Von Leibesübungen zur Wissenschaft

02.10.2024 von Katrin Löwe in Campus, Varia
Vor 100 Jahren wurde an der halleschen Universität das „Institut für Leibesübungen“ gegründet. Prof. Dr. Oliver Stoll, geschäftsführender Direktor des heutigen Instituts für Sportwissenschaft, spricht im Interview über historische Hintergründe, Vorreiterrollen der Uni Halle und Aktivitäten zum Jubiläum, das in diesem Monat groß gefeiert wird.
Sprungbock, Boxhandschuhe und Pokal: Oliver Stoll mit einigen der Ausstellungsstücken, die in der Sonderausstellung zu sehen sein werden.
Sprungbock, Boxhandschuhe und Pokal: Oliver Stoll mit einigen der Ausstellungsstücken, die in der Sonderausstellung zu sehen sein werden. (Foto: Markus Scholz)

Wenn Sie auf die Gründung des Instituts 1924 in Halle blicken: Wo stand die Universität damals im Vergleich?
Oliver Stoll: Wir wissen, dass das hallesche Institut deutschlandweit zu den ältesten gehört. Nach dem Ersten Weltkrieg hatten sich unter Studenten die Stimmen gemehrt, die die Institutionalisierung von „Leibesübungen“ an Hochschulen und die Ausbildung von Turnlehrern gefordert haben. In Halle wurden die „Leitsätze für die körperliche Erziehung an Hochschulen“ aufgegriffen, die auf dem 2. Deutschen Studententag 1920 in Göttingen verabschiedet wurden. Das war der Ausgangspunkt für die Institutsgründung. Im Nationalsozialismus standen dann die Wehrerziehung und die Instrumentalisierung des Turnens im Vordergrund – die Anerkennung als Wissenschaftsdisziplin wurde dem Fach verwehrt.

1945 wurde die Universität geschlossen. Wann ging es für Ihr Institut weiter?
Es wurde 1948 als „Institut für Körpererziehung“ wiedereröffnet. Die Entwicklung ist eng mit dem Namen Dr. Gerhard Lukas verknüpft, ein Historiker und Altphilologe, der sich 1951 mit einer Schrift „Kritischer Beitrag zur Olympischen Idee“ habilitiert hatte und ein Jahr später zum ersten Professor auf einen Lehrstuhl für Körpererziehung in Deutschland berufen wurde. Das Institut wurde seitdem ausgebaut und inhaltlich ausdifferenziert. Gerhard Lukas hat sich zum Beispiel intensiv mit Begriffen wie Leib oder Körpererziehung auseinandergesetzt. Der bessere Begriff war für ihn Sport, weil der alles umfasst hat: Freizeit, Leistung und Gesundheit. Das war eine Diskussion, die dann auch in der  Bundesrepublik aufgegriffen wurde. Dort war übrigens insgesamt vieles anders gelaufen. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurden in Westdeutschland nur vereinzelt Institute gegründet, der große Run kam erst in den 1960er Jahren im Vorfeld der Olympischen Spiele von München. Im Osten galt Halle unterdessen als Modell für alle anderen Sportinstitute.

Wie sah dieses Modell aus?
In den 1960er Jahren sind fünf Wissenschaftsbereiche entstanden: gesellschaftswissenschaftliche und naturwissenschaftliche Grundlagen der Sportwissenschaft, Sportmedizin, Allgemeine Trainingswissenschaft und Methodik des Sportunterrichts. Es ging also nicht mehr nur um methodisch-didaktische Fragen. Schon zuvor war das Institut aus der Pädagogischen in die Philosophische Fakultät gewechselt und hatte als erstes sportwissenschaftliches Institut in Deutschland das Promotions- und Habilitationsrecht erhalten. Das war ganz wichtig, um die Wissenschaftsdisziplin voranzubringen. Und: Nach und nach wurde auch das Personal eingestellt, um zu forschen und die Inhalte zu vermitteln. 1948/49 gab es noch drei Lehrkräfte, 1955/56 waren es 34 und 1991/92 dann 43. Gut vernetzt hat sich das Institut vor allem in der Leistungssportforschung – in der DDR hatte man schnell erkannt, dass man die Wissenschaft braucht, wenn man international im Sport Erfolge zeigen wollte.

