„Exzellenz geht nicht ohne Frauen“

11.09.2025 von Katrin Löwe in Campus, Hochschulpolitik
3,5 Millionen Euro erhält die MLU für das Projekt „FEM POWER – Wissenschaftlerinnen stärken – Wissenschaftskultur verändern“. Ziel ist es, Gleichstellung und Geschlechtergerechtigkeit zu fördern. Was dabei im Fokus steht und wie das Projekt im Detail umgesetzt wird, erklären die Referentin für Vielfalt und Chancengleichheit Dr. Andrea Ritschel und die Referentin für Mentoringprogramme im Wissenschaftsbereich Anne-Katrin Schlobach im Interview.
Blick auf den Universitätsplatz
Blick auf den Universitätsplatz (Foto: Maike Glöckner)

Gleichstellung ist an der MLU seit vielen Jahren ein Thema, nicht erst mit der ersten oder der aktuellen Auflage von FEM POWER. Es gibt aber offensichtlich noch Handlungsbedarf? 
Andrea Ritschel: Vorweg muss man sagen, dass viele, sehr wirksame Maßnahmen, unabhängig von FEM POWER im Alltag bereits mitlaufen. Wissenschaftler*innen in der Qualifikationsphase werden mit Mitteln aus dem Universitäts-Haushalt unterstützt. Wir haben eine neue Berufungsordnung und es wird an einem geschlechtergerechten Berufungsleitfaden gearbeitet. Es gibt Weiterbildungen, um uns erlernter Rollenbilder, die unser Handeln beeinflussen, noch einmal bewusst zu werden. Und: Die MLU hat 2025 zum fünften Mal das audit familiengerechte Hochschule erhalten – auch in Familiengerechtigkeit steckt viel Geschlechtergerechtigkeit. Dennoch brauchen wir regelmäßig Projekte, um auch neue Dinge ausprobieren zu können. 
 

Andrea Ritschel ist Referentin für Vielfalt und Chancengleichheit
Andrea Ritschel ist Referentin für Vielfalt und Chancengleichheit (Foto: Markus Scholz)

Was ist neu im jetzt startenden Projekt?
Ritschel: Zum ersten Mal wollen wir drei Nachwuchsforschungsgruppen im MINT-Bereich mit jeweils einer Leiterin etablieren. Mit diesem Instrument schlagen wir zwei Fliegen mit einer Klappe: Wissenschaftlerinnen können über einen Zeitraum von fünf Jahren Führungserfahrungen sammeln, haben hervorragende Forschungsumfelder und ihnen ist eine gewisse Selbstständigkeit garantiert. Zugleich unterstützen wir unsere forschungsstarken Bereiche in den Naturwissenschaften: Angesiedelt werden die Nachwuchsgruppen in den Materialwissenschaften sowie der Protein- und Pflanzenforschung. Die Idee ist, dass Geschlechtergerechtigkeit und Forschungsstärke Hand in Hand gehen. Oder anders formuliert: Exzellenz geht nicht ohne Frauen. Vielleicht gelingt es uns so auch, eine junge Frau längerfristig an uns zu binden. Oder später mit eigenen Mitteln an der Universität vergleichbar gute Rahmenbedingungen zu schaffen, wenn wir jetzt gute Erfahrungen sammeln. 

Vor kurzem ist das bundesweite Hochschulranking nach Gleichstellungsaspekten vom „Kompetenzzentrum Frauen in Wissenschaft und Forschung“ (CEWS) erschienen. Wo steht die MLU darin?
Ritschel: Bei der Zahl der Promotionen liegen wir in der Spitzengruppe. Unsere Herausforderungen sind im Post-Doc-Bereich. Da ist im Ländervergleich die überwiegende Zahl der Bundesländer besser bewertet als Sachsen-Anhalt. Auf jeden Fall ist es also notwendig, die Rahmenbedingungen für Postdocs und Habilitierende allgemein zu verbessern. Und: Bei dem Anteil der weiblichen Professorinnen liegt die Uni Halle in der Schlussgruppe, auch wenn er in den vergangenen Jahren gestiegen ist. Diese Herausforderung geht die MLU im Kontext einer Selbstverpflichtung der deutschen Hochschulen an, einem 2024 gefassten Beschluss der Hochschulrektorenkonferenz zu mehr Geschlechtergerechtigkeit bei Berufungen. Darauf zahlt auch FEM POWER jetzt ein.

Einen Leuchtturm von FEM POWER haben Sie mit den Nachwuchsgruppen bereits genannt. Was macht das Projekt an der MLU noch aus?
Ritschel: Es besteht aus insgesamt vier Modulen, die den Schwerpunkt auf geschlechtergerechte Personalentwicklung und Sensibilisierung legen. Dazu gehört auch, dass wir das MLU-Mentoring neu aufsetzen und weiterentwickeln. Damit schaffen wir zugleich eine Anlaufstelle für diejenigen, die an den Fakultäten Maßnahmen etablieren wollen. Dabei denke ich an Graduiertenkollegs, aber auch an eigene Programme, die zum Beispiel Mentoring zwischen Promovierenden und Studierenden etablieren.

Anne-Katrin Schlobach
Anne-Katrin Schlobach (Foto: Markus Scholz)

Anne-Katrin Schlobach: In den zentralen, strukturierten Mentoring-Programmen geht es vor allem um Kompetenzen, die man sich in der Qualifikationsphase aneignet: Führung, Kommunikation und Reflektion. Das sind drei zentrale Punkte, die wir aus der Auswertung einer Befragung der ehemaligen Teilnehmerinnen zu dem 2022 ausgelaufenen MLU-Mentoring-Programm herausgearbeitet haben. Die sind natürlich nicht statisch.

