischen Informationsreise mit indischen Gesprächspartnern an der Universität Hyderabad (Foto: DAAD)

Frau Fürst, Sie sind in diesem Frühjahr mit einer Delegation des Deutschen Akademischen Austauschdienstes (DAAD) nach Indien gereist. Welchen Hintergrund hatte das?
Christine Fürst: Vorwegschicken muss ich, dass die MLU schon 2018 Elite-Universitäten in Indien besucht hat, um Kooperationen aufzubauen. Daraus ist der Universitätsvertrag mit der Delhi University entstanden. Jetzt hat der DAAD 65 Jahre Zusammenarbeit mit Indien gefeiert – und eine hochschulpolitische Informationsreise angeboten, an der 20 deutsche Universitätsleitungen teilnehmen konnten. Zudem war ich als Keynote-Speakerin zu einer Konferenz der „International Association for Landscape Ecology“ in Indien eingeladen, deren Präsidentin ich vier Jahre lang war. Im Vorfeld der DAAD-Reise habe ich dort schon mehr als 100 Kolleginnen und Kollegen getroffen und kurzfristig mehrere Institutionen besucht, zu denen ich selbst bereits Kontakte hatte.

Woher kommt das Interesse an Indien?
Boris Wille: Indien ist schon länger interessant. Jetzt gab es noch eine zufällige Verdichtung: Die Jahrestagung der „Asia-Pacific Association for International Education" (APAIE) – eine Mischung aus Messe und Bildungstagung mit mehreren hundert Universitäten – hat zum ersten Mal dort stattgefunden. Daran habe ich teilgenommen. Aber zu Ihrer Frage: Indien sieht sich als Bildungsland der Zukunft. Dort hat man ein einfaches Argument: „Wir werden immer jünger, der Rest der Welt immer älter. Wir haben die Intelligenz der nächsten Generation.“ So tritt Indien auf und bietet sich aus einer sehr selbstbewussten Haltung als Kooperationspartner an.

Christine Fürst ist als Prorektorin für Internationalisierung zuständig.
Christine Fürst ist als Prorektorin für Internationalisierung zuständig. (Foto: Maike Glöckner)

Der DAAD hat ein Strategiepapier veröffentlicht, in dem von einer steigenden geopolitischen Bedeutung die Rede ist, von einer aufstrebenden Wissenschaftsnation, die große Chancen biete.
Fürst: Was für uns zum Beispiel interessant ist: Das Land investiert unglaublich viel in sein Bildungssystem. Und in eine florierende Startup-Szene – das ist ein Bereich, in dem wir gerne kooperieren möchten. In Indien gibt es eine ganz andere Mentalität in der Frage, wie ich das, was ich an der Universität gelernt habe, in die Gesellschaft einbringe. Ich war beeindruckt davon, was dort schon für Studierende vorgehalten wird, die Firmen gründen. Sie bekommen Labore gestellt und Geld, um für vier, fünf Jahre Mitarbeiter einzustellen. Und es herrscht nicht die Erwartungshaltung, dass jedes Unternehmen erfolgreich sein muss. Indien hat viel von US-Elite-Unis übernommen, wenn es darum geht, einen Gründerkosmos zu schaffen.

Wille: Auf der Tagung, die ich besucht habe, war auch eine globale Entwicklung sehr präsent – die neue Orientierung weg von Nordamerika. Das merken wir schon an den steigenden Studierendenzahlen. Indien stellt mittlerweile die größte Gruppe internationaler Studierender, in Deutschland insgesamt und auch an der MLU. Und nicht nur Indien hinterfragt seine Beziehungen zu US-amerikanischen Universitäten. Man orientiert sich wieder nach Europa.
Fürst: Ich hatte zum Beispiel Gespräche mit dem Indian Institute of Technology in Hyderabad, ein noch junges Institut mit 6.000 Studierenden. Die haben ganz klar kommuniziert, dass sie deutsche Partner suchen, weil sie da mehr politische Stabilität erwarten und damit auch Stabilität in den Kooperationsbeziehungen.

