Der Datenschatz der Pflanzenforscher

28.03.2019 von Laura Krauel in Wissenschaft, Forschung
Wo auf der Welt wächst welche Pflanzenart mit welcher anderen gemeinsam und warum? Das wissen Forscher der Universität Halle und des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Sie haben die weltweit erste, globale Datenbank zur Vegetation der Erde aufgebaut. Was sich mit dem riesigen Datenschatz erforschen lässt, erklärt Prof. Dr. Helge Bruelheide, Leiter des internationalen Projekts.
Helge Bruelheide, hier im Botanischen Garten, leitet das internationale Projekt.
Helge Bruelheide, hier im Botanischen Garten, leitet das internationale Projekt. (Foto: Maike Glöckner)

Kein Geringerer als Albrecht Dürer war es, der um 1503 ein Stück Wiesenboden studierte. Seine Beobachtungen hielt der Renaissance-Künstler im Aquarell „Das große Rasenstück“ fest. Vom Breitwegerich über den Löwenzahn bis zur Schafgarbe zeigt es verschiedene Pflanzen und Gräser auf einem sumpfigen Untergrund. Sie sind so detailgetreu dargestellt, dass die Arten genau zu erkennen sind. Dürers Malerei wird deshalb nicht nur als eine der bekanntesten Naturstudien in der Kunstgeschichte bezeichnet. Sie gilt auch als Vorläufer der Vegetationsaufnahmen, die Hunderte von Wissenschaftlern seit etwa 100 Jahren auf allen Kontinenten der Erde anfertigen. Anders als Dürer machen sie von den Stellen nicht nur Bilder. Sie erfassen auch, wo welche Pflanzenarten in welcher Menge zusammenleben. Das Ergebnis sind vollständige Pflanzenartenlisten von realen Orten mit genauen Koordinaten. Auch zusätzliche Informationen wie die Bodenbeschaffenheit oder die Schichtung des Bestandes werden vermerkt. Die Flächen, auf denen die Pflanzen bestimmt werden, reichen von Bierdeckel-Größe für kleinwüchsige Moosrasen bis zu mehreren tausend Quadratmetern für tropische Wälder.

„Wir wissen, was wirklich da ist“, sagt Prof. Dr. Helge Bruelheide. „Wir wissen vor allem, welche Arten wo wachsen. Das heißt, wir kennen das Ausmaß an Biodiversität.“ Der Geobotaniker ist Professor an der Universität Halle und Co-Direktor des Deutschen Zentrums für integrative Biodiversitätsforschung (iDiv) Halle-Jena-Leipzig. Er leitet die Initiative „sPlot“, in deren Rahmen am iDiv die erste globale Datenbank zur Vegetation der Erde aufgebaut wurde. Präsentiert wurde sie erstmals im November 2018 mit einer Auswertung über mehr als 1,1 Millionen Pflanzenartenlisten für alle Ökosysteme auf dem Festland. Und sie wächst weiter: Mittlerweile enthält die Datenbank mehr als 1,5 Millionen Vegetationsaufnahmen – eine riesige Menge, die nicht von ungefähr kommt. An dem Projekt sind über 170 Forscherinnen und Forscher aus aller Welt beteiligt, die jeweils mit einzelnen nationalen oder regionalen Datenbanken zu „sPlot“ beitragen. Einige von ihnen arbeiten am halleschen Institut für Biologie, wie Dr. Ute Jandt, die die Daten für Deutschland betreut, und Dr. Francesco Maria Sabatini, der das Gesamtprojekt koordiniert. „Insgesamt sind es noch viel mehr Menschen, die mitgearbeitet haben“, so Bruelheide. An einer Vegetationsaufnahme im tropischen Regenwald arbeiten teilweise mehrere Dutzend Wissenschaftler, und das über Jahre. Dort erschweren nicht nur unbefestigte Wege und in der Wildnis lebende Tiere wie Schlangen oder Moskitos die Arbeitsbedingungen. Oft sind die Pflanzen auch kaum voneinander zu unterscheiden, wenn sie die meiste Zeit im Jahr keine Blüten oder Früchte tragen.

Viele der Arten, die die Forscher bestimmt haben und die in „sPlot“ zu finden sind, stehen auch im Botanischen Garten der Universität Halle. „Man kann sich hier gut vorstellen, wie schwierig Geländearbeiten unter solchen Bedingungen sind“, stellt Bruelheide zwischen Palmen und Farngewächsen im Großen Tropenhaus fest.

