Besser vorbereitet in die Schule

13.10.2017 von Friederike Stecklum in Im Fokus, Campus, Studium und Lehre
Jede Schülerin und jeder Schüler ist anders. In der Ausbildung von Lehramtsstudierenden wurde das bisher zu wenig berücksichtigt. Das Projekt „Kasuistische Lehrerbildung für den inklusiven Unterricht“ (KALEI) soll das mit einem verstärkten Fokus auf die Unterrichtspraxis ändern.
Jedes Kind bringt andere Lernvoraussetzungen mit.
Jedes Kind bringt andere Lernvoraussetzungen mit. (Foto: RichVintage/iStock)

Eine Studentin, die bereits von den Projektergebnissen profitiert, ist Nora Haser. Sie hat ein Praktikum an der Integrierten Gesamtschule Halle (IGS Halle) gemacht und berichtet am Telefon von ihren Eindrücken am ersten Tag: „Ein wenig aufgeregt war ich schon, bevor ich in die Klasse ging. Ich habe eine Doppelstunde Deutsch gehalten und mich drei Tage darauf vorbereitet.“ In den Klassen, die sie unterrichtet hat, sitzen Schülerinnen und Schüler mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen, darunter auch Kinder mit sonderpädagogischem Förderbedarf. „Darauf war ich vorher sehr gespannt, wie flexibel ich die Stunden planen kann und ob ich viele alternative Aufgaben vorbereiten muss“, sagt Nora Haser, die im neunten Semester Deutsch und Kunst auf Gymnasiallehramt an der Universität Halle studiert. Dass Kinder und Jugendliche mit unterschiedlichen Lernvoraussetzungen eine Klasse besuchen, ist nicht selbstverständlich. Dabei fordert das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen bereits seit 2008, dass das Schulsystem inklusiv angelegt sein soll und allen Menschen offensteht. Inklusion in den Schulalltag und das bestehende System zu integrieren erweist sich jedoch als Aufgabe, die viele Ressourcen und Reformen bedarf. „Welche Schulform ein Kind besucht, hängt in Deutschland leider oft noch von Leistung und sozialer Herkunft ab. Dass ein Kind mit Förderbedarf beispielsweise ein Gymnasium besucht, ist immer noch eher selten“, sagt Susanne Schütz vom Zentrum für Lehrerbildung (ZLB) der Uni Halle. Sie koordiniert das Projekt KALEI.

Zukünftig stehen angehende Lehrkräfte vor der Aufgabe, inklusiven Unterricht anzubieten. Bisher spielte dieser Aspekt in ihrer Ausbildung kaum eine Rolle. Inklusion bedeutet dabei aber nicht nur, Kindern mit Behinderung gerecht zu werden. „Wir sollten uns von der Vorstellung verabschieden, dass Inklusion nur mit Defiziten zu tun hat. Vielmehr geht es darum, die unterschiedlichen Lernvoraussetzungen und sozialen und kulturellen Unterschiede, die jeder Mensch mitbringt, zu berücksichtigen“, sagt Susanne Schütz. Deshalb ist ein Ziel von KALEI, angehende Lehrerinnen und Lehrer im Studium auf inklusiven Unterricht vorzubereiten und für die verschiedenen Bedürfnisse der Kinder und Jugendlichen zu sensibilisieren.

Perspektivwechsel und Denkanstöße

Eine weitere Aufgabe, vor der angehende Lehrkräfte stehen, ist, auf die sprachliche und kulturelle Vielfalt im Unterricht einzugehen. Bisher finden sich diese Aspekte kaum im Lehramtsstudium wieder. Deshalb fördert KALEI die Internationalisierung des Lehramts und den interkulturellen Austausch der Studierenden etwa durch Auslandspraktika. Zudem gibt es das Ergänzungsfach Deutsch als Zweitsprache, das unter anderem Module zu Interkulturalität, Migration und Integration beinhaltet. Haser hat bereits vor dem Studium einen Auslandsaufenthalt absolviert. „Ich habe nach dem Abitur im Ausland in einem Kindergarten mit Ganztagsschule ein Praktikum gemacht. Die Arbeit mit Menschen hat mich interessiert und mir derart Spaß gemacht, dass ich mich schließlich für ein Lehramtsstudium entschieden habe.“

