„Eine differenzierte Erinnerung an Amo“

03.06.2021 von Ronja Münch in Varia, Campus
Anton Wilhelm Amo war im 18. Jahrhundert der erste afrodeutsche Akademiker an einer deutschen Universität, er wirkte in Halle und Wittenberg. Doch wie gedenkt die MLU ihres Alumnus Amo heute? Mit dem Thema befasst sich eine Kommission des Rektorats. Deren Vorsitzender, der Prorektor für Forschung Prof. Dr. Wolfgang Paul, erklärt im Interview, wie es zu deren Gründung kam und was sich am Amo-Gedenken ändern soll.
Ein Gemälde von Anton Wilhelm Amo gibt es nicht. Prorektor Wolfgang Paul will sich zusammen mit der Amo-Kommission für ein differenziertes Bild des ersten afrodeutschen Akademikers einsetzen.
Ein Gemälde von Anton Wilhelm Amo gibt es nicht. Prorektor Wolfgang Paul will sich zusammen mit der Amo-Kommission für ein differenziertes Bild des ersten afrodeutschen Akademikers einsetzen. (Foto: Markus Scholz)

Seit 2019 gibt es eine Arbeitsgruppe beziehungsweise mittlerweile eine Rektoratskommission, die sich dem Gedenken an Anton Wilhelm Amo widmet. Welchen Hintergrund hat sie?
Wolfgang Paul: Die Universität vergibt seit 1994 den Anton-Wilhelm-Amo-Preis für besonders herausragende Studienabschlussarbeiten. 2019 hat es hierfür eine Bewerbung der Gruppe „Halle postkolonial“ gegeben mit einer Arbeit rund um Amo und das Amo-Gedächtnis. Die Studierenden monierten in ihrem Beitrag, dass Betrachter*innen des am Universitätsring stehenden Denkmals „Freies Afrika“ Amo als den dort dargestellten afrikanischen Mann interpretieren könnten – allein durch die Nähe der Gedenkplakette für Amo zu diesem Denkmal. Das sei eine koloniale Herabwürdigung Amos. Der Text war zwar nicht passend für die Preisvergabe, weil es keine Abschlussarbeit war, aber den Standpunkt fand ich so interessant, dass wir damals eine Arbeitsgruppe im Prorektorat für Forschung gegründet haben. Daraus ist 2020 eine Rektoratskommission geworden. Aus der Bedeutung heraus, die Amo für uns hat – wir sind die Universität, an der der erste Schwarzafrikaner in Europa promoviert wurde – ist klar geworden, dass die Art, wie wir an Amo erinnern, ausdifferenzierter sein sollte.

Nicht jeder kennt das Kunstwerk „Freies Afrika“. Was hat es damit auf sich und wie kam es dazu, dass es mit Amo in Verbindung gebracht wurde?
 „Freies Afrika“ ist eine Statue des Künstlers Gerhard Geyer, die ein afrikanisches Paar in regionaltypischer Kleidung darstellt, das erhobenen Hauptes in die Zukunft schaut. Dieses Kunstwerk ist Anfang der 1960er Jahre entstanden und sollte eigentlich in Ghana aufgestellt werden, das damals nach der Befreiung von der Kolonialherrschaft auch einen sozialistischen Weg eingeschlagen hatte. Dazu ist es aus verschiedenen Gründen nicht gekommen und so wurde das Kunstwerk 1965 hier am Universitätsring aufgestellt – immer noch mit der Idee, den postkolonialen Weg Ghanas zu würdigen. In Folge der stärkeren Beschäftigung mit Amo an der Universität wurde 1975 in Anwesenheit des ghanaischen Botschafters eine Plakette in der Nähe des Kunstwerks angebracht. Diese Plakette weist auf Anton Wilhelm Amo hin, der an den Universitäten Halle, Wittenberg und Jena als Privatdozent lehrte. Allerdings wurde Amo bereits als Kind aus Ghana verschleppt, da war er vielleicht vier Jahre alt, und dann am Hof von Braunschweig-Wolfenbüttel erzogen. Er hat die beste Bildung seiner Zeit genossen, hat Deutsch und verschiedene andere europäische Sprachen gesprochen, inklusive Latein. Er war von seiner ganzen Entwicklung, von seiner kulturellen Sozialisation, ein europäischer Akademiker. Und dann wird er in Beziehung gesetzt zu einem in Stammeskleidung dargestellten Paar aus Afrika. Das ist einfach ein Missverhältnis. Beide Kunstwerke für sich sind positiv und gut, die Nähe zueinander schafft Verbindungen, die so nicht richtig sind.

