Große Namen: Julius Kühn

23.10.2025 von Ines Godazgar in Große Namen, Varia
Julius Kühn gilt als Begründer des agrarwissenschaftlichen Universitätsstudiums. Als er 1862 in Halle berufen wurde, war er der erste Agrarprofessor an einer deutschen Universität. Kühns Arbeit war nicht nur auf dem Gebiet der Pflanzenkrankheiten wegweisend. Auf ihn gehen auch die Haustierkundliche Sammlung der Universität und der Dauerfeldversuch „Ewiger Roggen“ zurück. Heute vor 200 Jahren wurde der Wissenschaftler geboren.
Julius Kühn wirkte ab 1862 an der Universität. 1895 wurde ihm das Ehrenbürgerrecht der Stadt Halle verliehen.
Julius Kühn wirkte ab 1862 an der Universität. 1895 wurde ihm das Ehrenbürgerrecht der Stadt Halle verliehen. (Foto: Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen)

Als Mitte des 19. Jahrhunderts auf den Feldern Zuckerrüben verkümmerten, war das für viele Landwirte eine existenzielle Bedrohung. Die Pflanzen wurden schwächer, die Erträge sanken dramatisch – das Phänomen ging als „Rübenmüdigkeit“ in die Geschichte ein. Einer der wenigen, die sich seinerzeit systematisch mit dem Problem befassten, war Julius Kühn, der seit 1862 als deutschlandweit erster Professor für Landwirtschaft an der Universität Halle forschte. In praktischen Feldversuchen erkannte er, dass nicht der Boden das Problem war, sondern Schädlinge und ungünstige Fruchtfolgen die Pflanzen schwächten.

Seine Idee: Er baute auf dem Zuckerrübenfeld als Zwischenfrucht ähnlich riechende Pflanzen an, in dem Fall Hülsenfrüchte. Mit diesem Trick gelang es, die Schädlinge aus dem Boden zu locken, mit den „Fangpflanzen“ zu entfernen und so die nächsten Generation Zuckerrüben ohne Befall ernten zu können. „Das war echte biologische Schädlingsbekämpfung. Besser geht es nicht“, sagt Dr. Renate Schafberg. Die Kustodin der Haustierkundlichen Sammlung und Biologin am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften beschäftigt sich seit langem mit dem wissenschaftlichen Nachlass von Julius Kühn. „Er war ein Generalist im besten Wortsinn, ein Multitalent, das hervorragend organisieren und lehren, aber auch Geld beschaffen konnte“, so Schafberg. 

In Gesprächen mit Kühns Urenkelin hat sie erfahren, dass „Vater Kühn“ wie er von seinen Studenten oft genannt wurde, ein freundliches Wesen besaß, sich selbst gegenüber jedoch auch eine gewisse Härte walten ließ. Sein Alltag sei bis ins Detail durchorganisiert gewesen, sagt die Wissenschaftlerin. Zeitiges Aufstehen, gefolgt von ein paar Leibesübungen und dem täglichen Pflanzensammeln auf den Feldern: So startete Kühn in den Tag. 

Als Sohn eines Gutsverwalters, geboren 1825 im sächsischen Pulsnitz, kam Julius Kühn früh mit der Landwirtschaft in Kontakt. Seine Familie ermöglichte ihm trotz finanzieller Sorgen eine Ausbildung an der Königlich Technischen Bildungsanstalt in Dresden. Anschließend war er in verschiedenen landwirtschaftlichen Einrichtungen zunächst als Gehilfe, später als Gutsverwalter tätig. 1855 begann er eine Ausbildung an der Landwirtschaftlichen Lehranstalt Bonn-Poppelsdorf, die er jedoch aufgrund von Geldnöten nach zwei Semestern abbrechen musste. Dank seiner vorherigen Forschungen als Amtmann eines Guts konnte er dennoch 1857 an der Universität Leipzig mit einer kumulativen Arbeit promoviert werden und sich noch im gleichen Jahr in Proskau im heutigen Polen habilitieren.

Julius Kühn im Hörsaal, aufgenommen 1895.
Julius Kühn im Hörsaal, aufgenommen 1895. (Foto: Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen)

1862 wurde Julius Kühn an die Universität Halle berufen. Dort baute er den Lehrstuhl für Landwirtschaft auf – ein Meilenstein, der die Universität bis heute zu einem Zentrum der Agrarwissenschaften machen sollte. Das von Kühn gegründete erste Landwirtschaftliche Institut in Deutschland war ein Ort, an dem Theorie und Praxis von Beginn an zusammenliefen. Innerhalb weniger Jahre etablierte Kühn hier das von ihm angelegte und bis heute bestehende Versuchsfeld. Dort untersuchte er den Einfluss von Fruchtfolgen, Düngung und Züchtung, und er machte seine Ergebnisse sofort für die Praxis nutzbar. 

