Die Industrie der gekauften Likes und Follower
Bianca Claßen ist eine der erfolgreichsten deutschen Influencerinnen, wie die Social-Media-Stars auch genannt werden. Knapp sechs Millionen Menschen folgen ihrem Kanal „Bibis Beauty Palace“ auf YouTube. Über 2,6 Milliarden Mal wurden ihre Videos geklickt, bis heute sind auf dem Kanal mehr als 850 Videos zum Thema Kosmetik, Lifestyle und Mode erschienen. Für Claßen ein einträgliches Geschäft – das Manager-Magazin schätzte ihr Einkommen bereits 2017 auf 110.000 Euro monatlich. Es ist der Kern des Influencer-Marketings: Menschen mit starker Präsenz in den sozialen Medien verdienen Geld, indem sie Produkte von Firmen testen, bewerten und bewerben. Wer dabei nicht wie Claßen Jahre an kontinuierlicher Arbeit investieren möchte, um neue Fans zu gewinnen und alte zu erhalten, der kann künstlich nachhelfen: „Es gibt ein globales Netzwerk, das sich auf den Verkauf von Likes, Followern und Klicks spezialisiert hat“, sagt der hallesche Medienwissenschaftler Prof. Dr. Patrick Vonderau.
Den digitalen Erfolg zu steigern, kostet nicht viel: 1.000 Follower für Instagram gibt es teilweise bereits ab zehn Euro. Eine einfache Suchanfrage bei Google listet die deutschsprachigen Anbieter für Follower, Likes und Klicks auf. Die Webauftritte sind oft ansprechend gestaltet und erinnern an Online-Marketing-Agenturen. „Sie haben Bürostunden, eine Hotline, ein Impressum und oft auch ein Unternehmensprofil im Karrierenetzwerk LinkedIn“, erklärt Vonderau. Gemeinsam mit dem Sozialanthropologen Prof. Dr. Johan Lindquist von der Universität Stockholm untersucht er in einem vom schwedischen Wissenschaftsrat geförderten Forschungsprojekt die Industrie der gekauften Likes und Follower – und deren Bedeutung. Die Wissenschaftler konzentrieren sich auf Online-Shops, um die Mechanismen des Marktes zu verstehen. Für das Projekt haben sie Kontakt zu den Betreibern von Like-Shops aufgenommen und sie interviewt. „Die Presse berichtet häufig von einer Schattenwirtschaft, in der die Akteure sich nicht zeigen wollen. Das hielten wir für hochgegriffen“, so Vonderau. „Wir wollten uns dem Thema neutral nähern.“
Die Shop-Betreiber produzieren die Likes und Follower nicht selbst. Sie sind Reseller, Wiederverkäufer, die ihre „Ware“ entweder von sogenannten Tauschnetzwerken oder von Großhändlern, Panels genannt, beziehen. In Tauschnetzwerken agieren reale Menschen für Cent-Beträge. „Weil die Plattformen ein Tages-Limit für Likes und Follower haben, lassen sich in Tauschnetzwerken nicht mehr als 60 Euro im Monat verdienen – ein lukratives Geschäft ist das also nicht“, so Vonderau. Panels bieten daneben auch Bots an - also Computerprogramme, die sich als reale Person ausgeben und, einmal programmiert, selbstständig handeln. So können sie dafür eingesetzt werden, anderen Nutzerprofilen zu folgen und auf deren Beiträge zu reagieren. Wie Tauschnetzwerke können auch Bots jedoch durch die Algorithmen von Facebook und Co. enttarnt werden.
Während Lindquist in Indonesien Informanten für das Forschungsprojekt gewonnen hat, beschäftigt sich Vonderau mit dem deutschen Markt. Rein statistisch gesehen, sagt er, handelt es sich in Deutschland um einen kleinen Markt. Etwa 70 Like-Shops sind im Durchschnitt online, davon sei nur eine Handvoll über einen längeren Zeitraum aktiv. Die Marktgröße sei jedoch schwierig zu erfassen. Denn im Gegensatz zu anderen Industriezweigen gibt es kein internes Bild des Marktes. „Es gibt kein Branchenmagazin. Die Akteure erfahren nur das, was in der Presse über sie berichtet wird und was man über Klatsch und Tratsch mitbekommt“, so der Forscher.
Eines der Ergebnisse von etwa 30 Interviews: Die Betreiber von Like-Shops sind fast ausnahmslos junge Männer, höchstens 30 Jahre alt. „Sie betrachten ihre Tätigkeit nicht als professionellen Internetbetrug“, sagt der Wissenschaftler, der selbst eher von einem rechtlichen Graubereich spricht. Und: Zumindest diejenigen, mit denen der MLU-Forscher bisher gesprochen hat, haben kein Interesse, an Parteien und Politiker zu verkaufen und damit die politische Meinung zu beeinflussen. „In ihrer Wahrnehmung befinden sich die Akteure vielmehr auf dem Durchflug zu einem anerkannten Beruf, beispielsweise im Online Marketing“, erklärt der Forscher.
Die Shop-Betreiber argumentieren und rechtfertigen ihr Handeln nach der Logik der „kreativen Zerstörung“. Sinngemäß besagt dieser Begriff, dass Industrien untergehen und verdrängt werden, wenn sie nicht innovativ sind. Die „kreative Zerstörung“ war auch das Credo von Facebook-Gründer Mark Zuckerberg, sagt Vonderau. Die Innovation war das Versprechen, dass jede Nutzerin und jeder Nutzer berühmt werden könne. Das funktionierte jedoch nicht. Der Bedarf nach digitalem Erfolg besteht aber nach wie vor. „Like-Shops schaffen lediglich das Angebot für die Nachfrage“, so Vonderau. „Das zeigt für mich, dass Facebook und Co. selbst zu diesen schweren, behäbigen Industrien geworden sind, die sie einst aufbrechen wollten.“
Im Übrigen verfehle die bisherige Berichterstattung in den Medien einen wichtigen Punkt, so Vonderau: „Personen, die Likes verkaufen, sind Teil einer Ökonomie, zu denen auch die Großkonzerne gehören. Welche Firmen ich im Internet sehe, entscheiden die organischen Rankings von Google. Und ohne Bezahldienste wie Paypal könnte der Markt auch nicht funktionieren.“ Es gibt zwar immer wieder Sicherheitsupdates der Social-Media-Plattformen, die das Geschäft der Like-Shops erschweren. Aber Vonderau sagt, er habe nicht den Eindruck, dass Instagram und Co. es gänzlich unterbinden wollen. Schließlich erzeugen Follower, Likes und Klicks Traffic, also gewollte Besucherbewegungen und Interaktion mit dem sozialen Netzwerk. Diese unlösbare Art von Verstrickungen sollte auch diskutiert werden, findet der Medienwissenschaftler.
Prof. Dr. Patrick Vonderau
Institut für Musik, Medien- und Sprechwissenschaften
Tel.: +49 345 55-23570
Mail: patrick.vonderau@medienkomm.uni-halle.de