Die Kommission ist breit aufgestellt. Wer gehört ihr an und warum?
Vom Rektorat bin ich als Organisator Teil der Kommission. Dazu kommen weitere Vertreterinnen und Vertreter aus der Universität, unter anderen Professorenkollegen, die die Amo-Lectures organisieren, eine sehr hochkarätige Vortragsreihe an der MLU. Außerdem sind zwei Mitglieder aus dem Anton-Wilhelm-Amo-Bündnis Halle dabei sowie Dr. Karamba Diaby, der Alumnus dieser Universität ist und politisch in der Stadt sowie im Bundestag aktiv. Er kämpft schon seit vielen Jahren für eine bessere Erinnerung an Anton Wilhelm Amo. Dazu kommt ein Vertreter der Stadt, die natürlich ein Partner in der Entwicklung des Amo-Gedächtnisses ist.

Was ist jetzt das Ziel der Kommission, was ist Ihr Plan, um das Gedenken an Amo zu verbessern und die Nähe von Kunstwerk und Plakette aufzulösen?
Wir werden zunächst am 21. Juni eine Erklärungstafel in der Nähe von Gedenkplakette und Kunstwerk anbringen, die auf das Missverhältnis zwischen beiden hinweist und darauf, dass wir im Prozess sind, einen anderen Erinnerungsweg an Amo zu entwickeln. Dafür haben wir unter anderen die Staatsministerin für Kultur und Medien Monika Grütters und die ghanaische Botschafterin Gina Ama Blay eingeladen. Es soll mehrere kurze Redebeiträge geben. Unser Weg könnte in ein neues, weiteres Kunstwerk münden – was jedoch nicht ganz einfach ist, weil niemand weiß, wie Amo aussah. Es gibt kein autorisiertes Bild von ihm. Also müssen wir ein komplexeres Gedächtnis entwickeln. Jetzt kann ich natürlich nicht für die gesamte Kommission sprechen, aber was man sagen kann ist, dass wir das Gedächtnis an Amo an einer prominenteren Stelle der Universität sehen. Wir haben auch schon darüber nachgedacht, ob man nicht einen Hörsaal oder ein Gebäude nach Amo benennen könnte. Ansonsten ist es vielleicht nicht eine Frage des „Was noch zusätzlich?“, sondern eine Frage des geänderten „Wie?“.

Den Anton-Wilhelm-Amo-Preis für Abschlussarbeiten und die Amo-Lectures haben Sie bereits erwähnt. Was wird an der Uni sonst bereits getan, um an Amo zu erinnern?
Die beiden prominentesten Beispiele sind sicher die Preisverleihung und die Amo-Lectures, die auch in einer Buchreihe gedruckt werden. Zudem hat es zum Beispiel im Herbst 2018 eine große philosophische Konferenz zum Werk von Amo gegeben. Er war einer der Vertreter der Frühaufklärung hier in Halle, der beachtenswerte Beiträge zur Philosophie seiner Zeit geleistet hat, die damals hoch anerkannt waren. Er ist ja nicht als Kuriosum hier Privatdozent geworden.

