„Ein Poster im Gemeindesaal reicht nicht“

21.10.2022 von Matthias Münch in Im Fokus, Wissenschaft, Forschung
Dr. Johannes Pohl erforscht gemeinsam mit Prof. Dr. Gundula Hübner die Akzeptanz und mögliche Stresseffekte von Windenergieanlagen. Im Gespräch verdeutlicht er, wie wichtig Beteiligung und Vertrauen sind, um die Akzeptanz der Windenergie zu erhöhen.
Johannes Pohl forscht seit mehr als 15 Jahren zur Akzeptanz von Windkraftanlagen.
Johannes Pohl forscht seit mehr als 15 Jahren zur Akzeptanz von Windkraftanlagen. (Foto: Maike Glöckner)

Herr Dr. Pohl, Sie forschen seit über 15 Jahren zur Akzeptanz von Windkraftanlagen. Hat sich in dieser Zeit die grundlegende Einstellung der Menschen verändert?
Johannes Pohl: Nein, eine grundlegende Veränderung können wir nicht beobachten. Die überwiegende Mehrheit der Menschen in Deutschland steht der Windenergie positiv gegenüber, unabhängig von der Region. Wenn wir uns konkrete Projekte vor Ort anschauen, stellen wir fest, dass in der Regel etwa achtzig Prozent der Anwohner das Vorhaben positiv oder zumindest neutral bewerten.

Welche Sorgen und Befürchtungen haben Menschen, die der Windenergie skeptisch gegenüberstehen?
Es gibt Menschen, die die Windenergie aus verschiedensten, zum Teil eher ideologischen Gründen ablehnen und auch mit plausiblen Argumenten nicht oder sehr schwer zu erreichen sind. Es gibt aber auch nachvollziehbare Sorgen und Befürchtungen – dass das Landschaftsbild durch die Anlagen beeinträchtigt wird oder dass die Immobilien im Ort entwertet werden und dass die Windkraftanlagen körperliche oder psychische Beschwerden verursachen.

Sie untersuchen solche Beschwerden. Wie ernst sind sie zu nehmen?
Jede Belastung ist ernst zu nehmen. Für die Betroffenen ist zum Beispiel nicht der gemessene Schallpegel, sondern die empfundene Belästigung entscheidend. Der eine fühlt sich etwa durch die Rotorgeräusche gar nicht beeinträchtigt, der Nachbar wiederum muss sein Fenster zum Schlafen schließen. Selbstverständlich versuchen wir, solche Belastungen auf eine objektive Basis zu stellen – mit durchaus überraschenden Ergebnissen.

Zum Beispiel?
In einer unseren Untersuchungen klagte etwa jeder zehnte Anwohner, der in unmittelbarer Nähe zu Windkraftanlagen lebte, über mittelstarke Geräuschbelästigung verbunden mit Symptomen. Interessant ist, dass drei Viertel dieser Gruppe von Beginn an gegen die Errichtung der Anlagen waren. Zu deutlich stärkerer Belästigung vor Ort führte jedoch der Verkehrslärm.

Wie können die Belastungen weiter verringert werden?
Da hat sich in den vergangenen Jahren sehr viel getan – sowohl was die Konstruktion als auch die Richtlinien angeht. Geräusche konnten durch die Form der Rotorblätter vermindert und Lichtreflexe durch matte Anstriche unterbunden werden. Und es ist inzwischen durch Richtlinien geregelt, dass Anlagen abgeschaltet werden müssen, wenn sie länger als dreißig Minuten am Tag Schatten auf ein Grundstück werfen.

Werden Windräder eher akzeptiert, wenn sie weit weg stehen?
Es wird häufig unterstellt, dass die Menschen positiv zur Windkraft stehen, solange die Anlagen nicht in der Nähe ihres Wohnortes gebaut werden. Das ist nicht der Fall, jedenfalls zeigen unsere und internationale Studien fast immer keine Korrelation zwischen Abstand und Akzeptanz.

Gibt es andere Faktoren, die die Akzeptanz von Windkraft beeinflussen?
Ein sehr wichtiger Akzeptanzfaktor ist die wirtschaftliche Beteiligung. Wer finanziell davon profitiert, der bewertet Windenergieanlagen in unmittelbarer Nähe positiver als derjenige, der keine finanziellen Vorteile davon hat – sei es in Form von Beteiligungen oder durch geringere Stromkosten.

Dann brauchen wir also mehr Geld, um die Akzeptanz von Windenergie zu erhöhen?
Unsere Studien sehen da einen erfolgversprechenderen Ansatz: Die Menschen sollten sehr viel stärker als bisher in Planungsprozesse eingebunden werden, und zwar von Beginn an. So lässt sich das Vertrauen in das Projekt und die beteiligten Akteure – Gemeindevertreter, Behörden, Betreibergesellschaften – erheblich steigern. Zwei Informationsveranstaltungen und ein Poster im Gemeindesaal reichen nicht aus. Hier ist mehr Kreativität gefragt.

Können Sie Beispiele nennen?
Wir haben gemeinsam mit der TU München und der ETH Zürich einen Präsentationsdom getestet, um Anwohnern und Touristen küstennahe Offshore-Windparks an der Ostsee vorzustellen. Das ist eine Kuppel mit gewölbter Leinwand, in der die Betrachter aus verschiedenen Perspektiven zu verschiedenen Tageszeiten und Wetterbedingungen auf die Windräder schauen können.

Mit welchem Ergebnis?
Generell werden küstennahe Offshore-Windparks skeptischer gesehen als küstenferne, wobei besonders eine Beeinträchtigung des Landschaftsbildes befürchtet wird. Mit den realitätsnahen Präsentationen konnten solche Befürchtungen häufig ausgeräumt werden – je besser die Windparks in die Meereslandschaft integriert waren, desto positiver wurden sie bewertet.

Wird der Dom Schule machen?
Nein, er ist technisch zu aufwendig. Ähnliche Erfahrungen lassen sich aber mit einer Virtual-Reality-Brille machen. Präsentationen im Internet sind auch nicht zu vernachlässigen – sie sollten nicht nur stets auf dem neuesten Stand sein, sondern auch mehr interaktive Elemente beinhalten. Das gilt übrigens nicht nur für die Planung, sondern zum Beispiel auch für die Erfassung von Lärmbelästigungen: In Süddeutschland testen wir momentan eine App, in der die Anwohner lästige Geräusche dokumentieren.

Wie stark werden diese Beteiligungsmöglichkeiten genutzt?
Sehr viel stärker, als viele glauben. Das Gefühl, an Planungsprozessen beteiligt zu werden und Verantwortung für die eigene Heimat zu übernehmen, motiviert die Menschen ungemein. Und sie führt zum Teil zu überraschenden Ergebnissen: In einem Landkreis in Bayern sollten die Menschen in einem Planspiel über die Form der Versorgung mit regenerativer Energie frei entscheiden, die Präferenzen lagen zunächst bei der Fotovoltaik. Als dann in der Simulation sichtbar wurde, welche Flächen für Solarparks geopfert werden müssen, gab es schnell einen neuen Favoriten – die Windkraft.

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Psychologie

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