„Die Verteidigung der Wissenschaftsfreiheit steht an erster Stelle“

06.11.2025 von Tom Leonhardt in Campus, Hochschulpolitik
Welchen Angriffen ist die Wissenschaft ausgesetzt? Was könnten die kommenden Landtagswahlen für die Hochschulen in Sachsen-Anhalt bedeuten? Mit diesen und weiteren Fragen hat sich eine Podiumsdiskussion mit dem Titel „Angriff auf die Wissenschaft“ beschäftigt, die am Mittwoch im Audimax stattfand. Sie war Teil der Projektwoche „In Verteidigung der Demokratie“ an der MLU.
Petra Dobner moderierte die Veranstaltung, in deren Podium Andreas Pecar, Heinz-Jürgen Voß, Claudia Becker, Dorothee Bohle und Folker Roland (vorn, von links) saßen.
Petra Dobner moderierte die Veranstaltung, in deren Podium Andreas Pecar, Heinz-Jürgen Voß, Claudia Becker, Dorothee Bohle und Folker Roland (vorn, von links) saßen. (Foto: Markus Scholz)

Moderiert wurde die Veranstaltung von der Politikwissenschaftlerin Prof. Dr. Petra Dobner, die zunächst einen Blick in die Geschichte der Universitäten warf: „So lange wie die Universitäten selbst existiert auch der Vorwurf, sie würden unnützes Wissen produzieren. Der Verdacht, dass sie Konformismus und Mittelmaß trainieren oder dass sie ideologische Staatsapparate sind.“ In den letzten Monaten und Jahren habe man zum Beispiel in Polen, Ungarn und den USA den Versuch gesehen, der Wissenschaft die Wissenschaftlichkeit abzustreiten, ganze Fächer als Ideologie zu diffamieren sowie die Freiheit der Lehre und des Forschungsgegenstands einzuschränken. Das fördere ein Klima der Wissenschaftsfeindlichkeit, so Dobner. 

Welche Folgen das haben kann, wusste Prof. Dr. Dorothee Bohle zu erzählen. Die Politikwissenschaftlerin war bis 2016 Professorin an der Central European University (CEU) in Budapest. Die Hochschule wurde 1991 als internationale Privatuniversität von dem ungarisch-stämmigen Investoren und Philanthropen George Soros in den USA gegründet. Ihren Hauptsitz hatte die CEU jedoch in der ungarischen Hauptstadt. 2017 verabschiedete die ungarische Regierung unter Viktor Orbán eine Gesetzesänderung, nach der Universitäten mit ausländischen Zulassungen viele Auflagen erfüllen mussten, um den Lehrbetrieb in Ungarn fortzusetzen. „Danach gab es eine gravierende Unsicherheit“, berichtete Bohle. Gleichzeitig seien Kampagnen gegen Angehörige der CEU gestartet worden, sie als Teil einer „Soros-Armee“ zu diffamieren.

Obwohl die CEU es geschafft habe, alle Auflagen zu erfüllen, und es eine breite, auch internationale Protestwelle gab, konnte keine Einigung mit der Regierung erzielt werden. Ein Jahr später fiel die Entscheidung, nach Wien umzusiedeln. Es gebe die CEU zwar noch, so Bohle, aber ihre Identität sei zerstört worden. Wenn also in Deutschland Parteien ähnliche Pläne ankündigen, solle man diese sehr ernst nehmen. 

MLU-Rektorin Prof. Dr. Claudia Becker griff diesen Punkt auf: „Ganz klar ist, dass für uns die Verteidigung der Wissenschaft und der Wissenschaftsfreiheit an erster Stellte steht.“ Das Rektorat sei im Land und bundesweit im Austausch mit anderen Hochschulen, um Erfahrungen und Expertisen zu teilen. Zudem sei die Wissenschaftsfreiheit durch das Grundgesetz geschützt. Und dieses ließe sich nicht ohne Weiteres aushebeln. Dann sprach Becker nicht als Rektorin, sondern als Professorin für Statistik, als Wissenschaftlerin: „Als Statistiker könnten Sie jede Statistik so hinbiegen, dass Ihnen jeder alles glaubt. Dann gibt es aber die Ethik der Wissenschaft, die sagt: Genau das tun wir nicht“, so Becker. Eine gute, kritische und ehrliche Wissenschaft müsse Ergebnisse unabhängig vom Gefallen möglicher Auftraggeber liefern. „Das ist der Wert von Wissenschaftsfreiheit.“ 

Was es konkret bedeuten könnte, wenn die Wissenschaftsfreiheit bedroht ist, führte Prof. Dr. Folker Roland, Rektor der Hochschule Harz und Präsident der Landesrektorenkonferenz, weiter aus. Als Beispiel nannte er Eingriffe in die Autonomie der Hochschulen. „Wir sehen, was in den USA passiert ist. Das ist für mich eine absolute Blaupause dessen, was hier auch passieren kann.“ Auch in Deutschland und in Sachsen-Anhalt gebe es Ankündigungen, etwa Gleichstellungsbeauftragte abzuschaffen oder vom Prinzip der Gruppenuniversität abzukehren, nach dem die Entscheidungsfindung und Verwaltung auf verschiedene Gruppen innerhalb der Hochschule verteilt ist. Er sehe zudem eine große Gefahr darin, den Hochschulen die nötigen Finanzmittel zu verwehren.  

Vor einer strukturellen Aushöhlung von Institutionen und damit einhergehenden Eingriffen in die Autonomie der Hochschulen warnte auch Prof. Dr. Heinz-Jürgen Voß, Prorektor für Studium und Lehre an der Hochschule Merseburg. Der Historiker Prof. Dr. Andreas Pečar, Dekan der Philosophischen Fakultät I an der MLU, beschrieb seine Beobachtungen zum Aufkommen von „Parallelwelten in der Sprache“, wie er es nannte. In dieser Wahrnehmung sei etwa die Forschung, speziell in den Geistes- und Sozialwissenschaften, verblendet, ideologisch überformt – stattdessen solle man lieber auf den gesunden Menschenverstand vertrauen. 

Anschließend wurde die Diskussion für Fragen aus dem Publikum geöffnet. In einer regen Debatte wurden viele Fragen gestellt. Dabei wurde klar: „Perfekte Antworten“, wie es Folker Roland nannte, gibt es auf viele der Fragen noch nicht.

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