Aufklärungsforscher und Vermittler: Zum Tod von Manfred Beetz

26.01.2022 von Prof. Dr. Daniel Fulda in Personalia
Am 16. Dezember 2021 ist der Literaturwissenschaftler Prof. Dr. Manfred Beetz verstorben. Über viele Jahre hat er eine tragende Rolle im Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA) an der Universität gespielt. Ein Nachruf von Prof. Dr. Daniel Fulda
Manfred Beetz kurz nach seiner Emeritierung
Manfred Beetz kurz nach seiner Emeritierung (Foto: privat)

Logik und Rhetorik sind wir gewohnt als Gegensätze zu verstehen: Während jene den Verstandesgebrauch schärfen soll, damit keine Irrtümer unterlaufen, handelt diese vom kunstvollen Einsatz sprachlicher Mittel, der an Leidenschaften oder Phantasie eines Publikums appelliert, um es auf die Seite des Sprechers zu ziehen. Die Logik steht, wie es scheint, im Dienst der Wahrheit; auf Wirkung hingegen zielt die Rhetorik. Mit Rhetorische Logik als provozierender Verbindung des Gegensätzlichen war dagegen das Buch übertitelt, mit dem Manfred Beetz 1980 auf die wissenschaftliche Bühne trat – und sogleich Aufsehen erregte. Seine von der Universität des Saarlandes angenommene und bald preisgekrönte Dissertation zeigt, dass logische Prinzipien auch in Bereichen, die herkömmlich der Rhetorik unterlagen, relevant waren: Das Vergnügen an Dichtung sollte im Verständnis der Frühen Neuzeit nicht zuletzt aus gedanklicher Schärfe erwachsen. Im Übergang zur Aufklärung nahm der Stellenwert der Logik sogar noch zu, wie Manfred Beetz zeigen konnte. Literaturgeschichtlich erbrachten seine Untersuchungen zudem den Ertrag, dass der scheinbar unvermittelte Neueinsatz der Aufklärung als Beginn der europäischen Moderne nun ein Stück besser erklärt werden konnte, nämlich aus deutlich älteren Traditionen und Methoden der Verstandesschärfung.

Als in den frühen 1990er Jahren die hallischen Geisteswissenschaften weitgehend neu aufgebaut werden mussten, war Manfred Beetz geradezu prädestiniert für den Ruf an unsere Universität, wo die Aufklärungsforschung seit langem eine herausragende Rolle spielte und zukünftig noch mehr spielen sollte. Sogar noch näher an charakteristisch hallischen Themen stand seine 1987 angenommene Habilitationsschrift über Frühmoderne Höflichkeit. Denn einer ihrer Protagonisten ist Christian Thomasius, der den Gelehrten Weltläufigkeit empfahl, damit sie über ihren Elfenbeinturm hinaus gehört werden. So spielte Manfred Beetz, nachdem er 1994 auf die Professur (C 4) für Neuere deutsche Literaturwissenschaft berufen worden war, bald eine tragende Rolle im neuformierten Interdisziplinären Zentrum für die Erforschung der Europäischen Aufklärung (IZEA). Bis zu seiner Emeritierung im Jahr 2006 gehörte er dem Direktorium des IZEA an; drei Jahre lang (2002–2004) hatte er die Geschäftsführung inne. Zahlreiche Kolloquien hat er mitveranstaltet, die rasch renommierte Publikationsreihe des IZEA mitaufgebaut. In den beiden DFG-Forschergruppen, die von 1998 bis 2010 im IZEA angesiedelt waren, hat er insgesamt vier Projekte geleitet. Zu seinen Verdiensten um die Aufklärungsforschung zählt ebenso sein Einsatz für die Deutsche Gesellschaft für die Erforschung des 18. Jahrhunderts, 2000 bis 2002 im Vorstand und in den folgenden beiden Jahren als Vize-Präsident, sowie seine Kuratoriumstätigkeit in der reichen regionalen Museums- und Forschungsstättenlandschaft.

Im Germanistischen Institut wird nicht zuletzt sein Engagement für das nachwendezeitliche Kennenlernen zwischen ost- und westdeutschen Autoren und die Vermittlung zwischen ost- und westdeutschen Perspektiven in der Literaturwissenschaft in Erinnerung bleiben. Nach den personellen Umbrüchen in diesem zur DDR-Zeit hoch ideologisierten Fach waren die Bedingungen für Neuaufbau und Profilierung äußerst schwierig. Mit seiner zurückhaltenden und verständigungsbereiten Art hat sich Manfred Beetz in dieser Situation große Verdienste um den Zusammenhalt des Germanistischen Instituts erworben. Die Höflichkeit und das Eingehen auf das jeweilige Gegenüber, deren frühneuzeitliche Theoretisierung er erforscht und als einen Beitrag zur durchaus mühsamen Formierung der modernen Gesellschaft erkannt hat, praktizierte er wie selbstverständlich.

Erfahrungen mit einem radikalen Wechsel der Lebensumstände hatte Manfred Beetz in jungen Jahren selbst gemacht, freilich nach eigener individueller Entscheidung, nicht nolens volens im Zuge eines gesellschaftlichen Systemwechsels: Gleich nach dem 1960 in Bamberg abgelegten Abitur war er in den Jesuitenorden eingetreten und hatte dort das Noviziat und ein philosophisches Studium absolviert. Dann jedoch verließ er den Orden und begann Germanistik zu studieren, zunächst in München und ab 1969 an der FU Berlin, mit Examen wieder in München. Jener Austritt war ein großer Schritt: Mit weitreichenden Weltdeutungen hat man es zwar häufig auch in der Literatur zu tun – die aber weder Glauben noch Gehorsam fordern. Auch diese eigene Wendeerfahrung mag es Manfred Beetz erleichtert haben, vom äußersten Westen nahe der französischen Grenze an die Saale zu ziehen und sich hier zu engagieren, dies übrigens nicht nur in der Universität, sondern auch in der Stadt, so in der hallischen Goethegesellschaft.

Nach längerer Krankheit ist Manfred Beetz am 16. Dezember 2021 im Alter von 80 Jahren verstorben. Wir trauern um einen hochgeschätzten Kollegen, der sich um die Wissenschaft und die hallische Universität verdient gemacht hat.
 

Der Autor Prof. Dr. Daniel Fulda hat seit 2007 den Lehrstuhl für Neuere deutsche Litera-turwissenschaft an der MLU inne und war von 2007 bis 2020 selbst Geschäftsführender Direktor des IZEA, in dessen Direktorium er noch heute sitzt.

 

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