Eine Chorsinfonie zum Abschied
150 Mitwirkende werden am 29. Juni auf der Bühne stehen, wenn Jens Lorenz gemeinsam mit dem Universitätschor „Johann Friedrich Reichardt“, der Anhaltischen Philharmonie Dessau und hervorragenden Solisten in der Georg-Friedrich-Händel-Halle seinen musikalischen Ausstand aus dem Berufsleben gibt. „Mit diesem Konzert nehme ich Abschied“, sagt der 65-Jährige mit gut gelauntem Unterton. Er sitzt in seinem Arbeitszimmer in der Abteilung Musikpädagogik / Künstlerische Praxis, durch das geöffnete Fenster dringt aus einem benachbarten Übungsraum eine Sopranstimme. In Lorenz‘ Gesicht ist keine Spur von Wehmut, „warum auch, ich bleibe der Musik ja erhalten. Und sie mir.“
Seit April wird für den großen Abend geprobt. Das Programm besticht durch seine Vielfalt: Im ersten Teil geht es a cappella durch die Jahrhunderte. Lorenz verspricht einen „Crossover von Renaissance-Motette über Mexikanische Volksweisen bis hin zu Major Tom“. Danach kommt der eigentliche Höhepunkt: die Chorsinfonie „Lobgesang“ von Felix Mendelssohn Bartholdy. „Das ist eine außergewöhnlich ergreifende Komposition, die viel zu selten aufgeführt wird“, sagt Lorenz und ergänzt: „Das ist auch ein Geschenk an mich selbst.“
Mendelssohn Bartholdy ist für Lorenz immer „musikalischer Mittelpunkt“ gewesen. Wie es ihm überhaupt die mitteldeutschen Komponisten angetan haben, darunter auch weniger bekannte Namen wie der des Zerbster Hofkapellmeisters Johann Friedrich Fasch, der, so Lorenz, „seiner Zeit enorm voraus war“ und dessen Werke der Universitätschor Halle immer wieder nach erfolgter Neuedition für die heutige Musikpraxis zur Aufführung brachte.
Einen „Lobgesang“ singt Lorenz gewissermaßen auch auf seine Zeit an der MLU: „Ich blicke mit großer Dankbarkeit auf meine Arbeit zurück“, sagt er, vor allem mit Blick auf die „schöne Verbindung zwischen dem eigenen Musizieren und der Lehre“, die seinen beruflichen Alltag bestimmte. Rund 500 Musiklehrerinnen und Musiklehrer, so schätzt er, habe er in seiner Zeit am Institut unterrichtet.
Hinzu kam der von ihm geleitete Universitätschor Halle, der immer bereit gewesen sei, sich neuen Herausforderungen zu stellen. „Die Sängerinnen und Sänger haben eine so schnelle Auffassungsgabe und einen enormen Gestaltungswillen. Wir können inzwischen ohne Überforderung zeitgleich in unterschiedlichsten Genres und an ganz verschiedenen Programmen arbeiten, das ist keine Selbstverständlichkeit“, so Lorenz. „Ich bin meinem Kollegen Dr. Jens Arndt, der seit vielen Jahren als 2. Dirigent die musikalische Arbeit unterstützt, für die Anregungen, insbesondere was die Erweiterung des Repertoires in Richtung Popularmusik anlangt, sehr dankbar“, ergänzt er. Das sei er ebenso für die vielen Kooperationen, die im Lauf der Jahre entstanden sind und in deren Rahmen der Universitätschor Halle zur Teilnahme an namhaften Festivals verpflichtet wurde. Neben den Händelfestspielen, bei denen das Ensemble seit 1999 ohne Unterbrechung jedes Jahr mit eigenen Konzerten eingeladen wurde, und „Women in Jazz“ in Halle seien hier unter anderem die Telemann-Festtage in Magdeburg, die Fasch-Festtage in Zerbst sowie die Thüringer Bachwochen zu nennen. Positiver Nebeneffekt: Die dabei erzielten Gagen spülten nebenbei auch dringend benötigte Gelder in die Kassen des von Lorenz administrativ geleiteten Collegium Musicum. Außerdem freut sich Lorenz darüber, dass es inzwischen so viele Anfragen an den Chor gibt, „dass wir gar nicht alle realisieren können“.
Besonders wertvoll für die künstlerische Entwicklung des Klangkörpers sei die kontinuierliche Zusammenarbeit mit professionellen Orchestern wie der Staatskapelle Halle, der Anhaltischen Philharmonie Dessau oder dem Händelfestspielorchester. Der Chor war auch international viel unterwegs: Rund 25 Konzertreisen in 15 europäische Länder sowie der Gewinn mehrerer internationaler Chorwettbewerbe wie in Prag und Verona gehören zur Bilanz. Dazu kommen zahlreiche Rundfunkmitschnitte durch mdr kultur, Deutschlandradio Kultur und den ORF sowie zehn CDs mit zahlreichen Ersteinspielungen. Und nicht zu vergessen: Als Universitätschor hat das Ensemble oft mit dem Akademischen Orchester natürlich die Festveranstaltungen der MLU mitgestaltet – Investituren, Universitätsjubiläen oder auch Höhepunkte wie die Verleihung der Ehrensenatorwürde an Hans-Dietrich Genscher.