Neu ist, dass es zwei Mentoring-Programme gibt. „MLU-MentoringSTART“ ist auf die Zielgruppe Studentinnen in der Endphase des Studiums und frühe Promovendinnen spezialisiert. Darin geht es darum, eine Bücke in nächste Qualifikationsphase zu schlagen und für die Rahmenbedingungen zu sensibilisieren. Bei „MLU-MentoringGO“ sind es fortgeschrittene Doktorandinnen und frühe Postdoktorandinnen. Auch hier steht die Gestaltung von Übergängen im Fokus. Sie haben ein besonderes Interesse daran, wie Lehrverantwortung, Forschungsarbeit und private Herausforderungen vereinbart werden können. Außerdem ist neben den genannten Kompetenzen die Mentorinnen-Schulung ein Angebot – die Mentees von heute können später ja auch Mentorin werden. 

Wer sind die Mentor*innen?
Schlobach: Bei „MLU-MentoringSTART“ werden sie vorzugsweise aus der MLU kommen, Promovendinnen oder Postdoktorandinnen, die ihre Erfahrungen an der Uni Halle im Gruppen-Mentoring weitergeben. Für „MLU-MentoringGO“ wollen die Mentees über den Tellerrand hinausschauen und suchen auch bundesweit und international – wir begleiten das und bahnen die Gespräche für das One-to-One-Mentoring an. 

Wann beginnt das Mentoring?
Schlobach: Programmstart ist der 15. September, bis zum 31. Oktober können sich Interessierte bewerben. Aktuell versuchen wir mit vielen Partner*innen, das Thema an der Uni zu streuen.

Welche sind die beiden weiteren von den vier „FEM POWER“-Modulen?
Ritschel: In einem Modul geht es darum, die Sensibilisierung für Geschlechtergerechtigkeit in der Breite zu stärken – dort stehen Mittel für Projekte in den Fakultäten und zentralen Einrichtungen der Universität zur Verfügung.

Ganz praktisch: Professorin X hat eine Idee, aber kein Geld aus dem Institut oder der Fakultät. Wie kommt sie an eine Finanzierung und wer entscheidet darüber?
Ritschel: Wir wollen einen Beirat für Vielfalt und Chancengleichheit ins Leben rufen. Der entscheidet über die Ausschreibungen, die Vergabe und so weiter. Gerade sind wir dabei, die potenziellen Mitglieder des Beirats anzusprechen. Er soll sich aus den verschiedenen Beauftragten – für Familien, Menschen mit Behinderung und chronischen Erkrankungen, Gleichstellung, internationale Studierende und Wissenschaftler*innen –, einer Auswahl von professoralen und nichtprofessoralen Universitätsmitgliedern und Interessensgruppen zusammensetzen.

Und das vierte Modul?
Ritschel: Die Netzwerkstelle gender*bildet wird im Rahmen von FEM POWER fortgeführt. Dort geht es auch künftig um die Verankerung und Sichtbarkeit von Genderforschung und -lehre – nun mit einem Fokus auf dem MINT-Bereich. Ergänzt wird dies um die hochschuldidaktische Unterstützung von Lehrenden. In diesem Jahr findet auch der landesweite Tag der Genderforschung wieder an der MLU statt.

Lassen Sie uns noch einmal einen Blick zurück werfen: Was konnte die Uni aus der ersten „FEM POWER“-Runde mitnehmen und was unterscheidet die neue davon?
Ritschel: Die erste Auflage von FEM POWER zwischen 2016 und 2022 war eher auf singuläre Maßnahmen beschränkt, während jetzt alle Module zusammen gedacht werden und verzahnt sind. Wir hatten zum Beispiel ein Forschungsprojekt zur Frage, wie wir Studentinnen für MINT-Fächer gewinnen können. Dazu gab es auch den Korrespondenzzirkel „MINTzi“, der sehr erfolgreich Schülerinnen angesprochen hat. Wir konnten eine Juniorprofessorin unterstützen und haben 145 Wissenschaftlerinnen mit Coachings begleitet.

Schlobach: Dazu kamen noch Veranstaltungen, sowohl zentrale als auch auf Ebene der Fakultäten. Allein bei einer Reihe „Wissenschaftler*innen verbinden“ haben wir mehr als 400 Teilnehmerinnen in einer digitalen Lunch Lecture zum Netzwerken gezählt, nicht nur von der MLU. 

Ritschel: Man darf nicht vergessen: Das Projekt lief bis 2022, da war also die gesamte Corona-Zeit enthalten. FEM POWER hat damals auch ermöglicht, überhaupt die Bedarfe von Wissenschaftlerinnen in und nach der Pandemie zu erfassen und darauf zu reagieren, zum Beispiel mit zusätzlichen Mitteln für Hilfskräfte. Aber auch hier möchte ich noch einmal betonen, dass wir nicht nur über Einzelprojekte an dem Thema Gleichstellung arbeiten, sondern alle Ziele und Maßnahmen zusammendenken.

Weitere Informationen und Kontakte unter: https://www.rektorin.uni-halle.de/stabsstellen/vielfalt-chancengleichheit/gleichstellung/fempowermlu/
 

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