Der Mann und die Tafel

27.02.2013 von Karsten Malowitz in Im Fokus
Karsten Malowitz ist wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft. In seinen Seminaren hält er der guten alten Tafel die Treue. scientia halensis erklärt er, warum:
Karsten Malowitz lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte und ist „kein dogmatischer Kreidefresser“, wie er sagt.
Karsten Malowitz lehrt Politische Theorie und Ideengeschichte und ist „kein dogmatischer Kreidefresser“, wie er sagt. (Foto: Maike Glöckner)

Ich bin seit dem Wintersemester 2008/2009 als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für Politikwissenschaft beschäftigt. Seitdem führe ich regelmäßig Lehrveranstaltungen im Teilbereich Politische Theorie und Ideengeschichte durch. Die Lehre macht mir Spaß und ich möchte sie nicht missen. Sie ist für mich eher eine Bereicherung als eine Belastung. Besonders freut es mich, wenn ich merke, dass bei der einen oder dem anderen Studierenden der berühmte „Funke“ überspringt und sie ein eigenständiges Interesse an bestimmten Themen entwickeln, das über das zum Bestehen der Prüfungen notwendige Minimum hinausgeht.

Dies ist nach meiner Beobachtung jedoch stets nur bei wenigen Studierenden pro Lehrveranstaltung der Fall. Die „schweigende Mehrheit“ hält sich meist vornehm zurück. Dieses bei einigen bis zur Lethargie reichende Desinteresse an einem selbstgewählten Studienfach ist mitunter demotivierend. Da helfen dann nur Humor und Ironie. Aber die negativen Erfahrungen sind bislang die Ausnahme. In der Regel freue ich mich auf die Lehrveranstaltungen.

Ich bin kein dogmatischer „Kreidefresser“, d.h. die Tafel ist für mich nicht unter allen Umständen das beste Lehrmittel. Die Wahl des Lehrmittels muss sich m.E. vielmehr an der Art der Lehrveranstaltung orientieren. Für eine Vorlesung, die ihrer Natur nach stärker monologisch als dialogisch ausgerichtet ist, sind andere Lehrmittel aus meiner Sicht deutlich besser geeignet. Hier würde ich den Einsatz einer Power-Point-Präsentation der Nutzung der Tafel immer vorziehen, da sich auf diese Weise nicht nur Zeit sparen lässt, sondern auch der Zusammenhang des Vortrags nicht unnötig durch Schreibarbeiten unterbrochen wird. Im Rahmen einer deutlich stärker dialogisch ausgerichteten Lehrveranstaltung – wie etwa einem Seminar oder einer Übung – ist die Tafel für mich hingegen erste Wahl.

Der große Vorteil, den die Tafel bietet, besteht meines Erachtens darin, dass Sie es – im Gegensatz etwa zu einer fix und fertig ausgearbeiteten Power-Point-Präsentation – erlaubt, flexibel auf nicht vorhergesehene Beiträge und Diskussionsverläufe zu reagieren und neue, für relevant erachtete Aspekte aufzugreifen und in den Gesamtzusammenhang einzuordnen. Davon abgesehen bietet die schrittweise Entwicklung und Fortschreibung von Gedanken und Argumenten an der Tafel aus meiner Sicht die beste Möglichkeit, den Studierenden in anschaulicher Weise den aktiven Nachvollzug von komplexen Begründungszusammenhängen zu ermöglichen und das Verständnis argumentativ anspruchsvoller Theorien zu erleichtern.

Ich habe die Tafel in meiner zweiten oder dritten Lehrveranstaltung – damals noch als Lehrbeauftragter an der Humboldt-Universität zu Berlin – als Lehrmittel für mich entdeckt. Anfangs, als ich noch etwas unsicher war, habe ich nur sporadisch von ihr Gebrauch gemacht, um wichtige Diskussionsergebnisse zusammenzufassen und festzuhalten. Mit der Zeit und gewachsenem Selbstbewusstsein habe ich dann festgestellt, dass die Tafel sich nicht nur zur Präsentation von fertigen Ergebnissen, sondern auch und gerade zur Darstellung von Argumentationszusammenhängen und zur Strukturierung von Diskussionen eignet und sie entsprechend intensiver genutzt. Ich habe gemerkt, dass die Tafel meiner Art der Unterrichtsgestaltung mittels einer zwar gesteuerten, aber offenen Diskussionsführung sehr entgegenkommt. Aus diesem Grund halte ich ihr bis heute die Treue.

Die Nutzung der Tafel ist für mich, wie gesagt, keineswegs alternativlos. Dem Einsatz neuer Lehrmittel insbesondere aus dem Bereich des E-Learning stehe ich insofern aufgeschlossen gegenüber. Die Vorteile des E-Learning sehe ich in den erweiterten Möglichkeiten der Unterrichtsgestaltung, die es sowohl bei der Durchführung als auch bei der Vor- und Nachbereitung von Lehrveranstaltungen eröffnet. E-Learning kann jedoch aus meiner Sicht immer nur eine Ergänzung der Präsenzlehre sein, aber niemals ein Ersatz dafür. Wissenschaft und Lehre leben aus meiner Sicht wesentlich von den Personen, die sie vermitteln – mit allen ihren Stärken und Schwächen. Wenn der persönliche Austausch zwischen Lehrenden und Lernenden nicht mehr ermöglicht wird und jeder nur noch vor einem Bildschirm hockt, können wir die Universitäten dichtmachen.

Die Lehre ist mir nicht nur persönlich sehr wichtig, sie ist nach meiner Auffassung auch maßgeblich mitentscheidend für die Qualität eines Hochschulstudiums. Die Lehrveranstaltungen sowie ihre Vor- und Nachbereitung machen einen Großteil des Studiums aus. In ihnen erfahren Studierende als erstes, was wissenschaftliche Arbeit bedeuten und leisten kann. Insofern haben sie eine durchaus prägende Funktion – zum Guten oder zum Schlechten. Gute Lehre zeichnet sich für mich dadurch aus, dass neben Fachwissen und Arbeitstechniken auch Begeisterung für ein Thema vermittelt und wissenschaftliche Neugier geweckt wird. Wenn Studierende am Ende einer Lehrveranstaltung die richtigen Antworten auf die relevanten Fragen wissen, dann ist das gut.

Viel besser ist es m.E. aber, wenn die Studierenden sich mit den Antworten nicht zufrieden geben, sondern anfangen, eigene Fragen zu stellen. Studierende zum selbständigen Nach- und Weiterdenken anzustiften – das ist für mich der Maßstab für gute Lehre. Ob gute Lehre gelingt, entscheidet sich zum einen am persönlichen Engagement der Lehrenden, zum anderen an den universitären Rahmenbedingungen. Wenn Lehre für die Angehörigen des akademischen „Mittelbaus“ nicht zunehmend eine Belastung, sondern eine lohnende Investition darstellen soll, dann braucht es deutlich verbesserte Anreizstrukturen seitens der Universitäten.

Solange die Durchführung eines beträchtlichen Teil der Lehrveranstaltungen aus Kostengründen auch weiterhin auf kurzfristig angestellte und schlecht bezahlte Lehrkräfte abgewälzt wird und die Qualität der Lehre kein anerkanntes Kriterium bei Berufungen ist, solange sind solche Anreizstrukturen aus meiner Sicht nicht gegeben. Wer gute Lehre will, der muss bereit sein, diese auch in Form von Anerkennung und Geld sowie – zumindest mittelfristiger – Beschäftigungssicherheit zu honorieren. Davon sind wir gegenwärtig leider weit entfernt.

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