Was ist seit Ihren Reisen passiert?
Fürst: Ich habe inzwischen erste Online-Konferenzen mit zwei Universitäten gehabt, die gut zu uns passen und mit denen wir Kooperationen aufbauen könnten. Das war zwar schon vertiefter als vor Ort, aber natürlich immer noch auf einer abstrakten Ebene. Jetzt müsste dies praktisch untersetzt werden. Finanzielle Möglichkeiten dafür sind vorhanden: Es gibt zum Beispiel „Fact Finding Missions“, ein Programm des DAAD zum Aufbau von Kooperationen, über das wir Geld beantragen und Kolleginnen und Kollegen aus Indien einladen oder dorthin schicken können. Die EU hat die Marie-Skłodowska-Curie-Maßnahmen für Promotionsnetzwerke wieder ausgeschrieben. Und das International Office hat einen Antrag über Erasmus+ gestellt, so dass wir bei einer Bewilligung auch Mobilitätsmittel hätten.

Und ganz konkret – welches sind die nächsten Schritte?
Fürst: Ich bereite jetzt auf, wo Interessen bestehen und wo es auch gute Schnittstellen zu Studienprogrammen oder Promotionsmöglichkeiten gibt. Damit werde ich Schritt für Schritt auf unsere Fakultäten zugehen. Ziel ist, die Partnerschaften so auszuwählen, dass sie spezifische Fachbereiche ansprechen. Zum Indian Institute of Technology in Hyderabad würden zum Beispiel Chemie, Physik und Pharmazie gut passen. Zum International Institute of Information Technology hervorragend die Informatik – dort ist man in Hyderabad extrem aufgeschlossen für eine Kooperation mit uns. Die Graphic Era University in Dehradun hat Interesse im Bereich Kulturstudien und Religionswissenschaften, die Azim Premji University in Bangalore passt gut in den Sozialwissenschaften oder der Psychologie, das Tata Institute of Social Science in Mumbai zu den Sozial- und Geisteswissenschaften.

Boris Wille leitet das International Office der MLU.
Boris Wille leitet das International Office der MLU. (Foto: Markus Scholz)

Wille: Kooperationen leben vom fachlichen Austausch. Wenn wir uns zwar institutionell Mühe geben, sie aber nicht in den Fachbereichen gelebt werden, bleibt es nur ein Lippenbekenntnis. Wenn es hier Interesse gibt, wäre es gut, wenn sich die Fachbereiche bei mir melden. Wir unterstützen als International Office gern – und koordinieren dann zum Beispiel die „Fact Finding Missions“.

Wo lägen Benefits für die MLU bei Partnerschaften mit indischen Hochschulen?
Fürst: Erst einmal könnten wir sehr gute Kandidatinnen und Kandidaten gewinnen, sowohl für ein Masterstudium als auch für die Promotion und als PostDocs. Außerdem gibt es in Indien Interesse daran, auch bei Startups Joint Ventures einzugehen. Wir könnten damit den International Startup Campus beleben. Und indische Gäste könnten als „Role Model“ fungieren mit ihrer Mentalität, dem Selbstbewusstsein und der Zielorientierung. Umgekehrt glaube ich, dass es auch für unsere Studierenden und Promovierenden eine gute Erfahrung ist, Indien kennenzulernen. Dort kommen sie in ein System, in dem Universitäten viel stärker anerkannt sind und wo – wie schon erwähnt – richtig investiert wird. Interessant ist, dass wir da nicht nur von staatlichen Mitteln reden, es gibt auch etliche Stiftungsuniversitäten und sehr viele Industriefonds, die wissenschaftliche und technologische Entwicklungen an Universitäten fördern.

Meine Überzeugung ist, dass es ein riesengroßer Schritt nach vorne wäre, die Zusammenarbeit in Forschung und Bildung zu intensivieren.

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