Eine Familie in der Ferne

17.04.2018 von Ines Godazgar in Campus, Studium und Lehre
Sie kommen aus unterschiedlichen Regionen und haben auch sonst ganz verschiedene Hintergründe. Was die Studierenden eint, ist ihr Glaube. In einer mehrheitlich konfessionslosen Stadt wie Halle wird er für die Mitglieder der Katholischen Studentengemeinde zu einem besonders starken Band. Er sorgt dafür, dass sie mindestens einmal pro Woche zusammenkommen. Für viele ist die Gruppe ihr zweites Zuhause.
Gute Planung: Sprecherin Annegret Vesely bespricht das neue Programmheft mit Seelsorger Thomas Lazar und den Studierenden Mara Klein und Antonia Manthey (v.r.).
Gute Planung: Sprecherin Annegret Vesely bespricht das neue Programmheft mit Seelsorger Thomas Lazar und den Studierenden Mara Klein und Antonia Manthey (v.r.). (Foto: Michael Deutsch)

Liest man die Schilder unter den Fotos an der Pinnwand in den Räumen der Katholischen Studentengemeinde (KSG), dann ist ein gewisser Stephan als „Klausenchef und Oberküster“ tätig, Mara fungiert als „Hausgeist“, und Annegret ist „Sprecherin und Fotografin“. Die farbenfrohen Aufnahmen der drei jungen Leute hängen gemeinsam mit denen vieler anderer Gemeindemitglieder im Foyer des gemütlich anmutenden Gemeindehauses, einem Nebengelass der in Halles Innenstadt gelegenen Moritzkirche. Ebenfalls im bunten Gewimmel der Bilder findet sich ein historisches Porträt: „Thomas“, steht darauf, und als Funktion ist darunter das Wort „Patron“ notiert. Es ist eine Anspielung auf den Namensgeber der KSG, dem man sich dort noch heute sehr verpflichtet fühlt: Thomas Morus, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts für seinen Glauben einstand und von dem auch das tragende Zitat auf der Internetseite der KSG stammt: „Tradition ist nicht das Halten der Asche, sondern das Weitergeben der Flamme.“

Die Flamme weitergeben, diese Aufgabe nehmen die jungen Christen durchaus ernst. Dafür engagieren sie sich, das spürt, wer mit ihnen ins Gespräch kommt. Den Eindruck verstärkt ein Blick ins selbst gestaltete Programmheft, mit dem die KSGler ihre Veranstaltungen ankündigen. Auf dem Titelblatt zu sehen: Der Kehrwiedersteg, jene Ortsmarke in Hamburg, an der der Überlieferung nach die Ehefrauen ihre zur See fahrenden Männer mit dem Wunsch „Kehr wieder“ verabschiedeten. Die Wahl des Motivs kommt nicht von ungefähr. Denn die Gruppe versteht sich gleichsam als Hafen, in den man einlaufen kann und zu dem man selbstverständlich wiederkehren kann und soll.

„Wer bei uns dazu gehören möchte, gehört dazu“, sagt Annegret Vesely. Die 26-Jährige studiert an der Uni Halle Lehramt für Deutsch und Ethik. Sie stammt aus Eilsleben, einem kleinen Ort an der Grenze zum Nachbarbundesland Niedersachsen. Nachdem sie 2014 nach Halle gezogen war, traf sie hier einen alten Bekannten, der sie zu einem Treffen der KSG mitnahm. „Ich war so begeistert, dass ich schon beim zweiten Besuch für die gesamte Gruppe gekocht habe“, erinnert sie sich. Inzwischen ist sie Sprecherin des Gemeinderats und organisiert einen großen Teil der Veranstaltungen mit.

Jeden Mittwoch treffen sich die KSGler in den Gemeinderäumen. Es gibt eine Messe, die von wechselnden Pfarrern geleitet wird. Danach wird gemeinsam gegessen, und es gibt Vorträge zu ebenfalls wechselnden Themen. Weil jedes Mitglied einen anderen Hintergrund hat und jeder mindestens jemanden kennt, der wiederum einen anderen interessanten Menschen kennt, entsteht ein besonders reizvoller Mix. Prominentester Referent bisher war Wolfgang Thierse, der einstige Präsident des Bundestags.

Von den rund 80 Gemeindemitgliedern kommt mehr als die Hälfte zu diesen festen Terminen. Das Schöne daran: „Du kommst her und hast sofort eine Familie“, sagt Annegret Vesely. Viele Freundschaften sind in der Gruppe entstanden, und sogar einige Ehen. Oft halten die Mitglieder ihrer Gemeinde noch die Treue, wenn sie längst nicht mehr in Halle leben. Und es ist schon vorgekommen, dass irgendwann die Kinder dieser ehemaligen Studierenden hier standen, und auch Mitglieder geworden sind. Ein Effekt, den Thomas Lazar, der neue Studentenseelsorger, für mehr als wünschenswert hält.

Seit September 2017 ist der Theologe im Amt. Sich selbst sieht er vor allem als Begleiter, „der Anregungen und Impulse geben möchte“. Wichtig ist ihm, „dass sich die Studenten hier wohl fühlen“. Und außerdem, „dass wir für alle jungen Menschen offen sein wollen“. Ganz gleich, ob sie studieren, eine Ausbildung machen oder an einer Hochschule arbeiten.

Lazars Amtsübernahme markierte zugleich das Ende einer einjährigen Zeit, in der die Gemeinde gleichsam ohne Seelsorger war, nachdem sein Vorgänger auf eine andere Stelle berufen worden war. Der 53-Jährige bringt viel Erfahrung aus seiner bisherigen Tätigkeit beim Bistum Magdeburg mit, vor allem im Bereich Öffentlichkeitsarbeit, die er dort bis zu seinem Wechsel organisiert hat. Er gibt sich betont offen und modern: „Wir sind nicht von gestern. Für manche heißt katholisch gleich rückständig. Aber wir sind durchaus auf der Höhe der Zeit.“

Generell, so Lazar, sollen Änderungen im Gemeindeleben aus der Gruppe heraus entstehen. Er wolle der KSG nichts überstülpen. Neu ins Programm hat er aber die so genannten „Glaubensgespräche“ aufgenommen. Sie seien ein Angebot, über den eigenen Glauben zu reflektieren. Etwa dann, wenn sich – wie jüngst geschehen – ein junger Mann bei ihm gemeldet hat, der nach dem Umzug aus seiner katholisch geprägten Heimat nach Halle irgendwann damit überfordert war, dass er hier sehr oft nach seinem Glauben gefragt wurde. Ein Zustand, den Annegret Vesely durchaus nachvollziehen kann. Nur, dass er für sie eher normal ist, denn, so sagt sie, „ich war die einzige Katholikin in meinem Schuljahrgang“.

Derzeit bereiten sich die Gemeindemitglieder auf einen Höhepunkt im Jahreslauf vor: Vom 15. bis 17. Juni soll das 70. Patronatsfest gefeiert werden. Eigens dafür studieren sie ein Theaterstück ein, das am 16. Juni aufgeführt werden soll. Zum Jubiläum werden natürlich auch viele Ehemalige erwartet. Denn, so Annegret Vesely, „man hört nie auf KSGler zu sein“.

Mehr Informationen unter: www.ksg-halle.de

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