Die Forschergruppe hat „sPlot“ mit einer weiteren Datenbank des iDiv kombiniert: In „TRY“ sind mehr als 1.000 Merkmale von über 80.000 Pflanzenarten erfasst worden. Sie gibt zum Beispiel Aufschluss darüber, wie dick die Blätter einer Pflanze sind, wie groß sie werden kann und wie ihre Früchte aussehen. „So können Fragen beantwortet werden, die man vorher nicht bearbeiten konnte“, sagt Bruelheide. In einem Projekt untersuchen die Wissenschaftler zum Beispiel, wie ähnlich oder unähnlich invasive Arten den Arten in Pflanzengemeinschaften sind, in denen sie sich ausbreiten. „Es war schon eine der Ideen von Charles Darwin, dass invasive Arten in einem Gebiet einen Vorteil haben, wenn sie sich in ihren Merkmalen von den Arten unterscheiden, die es dort schon gibt.“ Das Beifuß-Traubenkraut „Ambrosia artemisiifolia“ etwa kommt aus Amerika. Während die Pollen anderer Pflanzen bereits im Frühling und Sommer fliegen, blüht das Kraut erst von Juli bis Oktober. „Das ist vor allem für die Gesundheit des Menschen von Bedeutung, weil das Kraut starke Allergien auslösen kann, und das in einer Jahreszeit, in der die heimische Pollensaison eigentlich schon abgeschlossen ist“, erklärt der Geobotaniker.

In einem weiteren Gewächshaus des Botanischen Gartens steht die Chinesische Hanfpalme, die „Trachycarpus fortunei“. „Die ist auch gerade in Europa invasiv“, sagt Helge Bruelheide. „Im Tessin haben sich die Leute die überall in den Garten gepflanzt.“ Sie verbreitet sich auf natürlichem Weg weiter. „Das heißt, in den Wäldern der Südschweiz wachsen mittlerweile Palmen.“ Nicht zuletzt sehen die Forscher das Beispiel auch als ein Zeichen des Klimawandels. „Es ist durchaus so, dass die Temperaturen jetzt immer weiter steigen und es für die Palme immer zuträglicher wird.“

Lassen sich mit „sPlot“ auch noch weitere Folgen des globalen Klimawandels vorhersagen? Etwa 10.000 Vegetationsaufnahmen von Untersuchungsorten in Deutschland sind bereits wiederholt worden, um Veränderungen im zeitlichen Verlauf feststellen zu können. Am Institut für Biologie werden die Daten zurzeit ausgewertet. Ein Vorhaben der Forscher ist es, auch auf globaler Ebene Aussagen zur Änderung von Biodiversität treffen zu können. Ein Ergebnis kann Helge Bruelheide schon jetzt vorwegnehmen: Im Laufe der vergangenen 50 Jahre hat die Artenvielfalt in der Pflanzenwelt in Deutschland abgenommen. Einige Arten, die andere verdrängen, wachsen hingegen mittlerweile an immer mehr Orten. „Es gibt immer die gleichen Gewinner, aber die verschiedensten Verlierer. Das ist sehr bedrohlich, finde ich.“ Mit den in „sPlot“ erfassten Daten können die Forscher Informationen zu bedrohten Pflanzenarten liefern, die in den globalen Roten Listen noch nicht auftauchen.

Erst einmal ist es aber das Ziel der Forscher, die Lücken in der Datenbank zu schließen. Die nächste Version, die im Sommer 2019 erscheinen wird, wird auch Vegetationsaufnahmen von Ländern wie Japan oder Kuba enthalten. „Die Daten sind irgendwo auf der Welt schon da“, sagt Bruelheide. Schwierig sei aber, Forscher davon zu überzeugen, die Ergebnisse ihrer jahrzehntelangen Arbeit zu teilen. „Das ist eigentlich das Faszinierendste an der Datenbank: Dass es uns gelungen ist, so viele an diesem Projekt zu beteiligen.“ Geplant ist auch eine Open-Access-Version von „sPlot“, die einen großen Datensatz frei zugänglich machen soll – im Interesse aller, die mehr über die Vegetation der Erde erfahren wollen.

Prof. Dr. Helge Bruelheide
Institut für Biologie
Tel. +49 345 55-26222
Mail: helge.bruelheide@botanik.uni-halle.de

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