Gott und die Influencer

20.06.2024 von Katrin Löwe in Wissenschaft, Forschung
Wenn deutsche Social-Media-Stars sich auf YouTube zu Religion äußern, ist das selten kirchenfreundlich. Der katholische Theologe und Pädagoge Markus Brodthage hat die Videos für seine Dissertation analysiert.
Markus Brodthage hat untersucht, wie sich Influencer zu Religion äußern.
Markus Brodthage hat untersucht, wie sich Influencer zu Religion äußern. (Foto: Heiko Rebsch)

Dagi Bee, BibisBeautyPalace, Gronkh, LeFloid: Die Menschen hinter diesen Social-Media-Accounts gehören zu den Top-Influencern in Deutschland, erreichen mit Themen wie Lifestyle, Mode, Pop Culture oder Computerspielen ein Millionenpublikum – insbesondere ein junges. Auch gesellschaftliche Themen spielen in manchen solcher Kanäle eine Rolle, mit Religion würde man die meisten von ihnen spontan aber kaum in Verbindung bringen. Markus Brodthage tut genau das. Er ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Katholische Theologie und ihre Didaktik der MLU sowie Doktorand an der Universität Erfurt. In seiner Dissertation untersucht er, wie sich deutsche Top-Influencer auf YouTube zum Thema Religion äußern. Sein vorweggenommenes Fazit: meist am Rande und eher ablehnend.

Für den Wissenschaftler, der in Halle auf Lehramt Katholische Theologie und Musik sowie Pädagogik, Pädagogische Psychologie und Instrumentalpädagogik studiert hat, war das Thema nicht zwangsläufig. „Ich hatte zwar ein Facebook-Profil, aber nie eines auf Instagram, Twitter oder YouTube. Das war für mich alles fremd“, sagt er. Bis ein Bekannter, mit Kochvideos auf YouTube präsent, ein Video über seinen Kirchenaustritt veröffentlichte. „Ich fand das spannend“, sagt Brodthage. Bis dato habe sich die Theologie vor allem mit so genannten Christfluencern befasst, die in sozialen Medien – teilweise auch in missionarischer Form – über ihren Glauben sprechen und deren Publikum vorwiegend bereits aus Kirchenmitgliedern besteht. „Sie haben in Deutschland eine Reichweite von 20.000 Aufrufen, vielleicht auch mal 50.000“, sagt Brodthage. Bei den von ihm untersuchten Top-Influencern indes ist Religion ein Randthema, allerdings eben eines mit riesiger Reichweite. Als Rezo, außerhalb Sozialer Netzwerke vor allem bekannt geworden durch seine CDU-Kritik im Jahr 2019, über Religionsunterricht rappte, hatte das Video 20 Millionen Aufrufe.

Wie ist das wissenschaftlich zu fassen, welchen Einfluss haben die Videos auf Schülerinnen und Schüler, konfessionell gebundene, aber auch ungebundene? Fragen, die Brodthage interessieren, für die es aber zunächst eine Fakten-Grundlage zu schaffen galt. Aus mediensoziologischen Studien hat er die Top-Influencer der Jahre 2015 bis 2023 und dann deren verschiedene Kanäle auf YouTube ermittelt. Auf ihnen waren mehr als 200.000 Videos veröffentlicht. Mit Hilfe einer von ihm entwickelten Stichwortliste hat Brodthage daraus Videos gefiltert, bei denen im Titel oder in der Beschreibung Hinweise auf das Thema Religion enthalten waren. In einem weiteren Schritt hat er zudem Kommentare durchforstet, die auf solche Inhalte deuten. Ergebnis waren am Ende rund 4.000 Videos. Die ausführlichen Daten dieses Teils seiner Arbeit will Brodthage später ebenfalls veröffentlichen, damit andere damit weiterarbeiten können.

Für ihn selbst folgte der qualitative Part, die Analyse von zwei Dutzend der Videos. „Die meisten sind religionskritisch“, sagt er – wobei er den Begriff im weitesten Sinne verstanden wissen will. Was die YouTuber tun, sei keine theologisch-philosophische Religionskritik wie bei Karl Marx, Friedrich Nietzsche oder Sigmund Freud, also kein Abwägen, kein Argumentieren. „Es ist eine emotionalisierte, generalisierte Ablehnung.“ Eine pauschale, mit Sätzen wie „ich glaub, dass die Institution Kirche für‘n Arsch ist“ oder „Die Wahrheit ist, die Bibel ist Schwachsinn“. Sexueller Missbrauch, ein durchaus kritisches Thema, komme dabei überraschenderweise selten als Argument, sagt der Forscher. Den YouTuberinnen und YouTubern gehe es auch nicht um Diskurs, sie seien vor allem Expertinnen und Experten ihrer eigenen Meinung. Brodthage spricht auch von Selbstpositionierungspraktiken. Und sagt: „Die Videos selbst sind schon eine Performance.“ Um das zu untermauern, analysiert der Wissenschaftler nicht nur die Aussagen der Videos, sondern auch deren Bilder: Gronkh beispielsweise spiele das Computerspiel Minecraft, während er sich zu den Zeugen Jehovas und zu Sekten äußert und diese mit „der Kirche“ gleichsetze. „Er frühstückt quasi nebenbei beim Spielen die Frage ab, ob Gott existiert oder nicht.“ In „JuliensBlog“ werde mit der Bibel in der Hand provoziert und beleidigt, LeFloid nutze Bilder, die Bischöfe oder Päpste grundsätzlich zwielichtig darstellen. Dem gegenüber stehe ein sehr ambivalentes Video von Rezo und Beautx mit klischeehaften, verballhornenden Aussagen zum Religionsunterricht – gleichzeitig aber der Einblendung einer Tafel mit zehn Geboten, auf der dann stehe, dass Jesus Flüchtlinge aufnehmen würde.

Mehrere Punkte seien für ihn letztlich überraschend gewesen, sagt Brodthage: Dass Influencer neben ihren eigentlichen Themen überhaupt über Religion sprechen, fasziniere ihn noch immer. Unerwartet sei die starke Ablehnung gewesen, auf die er sich dann im Laufe seiner Dissertation fokussiert habe. Und: Die Argumente und Forderungen der Top-Influencer würden an der Oberfläche oft denen einer radikal-atheistischen Strömung in der Politik ähneln: keine Glocken mehr zum Gottesdienst, Enteignung der Kirchen, keine Rücksicht auf religiöse Gefühle. Aber auch da gebe es ein überraschendes Phänomen, so Brodthage: Gronkh etwa, der den Religionsunterricht als besten Unterricht seiner Schulzeit bezeichnete und den Lehrer als die prägendste Figur seiner Schullaufbahn. Das passe nicht zu dem, was er sonst abwertend über Religion sage. Für Brodthage zeigt sich da ein grundsätzliches Problem: Große Teile der Bevölkerung, sagt er, haben keine eigene, sondern nur noch eine medialisierte Erfahrung mit Religion.

Es müssten didaktische Hilfen entwickelt werden, wie eben diese medialisierten Erfahrungen von Religion im Unterricht behandelt werden können, sagt der Forscher. Und zwar nicht nur die aus kirchlicher Sicht positiven. „Diejenigen, die sagen, Religion ist kompletter Quatsch, haben wir bisher nicht so im Blick gehabt.“ Auch die Wirkung der Videos auf Schülerinnen und Schüler sei ein noch zu bearbeitendes Forschungsfeld. „Ich hätte große Lust, daran weiter zu arbeiten.“ Nach seinem Referendariat will der 33-Jährige in die Wissenschaft zurückkehren.

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