Wo steht das Institut heute?
Im CHE-Ranking sind wir ungefähr im Mittelfeld verortet, ich würde sagen, das bildet auch insgesamt unser Standing ganz gut ab. Mit durchschnittlich 35.000 bis 40.000 Euro Drittmittelaufkommen jährlich können wir uns durchaus mit vergleichbaren Instituten messen. Pro Jahr nehmen wir 150 Studierende auf, die meisten im Lehramt. Besonders beliebt sind die Angewandte Sportpsychologie mit rund 100 Bewerbungen auf zehn Plätze und der Masterstudiengang Sport & Ernährung mit rund 70 Bewerbungen auf zehn Plätze. Inzwischen haben wir auch wieder Personalaufwuchs – als ich im Jahr 2000 nach Halle gekommen bin, hatten wir 11,5 Stellen, heute sind es 14,5.

Das 100-jährige Bestehen wird jetzt im Oktober gefeiert. Seit wann bereiten Sie sich auf das Jubiläum vor?
Seit fast zwei Jahren. Dazu muss man sagen, dass die letzte Feier zum 75. Jubiläum war. Das 80. und das 90. sind wegen der hochschulpolitischen Kürzungsdebatten ins Wasser gefallen. Diesmal konnten wir uns in Ruhe vorbereiten und es war relativ schnell klar, dass es einen Festakt geben soll. Er findet am 25. Oktober im Löwengebäude statt. Außerdem haben wir weitere Ideen entwickelt – für eine Festschrift und die Sonderausstellung, die am 9. Oktober in der Kustodie eröffnet wird. Und wir haben das Jahr 2024 zu einem Themenjahr ernannt, in dem wir mit dem Label des Jubiläums in die Öffentlichkeit gehen: beim Lindenblütenfest in den Franckeschen Stiftungen, dem Kita-Sportfest der Stadt, der Benefizregatta „Rudern gegen Krebs“ oder dem 100. Jahn-Turnfest in Freyburg zum Beispiel. Auch einen eigenen Spendenlauf haben wir veranstaltet. Da wurden 557 Runden gelaufen, also 222,8 Kilometer.

Was erwartet die Besucher auf der Ausstellung?
Wir greifen vier Themen auf. Zunächst die Entwicklung des Sports insgesamt, sozusagen von der Antike bis zu den Olympischen Spielen in Paris. Ein zweiter Bereich widmet sich der Gründung des Instituts und dem Studentensport von 1924 bis heute, ein dritter Lehre und Forschung in der Sportwissenschaft in Halle. Wichtig war uns aber auch zu zeigen, dass Sport in die Gesellschaft hineinstrahlt.

Wie wird das alles vermittelt, was ist zu sehen?
Zum einen Texte und Bilder. Eine zentrale Idee war von Anfang an, den Mittelteil des Ausstellungsraums mit Sportobjekten und -geräten zu gestalten, die auch Erinnerungen an das eigene Sporttreiben lebendig werden lassen. Dort wird also ein Sprungbock stehen, historische Startblöcke aus Holz, Hochsprungständer aus den 1960er Jahren oder in den Vitrinen Schlittschuhe und  Kleingeräte aus verschiedenen Sportarten. Manches davon war gar nicht so einfach zu finden. Sportgeräte müssen ja Tüv-geprüft werden – viele wurden einfach durch modernere abgelöst. Dazu kommt, dass während der Corona-Zeit viele Sporthallen aufgeräumt wurden. Da sind wir zu spät gekommen mit unserer Suche.

Im Treppenhaus des Löwengebäudes werden großformatige Porträtbilder von Leistungssportlerinnen und -sportlern gezeigt, die bei uns studieren oder studiert haben. Weitere Porträts gibt es im Ausstellungsraum von Ehrenamtlichen aus Halle, die für das Thema Sport und Gesellschaft stehen.

Und mit wem feiern Sie am 25. Oktober?
Mit Gästen aus der Politik, dem Sport und der Universität. Wir haben auch unter unseren Ehemaligen Werbung gemacht und es kommen viele, die sich jahrelang nicht gesehen haben und jetzt die Chance nutzen. 200 von den 250 Plätzen sind schon vergeben. Im Rahmen des Festakts soll auch ein Alumni-Verein gegründet werden. Den Festvortrag „Quo vadis (Sport-)Wissenschaft“ hält Prof. Dr. Wilfried Alt aus Stuttgart, der hier studiert hat. Im Anschluss findet noch der Sportlerball im Steintor Varieté statt, den unsere Studierenden organisiert haben.

Weitere Informationen unter: https://blogs.urz.uni-halle.de/100jahresportwissenschaftinhalle/

Die Ausstellung

Ausstellung: "Schneller, höher, stärker. 100 Jahre Sportwissenschaft in Halle"
10. Oktober bis 8. Dezember 2024
Löwengebäude, Sonderausstellungsraum, 1. OG
Universitätsplatz 11
06108 Halle (Saale)
Öffnungszeiten: Mittwoch bis Sonntag, 13 bis 18 Uhr
Eintritt frei

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