Auch in aktuellen Rassismusdebatten wird sehr oft der Name Anton Wilhelm Amo genutzt, jetzt wird sogar eine Straße in Berlin nach ihm benannt. Wie reiht sich die Diskussion an der Universität da ein?
Das ist ein spannendes, sehr weites Feld. Rassismus in Form einer pseudowissenschaftlichen Rechtfertigung für die Unterdrückung anderer Menschen ist eigentlich erst nach Amo entwickelt worden. Ich will Amo nicht als Symbol verbrauchen, das wird der Person nicht gerecht. Er war ein Mensch mit seiner Geschichte. Natürlich war er versklavt worden. Allerdings hat es damals auch in Deutschland die Leibeigenschaft gegeben, als akzeptierte Wirtschaftsform feudaler Strukturen. Es hat sich dann aber über die Jahre vor allem durch die verstärkte Kolonialaktivität im 18. und 19. Jahrhundert das entwickelt, was wir heute Rassismus nennen: dass Menschen aufgrund eines anderen Aussehens, vor allem ihrer Hautfarbe, als nicht gleichwertig erachtet wurden. Und diese Haltung ist, glaube ich, heute noch in vielen Bereichen existent. Jemand kann in Deutschland geboren und aufgewachsen sein, aber wenn er anders aussieht, wird man ihn fragen: Wo kommst du wirklich her? Das ist im Grunde rassistisch. Und da haben wir als Gesellschaft noch einen Weg zu gehen, auch dafür steht Amo. Auch er war zwar als Dozent anerkannt, aber offenbar doch nicht voll integriert und hat schließlich, vermutlich aufgrund rassistischer Anfeindungen, Deutschland verlassen.

Zu Anton Wilhelm Amo und der Arbeit der Kommission gibt es eine Website:
https://www.amo.uni-halle.de

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Kommentare

  • Dr. Monika Firla am 10.06.2021 16:28

    "Missverhältnis" zwischen Gedenkplatte und Kunstwerk "Freies Afrika"? - Nkrumah hat in seiner "Autobiography" (Edinburgh 1957) berichtet, dass er schon zu Beginn der 1950er Jahre Amo öffentlich (hier: in Monrovia/Liberia) als Beispiel dafür nannte, dass Schwarze Menschen über denselben Intellekt wie Weiße verfügen und sich deshalb auch in einem unabhängigen Afrika, ihrem Afrika, das "free" ist, sehr wohl wieder selbst regieren können. Seine Rede trug den Titel "The Vision that I See" (a.a.O., S. 183-187). Amo war für Nkrumah ein Ansporn, gegen alle kolonialistischen Einwände für ein "free" Afrika, ein unabhängiges freies Afrika zu kämpfen. Insofern kann schwerlich ein "Missverhältnis" zwischen Gedenkplatte und Kunstwerk "Freies Afrika" bestehen. Ein "Freies Afrika" war das, für dessen Entstehen Nkrumah, gestärkt durch Amos Beispiel, eintrat. Ich empfehle die Lektüre von Lochner (1958, dt. Version) und Nkrumah (s.o.). Die geplante Erklärungstafel, deren Text schon im Internet zu finden ist, wird meiner Ansicht nach ein Monument für vorschnelle, unreflektierte Vorgehensweise. Genau gegen dieses intellektuelle Fehlverhalten schrieb Amo an.

  • Dr. Monika Firla am 29.06.2021 14:42

    Ich setze meinen unfreiwilligen Mono-Log fort:
    Da, wie ich gestern von der Stadtverwaltung Halle erfuhr, die geplante Erläuterungstafel am 21. Juni nun doch nicht aufgestellt wurde, möchte ich für eine mögliche neue Tafel noch etwas hinzufügen, um weiteren Missverständnissen vorzubeugen:
    Amos Texte waren - leider - zu "seiner Zeit" nicht "hoch anerkannt", wie der oben Interviewte sagt. Der Eintrag zu Amo in Zedlers Universallexicon (Suppl.-Bd. 1, 1751, Sp. 1369) z.B. hatte nur seine "Disputatio continens..." (1734) vorliegen. Er wusste zwar vage von der Dissertation "De humanae mentis apatheia" (1734), aber nicht vom "Tractatus de arte sobrie et accurate philosophandi" (1738). Von dessen Originalausgabe von 1738 existiert bis heute nur je ein Exemplar in Erlangen und Bamberg. Es ist die Frage, warum? Hatte sich Amo mit seiner explosiven These von der Gleichberechtigung aller "Theologien" und damit auch Religionen bei der Zensur unbeliebt gemacht? In die UB Halle fand der "Tractatus" jedenfalls seinen Weg nicht. Im Universitätsarchiv Halle liegen jedoch Akten der Zensur. Diese durchzuarbeiten, wäre eine interessante Aufgabe für Alle, die schon vor Ort leben.

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