Inzwischen hatte sie bereits neun Semester Gelegenheit, erste Unterrichtserfahrungen als Lehrerin zu sammeln. Die Situation an der IGS Halle war dennoch ganz besonders für sie. Denn mit den unterschiedlichen Förderbedarfen der Kinder hatte sie bisher vor allem in der Theorie zu tun. „Ich war davon ausgegangen, dass ich quasi für jeden Schüler eigenes Arbeitsmaterial haben muss. Zum Glück ist es dann doch nicht so speziell. Kinder, die beispielsweise eine Leserechtschreibschwäche haben, bekommen andere Arbeitsblätter oder dürfen mit dem Tablet schreiben“, berichtet sie. Zudem gebe es Förderangebote, die den Schülern etwa nachmittags besondere Unterstützung anbieten. Das Basisseminar „Grundlagen inklusiver Pädagogik“, das im Rahmen von KALEI angeboten wird, hat sie für das Thema im Vorhinein sensibilisiert. Es wurde im Profilmodul Inklusion entwickelt und ist seit dem Wintersemester 2016/17 für die Lehramtsstudierenden verpflichtend.

Ziel des Basisseminars und der darauf aufbauenden Profilseminare ist nicht, die Studierenden von einer Meinung zur Inklusion zu überzeugen. „Vielmehr wollen wir sie dazu ermutigen, einen eigenen Standpunkt dazu zu entwickeln. Wir geben ihnen wissenschaftliche Argumente an die Hand und regen sie zur Reflexion an“, betont Susanne Schütz. Die verschiedenen Blickwinkel auf Inklusion und Heterogenität werden durch zwei Aspekte verstärkt: Zum einen besuchen Studierende der unterschiedlichen Lehramtsstudiengänge die Seminare, zum anderen tragen die beruflichen Hintergründe der Dozentinnen und Dozenten dazu bei. Denn die Profilseminare haben je nach Seminarleiter eine sozial-, schul- oder förderpädagogische Ausrichtung.

Geht das Konzept auf?

Die Diskussionen im Seminar haben Nora Haser zum Nachdenken angeregt: „Ich hatte mir vorher über das Thema Inklusion tatsächlich kaum Gedanken gemacht.“ Besonders hilfreich fand sie auch die unterschiedlichen Methoden, die sie im Seminar an die Hand bekam und später im Unterricht ausprobieren kann. Ob es anderen Studierenden ähnlich geht, ist zugleich eine Forschungsfrage des Projekts. Denn Angebote zu entwickeln und durchzuführen ist die eine Seite, die andere zu überprüfen, ob und wie sie wirken und zu optimieren. Diesen Part übernimmt Juniorprofessorin Dr. Doris Wittek, die KALEI wissenschaftlich evaluiert. „Wir untersuchen unter anderem, inwiefern KALEI-Teilnehmende sensibler für die Heterogenität der Schülerinnen und Schüler werden“, sagt Wittek. Dafür nutzt sie mit ihrem Team Online-Fragebögen und führt qualitative Befragungen mit ausgewählten Studierenden durch.

Ein weiterer Forschungsaspekt ist die Frage, wie sich der Lehrerhabitus entwickelt. „Also denken angehende Lehrer zuerst: Ich bin Historiker oder ich bin Lehrer für Geschichte?“, sagt Susanne Schütz. Welcher Aspekt davon ist vorrangig: das Fach oder der Gedanke, Lehrer zu sein? Was davon ist zielführend? Und wie verändert sich diese Wahrnehmung in der Berufsbiografie? Der Projektkoordinatorin liegt innerhalb von KALEI vor allem eines am Herzen: „Wir wollen die verschiedenen Lehrerbildungsbereiche innerhalb der Universität besser untereinander vernetzen und Anlässe zum Austausch bieten.“

Kontakt: Susanne Schütz
Koordinatorin KALEI
Telefon: +49 345 55-21719
E-Mail: susanne.schuetz@zlb.uni-halle.de

Schlagwörter

Lehrerbildung

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