„RNA-Viren sind gefährlich, weil sie sich schnell weiterentwickeln“

02.04.2020 von Ronja Münch in Wissenschaft
Das neue Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein RNA-Virus. Diese Viren haben besondere Eigenschaften, durch die sie schwer zu bekämpfen sind, erklärt Prof. Dr. Sven-Erik Behrens vom Institut für Biochemie und Biotechnologie der Uni Halle. Er erforscht seit Jahren verschiedene RNA-Viren und entwickelt Impfstoffe für Tiere und Pflanzen.
Künstlerische Darstellung von Viren
Künstlerische Darstellung von Viren (Foto: Pixabay)

Was ist eigentlich der grundsätzliche Unterschied in der Behandlung einer bakteriellen und einer viralen Erkrankung?
Sven-Erik Behrens: Bakterielle Erkrankungen lassen sich insbesondere mit den Mitteln, die die Menschen in den letzten 100 Jahren entwickeln konnten, deutlich besser behandeln als virale Infektionen. Antibiotika wirken in der Regel gegen sehr viele unterschiedliche Bakterien, während antivirale Substanzen oft sehr spezifisch auf ein Virus zugeschnitten sein müssen.

Sven-Erik Behrens
Sven-Erik Behrens (Foto: IMG Sachsen-Anhalt/Andreas Lander)

Das Coronavirus SARS-CoV-2 ist ein RNA-Virus. Was ist das Spezielle an RNA-Viren?
Viren nutzen die Zellen ihrer Wirte, um sich zu vermehren, weil sie selbst nicht dazu in der Lage sind. RNA-Viren haben dabei im Vergleich zu DNA-Viren eine Eigenschaft, die ein großes Problem für die Bekämpfung ist. Anders als die meisten DNA-Viren nutzen sie nicht die Replikationsmaschinerie der Zelle, um ihr Erbgut zu vermehren. Die Enzyme der Zelle verdoppeln das Genom der Zelle sehr zuverlässig, mit einer sehr kleinen Fehlerrate, weil der Organismus sonst durch Mutationen sehr schnell Schaden nehmen würde. Gleichzeitig gibt es Mechanismen, die Fehler eliminieren. RNA-Viren hingegen bringen ein eigenes Enzym – eine Polymerase – für die Vermehrung mit. Und diese Polymerase macht sehr viele Fehler. Dadurch entsteht in der Zelle nicht eine einheitliche Gruppe von neuen Tochterviren, sondern eine ganze Reihe unterschiedlicher Formen. Dadurch hat man eine sehr schnelle Evolution der Viren. Und deshalb sind RNA-Viren so gefährlich, weil sie sich so schnell weiterentwickeln und es darum so schwierig ist, verlässliche antivirale Medikamente und auch Impfstoffe herzustellen. Bei Hepatitis C zum Beispiel gab es relativ schnell Substanzen, die bestimmte Enzyme von diesem Virus lahmlegen konnten. Aber es gab dann auch schnell Virusvarianten, die gegen diese Substanzen resistent waren. Gelöst wird das, indem verschiedene antivirale Substanzen gleichzeitig in einem einzigen Medikament verabreicht werden. Das trifft vermutlich in ähnlicher Weise auch für das neue Coronavirus zu. Man wird möglichst verschiedene Teilbereiche des Lebenszyklus dieses Virus treffen müssen, um es wirksam mit Medikamenten bekämpfen zu können.

Sie erforschen am Institut zwar keine Coronaviren, aber RNA-Viren. Was für allgemeine Erkenntnisse konnten Sie gewinnen?
Wir erforschen unter anderem die Familie der Flaviviridae, dazu gehören die Flaviviren, Hepatitis-C-Viren und die sogenannten Pestiviren. Pestiviren sind Tierpathogene. Die sind alle sehr ähnlich aufgebaut und haben ein sogenanntes Plus-Strang-RNA-Genom – wie auch das neue Coronavirus. Was uns lange Jahre beschäftigt hat, ist dieses Enzym, worüber wir gerade schon gesprochen haben, die Polymerase. Wir haben uns angeschaut, wie es funktioniert und wie man es blockieren kann. Wir haben außerdem untersucht, welche zellulären Faktoren dem Virus helfen, sich zu vermehren, und einen sehr faszinierenden Mechanismus gefunden: Bestimmte Proteine in den Wirtszellen falten das virale RNA-Genom in eine bestimmte Form, sodass die Polymerase darauf schneller arbeiten kann.