Die Musik begleitet Jens Lorenz schon seit Kindertagen. Aufgewachsen in Leipzig, hatte er das Glück, in einer Familie groß zu werden, in der Hausmusik praktiziert wurde. Als Sechsjähriger lernte er Klavierspielen. „Meine Eltern wollten in erster Linie, dass ich beschäftigt war“, erinnert sich Lorenz. Durch eine glückliche Fügung besuchte er die gleiche Schule wie die Kinder des damaligen Gewandhauskapellmeisters, der sich für einen besseren Musikunterricht einsetzte. „Sein Wort hatte Gewicht und so wurde eines Tages ein richtiger Pianist an unsere Schule verpflichtet. Er spielte mühelos Ausschnitte aus Opern und Sinfonien auswendig, was nicht nur mich beeindruckte, sondern auch die eher weniger Musikinteressierten unter meinen Klassenkameraden.“ Als eben dieser Pianist einen Schulchor anbot, war Lorenz dabei, und das, obwohl die Proben samstags stattfanden. Die Erfahrungen im Chor waren letztlich so prägend, dass er schließlich an der Weimarer Hochschule für Musik „Franz Liszt“ Dirigieren mit Hauptfach Chordirigieren studierte.
Im Anschluss wurde er 1984 zunächst als Leiter des Kinderchors in Halle-Neustadt verpflichtet. Doch schon im gleichen Jahr half er zunächst auf Honorarbasis an der MLU aus, wo der damalige Chorleiter des „Reichardt – Chores“ nicht mehr zur Verfügung stand. Kurze Zeit später wurde aus der anfänglichen „Notlösung“ eine feste Beziehung, Lorenz bekam 1987 eine Festanstellung für die Leitung des Universitätschores und die Lehre im Fach Chorleitung am Institut für Musik.
In der Umbruchzeit von 1989 stand dann alles auf dem Prüfstand. Die musikpädagogischen Studiengänge wurden zwar in veränderter Form weitergeführt, aber es mussten neue Strukturen geschaffen werden – das hat Lorenz intensiv begleitet. In diese Zeit fiel auch die Neuaufstellung der Uni-Ensembles, die – nach dem Vorbild der Universität Bonn – ab da unter dem Dach des „Collegium Musicum“ als zentrale Einrichtung geführt wurden. Darüber hinaus saß Lorenz in dieser Zeit als Vertreter des Mittelbaus in der Senatskommission für Lehre und Forschung. „Alles in allem waren das prägende Jahre mit einem Arbeitspensum, das ich heute wohl gar nicht mehr durchhalten würde.“ Damals waren zudem beide Kinder von Lorenz noch klein, aufgrund der ungewöhnlichen Dienstzeiten in den Abendstunden oder an den Wochenenden mussten sie oft auf ihren Papa verzichten. „Meine Frau, die selber stets als Musiklehrerin an Gymnasien und Klavierlehrerin tätig war, hat mir in dieser Zeit mit großer Hingabe den Rücken freigehalten“, sagt Lorenz.
Am 30. September ist offiziell Lorenz‘ letzter Arbeitstag. „Die Studenten werden irgendwie immer jünger“, sagt er mit einem Augenzwinkern. Auch unter diesem Aspekt sei es „eine gute Idee“, sich zurückzuziehen. „Es ist gut, wenn der Chor jetzt eine andere Handschrift und auch neue Anregungen von außen bekommt.“ Seinem Ruhestand sieht er gelassen entgegen. „Ich werde nicht wie im bekannten Loriot-Film Papa ante Portas enden“, so Lorenz. Annähernd zeitgleich mit ihm wechselt seine Frau in den Ruhestand. In den vergangenen Jahrzehnten habe er aus beruflichen Gründen auf viele Hobbys verzichten müssen, um die er sich nun ausgiebig kümmern könne: Tanzen, Lesen, Radfahren, Ahnenforschung. Außerdem, so ergänzt er, „habe ich ja weiterhin die Musik“.
Das Konzert
Das Abschiedskonzert für Jens Lorenz findet am 29. Juni um 19.30 Uhr in der Georg-Friedrich-Händel-Halle statt. Auf der Bühne stehen neben dem Universitätschor auch die Anhaltische Philharmonie Dessau sowie hervorragende Solisten. Karten sind unter www.eventim.de oder an den Vorverkaufsstellen erhältlich.