Reise durch das Land der Sehnsucht und Emotionen

28.05.2013 von Tony Kliche in Varia
Der Countertenor Andreas Scholl und die Pianistin Tamar Halperin begeisterten in der Reihe der aula konzerte halle am Samstag, 25. Mai 2013, mit ihrem neuen Konzertprogramm. In das Land der Sehnsucht und Emotionen entführten sie mit Lied- und Klavierkompositionen von Joseph Haydn, Wolfgang Amadé Mozart, Franz Schubert und Johannes Brahms.
Countertenor Andreas Scholl und Pianistin Tamar Halperin,
Countertenor Andreas Scholl und Pianistin Tamar Halperin, (Foto: Maike Glöckner)

Es erklangen drei Lieder aus den VI English Canzonettas, Hob. XXVIa: 25-30 von Joseph Haydn (1732–1809), die er auf Gedichte der Lyrikerin Anne Home Hunter (1742–1821) – während seines ersten Aufenthaltes in London in den Jahren von 1791 bis 1792 – komponierte. Diese melancholisch-nachdenklichen Lieder sind reich an inniger Empfindungskraft und stehen im Kontrast zu den großen Sinfoniekompositionen Haydns während seiner ersten Londonreise. Tamar Halperin gestaltete die Solo-Einleitung zu Despair (Hoffnungslosigkeit) andächtig und schlicht, wodurch es ihr gelang, auf die Botschaft des Textes vorzubereiten, die Andreas Scholl nach einigen stimmlichen Intonationsschwierigkeiten auch gesanglich umzusetzen vermochte. The Wanderer (Der Wanderer) und Recollection (Erinnerung) waren ähnlich einfühlsam vorgetragen und boten dem Sänger viele Ausdrucksmöglichkeiten. Dabei hervorzuheben sind besonders die hervorragende Textverständlichkeit, weit reichende deklamatorische Gestaltungselemente, stimmliche Tragfähigkeit, feinfühlige Differenzierung und die Tatsache, dass die Stimme in den Liedern Haydns doch am besten die ihr so eigene Wirkungskraft erzeugen konnte.

Hieran knüpften der Walzer in h-Moll, op. 18 Nr. 6 und vier der bekanntesten Lieder von Franz Schubert (1797–1828) an. Halperin belebte das kurze Klavierstück durch reiche Gestaltungselemente, verzögerte das Tempo in der Wiederholung, agierte rhythmisch frei und dabei immer im Sinne der Musik. Ebenso zeugte auch ihre Liedbegleitung von einem tiefen Verständnis für diese Musik: sie diente der Untermalung von Text und Singstimme. Eine dramaturgische Einheit im Sinne einer fortlaufenden Erzählung bildeten die Lieder Im Haine, D 738 (Text: Franz Seraph Ritter von Bruchmann, 1798–1867), Abendstern, D 806 (Text: Johann Mayrhofer, 1787–1836), An Mignon, D 161 (Text: Johann Wolfgang von Goethe, 1749–1832) und Du bist die Ruh, D 776 (Text: Friedrich Rückert, 1788–1806). Hier stellte sich freilich erstmals die Frage, ob die stimmtechnischen Möglichkeiten eines Countertenors den Liedkompositionen Schuberts und den damit verbundenen Anforderungen an den Sänger gerecht werden können. Ein daraus resultierender interpretatorischer Aspekt kann sein, diese Literatur einmal in einer vibratofreien Tongebung vorzutragen. Offen bleibt dabei dennoch, ob dies der Intention und den Vorgaben entspricht.

Johannes Brahms (1833–1897) komponierte mit seinen balladenhaften 6 Klavierstücken, op. 188 (1893) Charakterstücke, die seinem Liedschaffen außerordentlich nahe stehen. Sie zeichnen sich durch nachdenkliche, träumerische, lyrische Grundstimmungen aus und sind Clara Schumann gewidmet. Eines davon, das Intermezzo A-Dur, op. 188, Nr. 2, war die nächste Etappe auf dieser musikalischen Reise. Tamar Halperin bewies große Meisterschaft mit ihrer Deutung, sowohl durch die feine Abstufung der melodischen Bögen wie auch durch nuancierte Feinheiten in der akkordischen Untermalung.

Countertenor Andreas Scholl und Pianistin Tamar Halperin,
Countertenor Andreas Scholl und Pianistin Tamar Halperin, (Foto: Maike Glöckner)

Zwei Lieder folgten: eine herrliche Vertonung des Veilchen, KV 476 (Text: Johann Wolfgang von Goethe, 1749–1832) von Wolfgang Amadé Mozart (1756-1791) und eine der 49 Deutschen Volksliedbearbeitungen WoO 33 (1893/94) von Johannes Brahms, mit dem Titel Mein Mädel hat einen Rosenmund. Einfachheit und schlichte Deutung von Liedtext und Melodie, daran denkt man hier in erster Linie. Andreas Scholl war in seiner Darstellung sehr bemüht diese Eigenschaften umzusetzen, jedoch fehlt es seiner Stimme an der dazu nötigen Leichtigkeit. Eine gewisse metallische Schärfe des Tones, vor allem in den hohen Registerlagen, wirkte dem eher entgegen.

