Die Faszination der Steine
Wenn Thomas Degen über Steine redet, kommt er schnell in Fahrt: „Sie haben etwas Geheimnisvolles“, sagt er und ergänzt: „Jeder Mensch nutzt im Schnitt ein Kilo Stein pro Stunde.“ Man könnte auch formulieren, dass es im Alltag nur wenige steinfreie Situationen gibt. Straßen, Häuser, Handys – überall spielen sie eine wichtige Rolle. „Steine sind Ursprung“, sagt Thomas Degen, der auf Umwegen zu seinem Fach, der Geologie, fand. Aufgewachsen in einem kleinen Ort im nördlichen Schwarzwald, studierte er zunächst Mathematik an der Uni Heidelberg. Doch das sei nichts für ihn gewesen. „Wie so oft im Leben war die zweite Wahl dann die richtige.“
Steine waren es auch, die den Geologen später weit über die Grenzen seines Instituts hinaus geführt haben. Schließlich war er es, der 2002 damit begann, im Innenhof des Gebäudekomplexes am Von-Seckendorff-Platz einen Gesteinsgarten anzulegen. Dessen Einrichtung ging auf einen Aufruf der Institutsleitung zurück. Gedacht war zunächst nur an ein paar Anschauungsobjekte für die Studierenden, und so begann Thomas Degen mit den Recherchen. In den folgenden Monaten war er an 25 Wochenenden deutschlandweit in 30 verschiedenen Steinbrüchen unterwegs: in den Alpen, im Schwarzwald, im Erz- und im Fichtelgebirge sowie im Bayerischen Wald. „Dort durfte ich mir aus Resten geeignete Exemplare kostenlos aussuchen.“
Es folgte die bange Frage: Wie kommen die Kolosse nach Halle? Doch auch dafür fand sich eine Lösung. Das Technische Hilfswerk in Dessau hatte die Ausrüstung, um die riesigen Brocken aufzuladen und nach Halle zu transportieren. Am 22. und 23. Juni 2003 war es soweit, die ersten Steine wurden in Heide-Süd aufgestellt. Zum Prunkstück der Sammlung wurde ein 33 Tonnen schwerer Pillowbasalt aus Bad Berneck im Fichtelgebirge. „Die besondere Schwierigkeit bestand darin, ihn hochkant zu positionieren“, sagt Thomas Degen.
Die Brocken wurden schließlich vor Ort nach einer geologischen Systematik gruppiert. Magmatische und Metamorphe Gesteine reihen sich seither an Sedimente. Nach und nach mauserte sich das steinerne Ensemble zu einem nicht nur für Geologen und Geologinnen interessanten Anziehungspunkt auf dem Campus. „Dass aus der ursprünglichen Idee viel mehr wurde, hat sich einfach so ergeben“, so Thomas Degen, der inzwischen jährlich rund 1.000 Besucherinnen und Besucher über das Areal führt. „Übers Jahr“, so schätzt er mit Blick auf Veranstaltungen wie die Lange Nacht der Wissenschaften und die Museumsnacht oder auf einzelne Gäste, „zählen wir mehr als 6.000 Menschen im Geologischen Garten.“
Der 69-Jährige freut sich über die Aufmerksamkeit, die damit auch sein Fach erhält. Im Gegensatz zu seiner eigenen Studienzeit seien die Berufsaussichten für Absolventinnen und Absolventen inzwischen sehr gut. Deshalb erfüllt es ihn auch mit Genugtuung, dass die in den Nullerjahren drohende Schließung des Instituts längst vom Tisch ist. Dass diese Pläne mit Protesten verhindert werden konnten, sei auch ein Beleg dafür, „dass es sich immer lohnt, aktiv zu werden“.
Etwas in Bewegung bringen, positive Impulse setzen und generell das Organisieren sieht er als seine Kernkompetenzen und auch als das, was ihn besonders reizte, als er 1994 nach Halle kam. „Ich habe immer gemacht, was möglich war“, sagt er mit Blick auf den „enormen Gestaltungsspielraum“, den es damals beim Aufbau neuer Strukturen an der MLU gab.
Zuvor war Thomas Degen in Heidelberg promoviert worden und dann seinem späteren Chef, dem inzwischen emeritierten Petrologen Prof. Dr. Gregor Borg, nach Halle gefolgt. Hier galt es, schnell, unkompliziert und damals noch weitestgehend ohne Verwaltungskorsett Entscheidungen zu treffen, um den zu jener Zeit noch recht neuen Studiengang für Geologie zu strukturieren. Von Anfang an sei es auch die Lehre gewesen, die ihn immer wieder begeistert habe, auch deshalb, weil sie einen hohen praktischen Anteil hat, sagt Thomas Degen.
„Geologen sind eine verschworene Gemeinschaft, schließlich müssen sie ordentlich was aushalten.“ Zum Beispiel Wanderungen durch unwegsames Gelände. Mehr als 50 Mal hat Thomas Degen Studierende bei solchen Exkursionen begleitet, genauer: als Leiter von Kartier-Kursen nach Skandinavien. Mehr als zehn Mal ging es dann auch mit Rucksack, Zelt und Fertignahrung durchs Dickicht. Klingt ein bisschen wie Abenteuer, hat aber einen ganz praktischen Sinn: „Orientierung im Gelände ist eine Kernkompetenz für Geologinnen und Geologen, und die muss man lernen“, sagt er und ergänzt: „Solche Touren übersteht man am besten als Team. Wer diese gemeinsame Erfahrung gemacht hat, der hält auch später zusammen.“
Einer der Studenten, den Thomas Degen damals auf einem solchen Kartier-Kurs begleitet hat, ist Dirk Schlesier, heute Direktor des neuen Planetariums in Halle. „Wir sind inzwischen befreundet und kümmern uns gemeinsam um die Förderung naturwissenschaftlicher Vereine in Sachsen-Anhalt“, sagt Degen, der weiterhin in zahlreichen Projekten aktiv ist.
Sein offizielles Renteneintrittsalter hatte der gebürtige Schwarzwälder bereits vor drei Jahren erreicht, doch wegen Personalmangels am Institut verlängerte er seine Stelle bis April dieses Jahres. „Aber jetzt ist endgültig Schluss.“ Nun ja, fast: Im kommenden Semester wird der rührige Geologe, der übrigens mehr als 15 Jahre einen Sitz im Akademischen Senat der MLU hatte, noch ein Seminar übernehmen. Die Führungen im Geologischen Garten setzt er fort. Und auch in der Stadt Halle will er sich weiterhin einbringen. „Sie ist meine Heimat geworden, ich habe nirgends länger gelebt als hier.“ Schon 2005 erhielt er für sein Engagement im Geologischen Garten den halleschen Bürgerpreis „Der Esel, der auf Rosen geht“.