Sein Weitblick ist nach Ansicht von Renate Schafberg „etwas ganz Besonderes“: Viele Aspekte seiner Forschung dokumentierte er auch in dem Wissen, sie zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal neu denken zu können. Ein gutes Beispiel dafür, so Schafberg, sei der „Ewige Roggen“, jener Dauerfeldversuch, den Kühn im Herbst 1878 startete und der bis heute ohne Unterbrechung läuft. Dabei wird kontinuierlich Winterroggen angebaut und es werden jeweils Boden- und Getreideproben entnommen und archiviert. Aufgrund seiner langen Laufzeit lässt sich aus dem Projekt inzwischen enorm viel herauslesen. So seien in den Daten zum Beispiel noch heute die enormen von den Chemiewerken Buna und Leuna zu DDR-Zeiten verursachten Stickstoffeinträge ablesbar; auch Ereignisse wie die Reaktorkatastrophen von Tschernobyl und Fukushima seien nachweisbar, sagt Renate Schafberg. „Genau diese Möglichkeit zur Langzeitbeobachtung macht Kühns Arbeit noch heute interessant.“

Auch der von Kühn angelegte Haustiergarten, der einst auf dem Gelände des heutigen Steintor-Campus stand, war kein Selbstzweck. Die dort in Ställen lebenden Schafe, Kühe, Schweine und weitere Arten – zeitweise immerhin fast 1.000 Tiere gleichzeitig – wurden nach bestimmten Kriterien gezüchtet und sollten der Studentenschaft als Anschauungsobjekte dienen. Außerdem wurden die Tiere nach einem standardisierten Verfahren regelmäßig fotografiert, wodurch sich Erkenntnisse zum Wachstum und zur Entwicklung der Rassen gewinnen ließen. Seit 1886 und noch bis in die 1930er Jahre entstanden so rund 10.000 Fotoglasplatten, die heute im Zentralmagazin Naturwissenschaftlicher Sammlungen (ZNS) der MLU lagern und als national wertvolles Kulturgut registriert sind. Gemeinsam mit Skeletten der verstorbenen Tiere und angekauften Präparaten bilden sie die europaweit einzigartige haustierkundliche Sammlung der MLU.

Von der Strahlkraft Kühns zeugt unter anderem ein Fund, auf den Renate Schafberg erst kürzlich in seinem Nachlass stieß: ein Brief des in Jena forschenden Zoologen Ernst Haeckel. Der bedeutende Evolutionsforscher, der als „deutscher Darwin“ gilt, wandte sich am 31. Juli 1902 mit Fragen zu einem Hybridisierungsexperiment von weiblichem Schwein und männlichem Schaf an seinen Fachkollegen in Halle. „Das Schriftstück belegt eindrucksvoll, dass beide Wissenschaftler in Kontakt standen“, sagt Schafberg.

Zu Kühns Zielen gehörte auch eine moderne Lehre, die von innovativer Technik unterstützt werden sollte. So wurde zum Beispiel der Neubau eines Gebäudes für Tierzucht- und Molkereiwesen (heute Adam-Kuckhoff-Straße 35) geplant, in dem für die Vorlesungen notwendige Tierskelette und andere Anschauungsobjekte aus der hauseigenen Sammlung vom Dachboden per Fahrstuhl direkt in den Hörsaal transportiert werden sollten. Doch als Kühn am 1. Oktober 1909 emeritierte, war das Gebäude noch nicht fertig. Durch den aufziehenden Ersten Weltkrieg verzögerte sich der Bau zusätzlich. Kühn konnte die Eröffnung nicht mehr erleben. Er starb am 14. April 1910. 

An der MLU ist er indes bis heute präsent, nicht zuletzt, weil das von ihm angelegte Versuchsfeld inzwischen längst ebenso seinen Namen trägt wie die Straße, an der es liegt. Sein einstiges, sehr markantes Institutsgebäude in der Ludwig-Wucherer-Straße 2 wurde in den 2015 eröffneten neuen Steintor-Campus integriert. - Und das, so Renate Schafberg, sei doch eine schöne Klammer zwischen Vergangenheit und Gegenwart.

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