Der zweite Teil des Konzerts wurde mit weiteren drei Liedern aus letztgenannter Sammlung von Johannes Brahms eröffnet: Guten Abend, mein tausiger Schatz, All mein Gedanken und Da unten im Tale. Hier wie auch zuvor ist die deutliche Textverständlichkeit hervorzuheben, aber auch die gestischen Gestaltungselemente, die eine unmittelbare Nähe zum Geschehen in den jeweiligen Liedern erzeugten und somit gleichfalls eine große Wirkung erzielten. Die Begleitung war dynamisch abwechslungs- und facettenreich gestaltet, dabei lebhaft phrasiert.

Ein Gegenpol zu den vorangegangenen Liedern bildete Der Jüngling auf dem Hügel, D 702 von Franz Schubert (Text: Heinrich Hüttenbrenner, 1799–1839). Ging es in den Volksliedern inhaltlich um Trennung und unerfüllte Liebe, so verbreitete sich nun eine Grundstimmung von schmerzlichem Verlust und Tod. Der doch sich recht weit in die Tiefe erstreckende Tonumfang des Liedes ließ Andreas Scholl die tiefe Lage seines Countertenores ausschreiten, wobei er an einigen Stellen ins Brustregister wechselte.

Das Rondo in F-Dur, KV 494 von Wolfgang Amadé Mozarte fungierte als eine Art Zwischenspiel und diente mit seinem heiteren, leicht verspielten Charakter dazu, die dunkle Stimmung für einen Moment aufzuhellen. Solch einen Eindruck konnte Tamar Halperin durch ihr perlendes Spiel auf ganz wunderbare Weise erzeugen. Im Gebrauch des Pedals war sie sehr zurückhaltend und setzte technisch-versiert lebhafte Akzente.

Jäh unterbrochen wurde diese Fröhlichkeit durch Schuberts Vertonung des Gedichtes Der Tod und das Mädchen, D 531 von Matthias Claudius (1740–1815). Die verzweifelte Bitte eines jungen Mädchens, der Tod möge sie verschonen, bleibt unerhört und wird auf eindrucksvolle Weise kompositorisch umgesetzt. Andreas Scholl sang die Stimme des Mädchens in Countertenorlage und wechselte mit der Stimme des Todes in das Baritonregister, wodurch diesem Moment eine wirkliche Besonderheit zukam. Den Abschied von dieser Reise boten noch einmal zwei weitere Lieder von Brahms aus den 49 Volksliedbearbeitungen (Es ging ein Maidlein zarte und In stiller Nacht) und abschließend die meditative Abendempfindung, KV 523 (Text: Joachim Heinrich Campe, 1746-1818) von W. A. Mozart.

Countertenor Andreas Scholl und Pianistin Tamar Halperin,
Countertenor Andreas Scholl und Pianistin Tamar Halperin, (Foto: Maike Glöckner)

Das Konzert bot mit seinen unterschiedlichen, abwechslungsreichen Programmpunkten eine große Spannbreite aus dem weiten Reich der musikalischen Romantik, geprägt durch Melancholie, Verlust, Trauer, Nachdenklichkeit, aber auch heitere Momente und Freude. Diese Empfindungen spiegeln sich in den vielen überlieferten deutschen Volksliedern und Kunstliedbearbeitungen wider, die durch Franz Schubert und Johannes Brahms zur Blüte gebracht wurden. Zwar entstammen die Lieder von Joseph Haydn und Wolfgang Amadé Mozart einer früheren Epoche, liefern aber einen wichtigen Beitrag durch das Aufgreifen verwandter Thematik und wirken als Vorläufer der musikalischen Romantik. Andreas Scholl und Tamar Halperin haben das hier besprochene Konzert bereits als CD-Produktion unter dem Titel „WANDERER“ veröffentlicht. So ist das (Konzert-)Programm auch am besten zu verstehen: als eine Wanderung durch die musikalische Welt der Klassik und Romantik, eine Reise durch das Land der Sehnsucht und Emotionen.

Für den lang anhaltenden Applaus bedankte sich das Künstlerpaar mit zwei Zugaben: einmal mit einer modernen Pop-Vertonung des Textes In stiller Nacht des israelischen Komponisten Idan Reichel und einer traditionellen schottischen Volksweise I will give my Love in der Bearbeitung von Tamar Halperin.

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