Auf diesem Sender moderiert kein Mensch
Egal ob in der Straßenbahn, in der Warteschlange von Kunden-Hotlines, am Bahnhof oder am iPhone; Computergenerierte Stimmen haben sich bereits in vielen Bereichen des täglichen Lebens etabliert. Sprachsynthese, also die künstliche Erzeugung der menschlichen Stimme, hat auch für blinde Menschen viele Vorteile: Sie können sich zum Beispiel Zeitungsartikel einfach vorlesen lassen. Während also Computer-Stimmen in einigen Bereichen schon täglich angewendet werden, gibt es einen Bereich, für den das nicht vorstellbar ist: das Radio. Die Qualität der meisten Computer-Stimmen ist noch nicht radiotauglich.
Und trotzdem will Thomas Rybnicek genau das machen. Rybnicek ist Österreicher und lebt in Graz, hat aber in Halle den Masterstudiengang „Online Radio“ absolviert. Auf dem Sender „Mein Kinderradio“ soll künftig der virtuelle Moderator „Radino“, ein kleiner Dinosaurier, durch das Programm für Kinder von drei bis acht Jahren führen. Neben Kurzgeschichten und Hörbüchern gibt es im Programm auch Musik, die extra auf den Geschmack der Kleinen ausgelegt ist: “Eltern werden das Programm tagsüber nur ihren Kindern zuliebe anhören”, meint der Österreicher schmunzelnd, “am Abend spielen wir dann Entspannungsmusik und ein Programm für die Älteren.” Geplant ist, dass Radino dann täglich bis zu zehn Stunden moderiert: „Für menschliche Radiosprecher wäre das nahezu unmöglich.“
Von der Seminar-Idee zum wirklichen Sender
Die Idee für das Projekt kam Rybniczek am Anfang seines Studiums: Im ersten Semester sollten die Studierenden Konzepte für ein innovatives Radio entwickeln. Da kam ihm die Idee, den „teuersten“ Teil eines Radiosenders durch eine Maschine zu ersetzen: die Sprecher. Seitdem arbeitete er beständig weiter am Konzept seines Kinderradios. „Es ist möglich, die menschliche Stimme gegen eine computergenerierte einzutauschen“, ist sich Rybnicek sicher. Ein Beispiel dafür wäre Miku Hatsune. Hinter der japanischen Pop-Ikone, die ganze Konzerthallen füllt, steht nämlich keine wirkliche Person, sondern nur eine besonders ausgeklügelte Software, die eine Frauenstimme singen lässt.
Aus der anfänglichen Spielerei wurde spätestens im Juli 2013 Ernst, als „Mein Kinderradio“ eine UKW-Lizenz für den Großraum Wien zugesprochen bekommen hat. So befasste sich der Radiomacher aus Österreich auch in seiner Masterarbeit mit den „Möglichkeiten und Grenzen des Einsatzes von Sprachsynthese im Radio“. Erstes Ergebnis: „Schauspielerisches Talent hat die Maschine nicht.“ Soll heißen, dass es zwar problemlos möglich ist, mit einer künstlichen Stimme ganze Texte vortragen zu können.
Allerdings würden noch „die letzten fünf Prozent“ fehlen, damit Sprachsynthese kaum noch von menschlichen Stimmen zu unterscheiden ist. Und diese sind, so Rybnicek, die schwierigsten: Bei der Entwicklung von radiotauglichen Sprechern müsse man darauf achten, dass die Maschine Rhythmus, Betonung und Melodie noch besser einsetzen könne. „In zehn Jahren wird man dann gar keinen Unterschied mehr zwischen einer menschlichen Stimme und einer Maschine hören“, spitzt Rybnicek zu.
Für komplette Moderationen müsste es Sprachsynthese-Software auch schaffen, „das Unperfekte der Stimme“ abzubilden: Also beispielsweise ein Kratzen oder ein kurzes Wegbrechen der Stimme. Im Fall von Radino arbeiten die Entwickler gerade daran, den Dino fauchen und schnaufen zu lassen. Der Vorteil im Vergleich zu anderen Programmen ist hier, dass Radino nicht wie ein Mensch klingen muss. Ein Fantasie-Tier kann durchaus etwas komisch oder eigenartig klingen.
Ein billiger Ersatz für Radiosprecher?
Dass es trotzdem schon heute möglich ist, Radioprogramme mittels Sprachsynthese zu betreiben, zeigen der Bayerische Rundfunk und der Westdeutsche Rundfunk: Dort wird der Verkehrsfunk, bespielsweise auf WDR VeRa, komplett durch maschinelle Sprecher durchgeführt. „Derzeit ist die Software vor allem auf Nachrichten ausgelegt“, erklärt Rybnicek weiter.
Er bezweifelt auch, dass Sprachsynthese zu einer ernsthaften Bedrohung für den Beruf des Radiosprechers wird. Denn die Software könne eben nicht alles simulieren, sondern vor allem standardisierte Aufgaben erledigen. Und: “Anstatt die Sprecher komplett einzusparen, sollte man die frei gewordenen Kapazitäten eher für kreative Arbeiten und bessere Inhalte einsetzen.”
Das Programm ist schon jetzt auf der Wiener Frequenz und im Netz zu hören. Offizieller Sendebeginn ist im Sommer 2014 – allerdings noch ohne Radino. Derzeit muss noch an den sprecherischen Leistungen des Dino-Moderatoren gefeilt werden. Im Sommer 2015 soll Radino dann richtig “on air” gehen.