Das ist also Grundlagenforschung, kein Therapieansatz.
Genau. Wir entwickeln aber auch Impfstoffe für Tiere und Pflanzen gegen verschiedene Viren. Wir stellen zum Beispiel virale Proteine in einem Hefesystem her, und zwar in großen Mengen. Wir haben eine relativ neue Methode in der Universität entwickelt und damit eine Firma ausgegründet, Verovaccines. Wir spritzen den Tieren die abgetötete Hefe mit den viralen Proteinen unter die Haut. Und die Tiere entwickeln dann eine Immunantwort. Das ist eine günstige und auch schnelle Methode, um vor allem im veterinärmedizinischen Bereich gegen Virusinfektionen zu schützen.

Was ist der Vorteil gegenüber anderen Impfstoffen?
Viele Impfstoffe sind sogenannte virusbasierte Impfstoffe. Diese enthalten abgetötete oder entschärfte Versionen des Krankheitserregers. Wir nehmen stattdessen kleine definierte Bestandteile des Virus, von denen wir wissen, dass sie auch allein eine gute Immunantwort auslösen können. Das hat einen großen Vorteil: Wir arbeiten nicht mit Viren, also nicht mit infektiösem Material, und haben damit auch die Gefahrenstufe der Impfstoffe deutlich gesenkt. Es hat aber auch einen Nachteil: Denn diese sogenannten Subunit-Impfstoffe lösen eine schwächere Immunantwort aus als ein komplettes Viruspartikel. Viele Ansätze, einen modernen Impfstoff gegen das neuartige Coronavirus zu entwickeln, nutzen ähnliche Systeme. Wir machen das im tiermedizinischen Bereich. Impfstoffe für Menschen zu entwickeln dauert sehr viel länger und ist wesentlich teurer.

Und wieso kommen jetzt gegen SARS-CoV-2 so schnell neue Impfstoffe ins Spiel?
Verschiedene Impfstofffirmen haben unter anderem aufgrund der SARS-1- und MERS-Epidemien in den Jahren 2002/2003 beziehungsweise 2012 schon sehr viel Vorarbeit geleistet. Im Zuge der derzeitigen Situation gibt es zudem einige Sonderregelungen, die helfen, viel Bürokratie einzusparen. Es wird aber trotzdem Zeit brauchen. Impfstoffe müssen zwei wesentliche Kriterien erfüllen: Sie müssen sicher sein, das heißt derjenige, der geimpft wird, darf keinen Schaden davontragen. Und sie müssen effizient sein, sie müssen wirken. Diese beiden Kriterien sind nicht so einfach zu erreichen. Hierfür braucht es sehr aufwändige klinische Studien. Momentan ist es unter Umständen einfacher, weil viele Menschen als Freiwillige an solchen Tests teilnehmen.

Das heißt, es gibt noch keinen fertigen Impfstoff, sondern wir befinden uns in der Phase der klinischen Studien?
Ich denke, das ist bei den meisten der Fall. Es gibt auch einen Impfstoff, der gegen SARS-1 gerichtet war, der aber wohl nie bis zum Ende durchgetestet worden ist. Da hat man eine gewisse Hoffnung, dass dieser eine sogenannte Kreuzprotektion gegen SARS-2 bieten könnte. Das heißt, dass er auch gegen verwandte Virusarten wirken könnte. Hier muss man aber sehr vorsichtig sein, denn Kreuzprotektion wirkt oft nicht zu hundert Prozent und man braucht ja jetzt unbedingt einen möglichst umfassenden Schutz.

Warum dauert es denn so lange, einen wirksamen Impfstoff zu entwickeln?
Ein entschärftes Virus oder eben ein Subunit-Impfstoff muss sicher sein und eine starke Immunantwort gegen das eigentliche Virus und idealerweise auch gleich gegen Varianten dieses Virus hervorrufen. Und das ist nicht unbedingt garantiert. Man muss oft sehr lange testen. Und es ist immer noch, das muss man leider sagen, ein bisschen trial and error.

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Kommentare

  • Dr.Gebhardt Heidrun am 02.08.2020 22:52

    Sehr sehr interessant. Es begeistert mich. Möchte gerne mal im Institut des Prof. zur Hospitation kommen dürfen. Bin brennend...wirklich brennend interessiert und es begeistert mich.
    Dr. Heidi Gebhardt aus Jessen.

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