Physikunterricht und Klimawandel – gehört das zusammen?

21.11.2022 von Tom Leonhardt in Wissenschaft, Wissenstransfer
Die physikalischen Grundlagen des Klimawandels spielen im Schulunterricht bislang eine eher untergeordnete Rolle. Anders ist das künftig in Sachsen-Anhalt: Hier steht die Klimaphysik direkt im Fachlehrplan für Gymnasien. Dass das so ist, geht auch auf eine Initiative der Physikdidaktikerin Prof. Dr. Thorid Rabe von der MLU zurück, die als wissenschaftliche Beraterin die Überarbeitung der Lehrpläne begleitet hat. Im Interview erklärt sie die Hintergründe.
Thorid Rabe im Schülerlabor für Physik - hier können Schulklassen ebenfalls zum Thema Klimawandel experimentieren.
Thorid Rabe im Schülerlabor für Physik - hier können Schulklassen ebenfalls zum Thema Klimawandel experimentieren. (Foto: Markus Scholz)

Wurde der Klimawandel im Physikunterricht bisher überhaupt thematisiert?
Thorid Rabe: In Sachsen-Anhalt hat das Thema tatsächlich eine etwas längere Geschichte. Bis 2015 war die Klimaphysik schon einmal in den Rahmenplänen verankert - und zwar in der gymnasialen Oberstufe mit einem vergleichsweise umfangreichen Themenkomplex. Durch die damals neuen Bildungsstandards, die von der Kultusministerkonferenz bundesweit vorgegeben werden, mussten die Rahmenpläne überarbeitet werden und dabei ist das Thema verschwunden. Nun sind wieder neue Bildungsstandards veröffentlicht worden, die es umzusetzen galt – und da bot sich die Chance, das Thema neu zu verankern.

Wie wird das Thema Klimawandel denn in anderen Fächern behandelt?
Dafür bin ich keine Expertin. Ich habe aber gerade noch einmal zum Thema Bildung für nachhaltige Entwicklung recherchiert: In der Chemie zum Beispiel taucht der Treibhauseffekt schon auf. In der Geografie ist Klima traditionell ein Thema, allerdings wird hier der physikalische Hintergrund nicht erklärt.

Warum ist es wichtig, das Thema im Physikunterricht zu behandeln?
Die Schule hat meiner Meinung nach die Aufgabe, Schülerinnen und Schüler auf die vielfältigen Herausforderungen der Zukunft vorzubereiten. Dazu bedarf es auch naturwissenschaftlichen Hintergrundwissens. Es ist wichtig, dass die physikalischen Grundlagen des Klimawandels auch verstanden werden. Man darf nicht nur bei einer reinen Feststellung, zum Beispiel des Treibhauseffekts, bleiben. Es geht darum, wirklich zu verstehen: Was passiert mit der Strahlung der Sonne, wenn sie auf die Erde trifft? Woher kommt die Wärmestrahlung? Was unterscheidet den natürlichen von dem anthropogenen Treibhauseffekt?

Wie sah Ihre Arbeit bei der Überarbeitung der Lehrpläne aus?
In Sachsen-Anhalt gab es eine Kommission, die dafür zuständig war. Diese bestand vor allem aus Lehrerinnen und Lehrern sowie den Fachberaterinnen und Fachberatern, die alle sehr nah an der Unterrichtspraxis der Physik sind. Letztere beraten Schulen und entwickeln zum Beispiel Abituraufgaben mit. Meine Aufgabe war die wissenschaftliche Beratung bei der Erstellung der neuen Pläne. Und da habe ich den Impuls gegeben, die Klimaphysik wieder fest zu verankern. Die Umsetzung im Fachlehrplan wurde aber von den Lehrerinnen und Lehrern geleistet.

Wie wurde der Vorschlag aufgenommen?
Ganz positiv, weil die Thermodynamik, die Wärmelehre, ohnehin schon mal einen größeren Stellenwert hatte. Allerdings stellt sich bei so etwas immer ein Grundproblem dar: Wo kann der Freiraum für ein neues Thema geschaffen werden? Das ist immer schwierig, auch weil es unterschiedliche Auffassungen darüber gibt, welche Inhalte wie wichtig sind. Herausgekommen ist jetzt eine zehn- bis zwölfstündige Sequenz für fünf bis sechs Wochen Unterricht.

Ist das viel?
Es könnte natürlich immer mehr sein! (lacht) Wenn wir ein Schuljahr betrachten, alle Ferienwochen davon abziehen, kommen wir auf insgesamt etwa 36 Wochen …

… da nimmt das Thema ja schon einen gewissen Stellenwert ein.
Ja, insbesondere bin ich aber froh darüber, dass das Thema in Klasse 10 gelandet ist. Viele Schülerinnen und Schüler wählen Physik später leider ab. Jetzt gibt es eine große Chance, dass sie der Klimaphysik begegnen und so vielleicht auch mehr Interesse für das Fach Physik geweckt wird.  

Das Thema spielt aber nicht an allen Schulen eine Rolle?
Die Lehrpläne für Sekundarschulen wurden noch nicht überarbeitet. Für das Gymnasium war das nötig, weil es eben neue bundesweite Bildungsstandards für die Sekundarstufe II gab. Aktuell werden auch die bundesweiten Bildungsstandards für die Sekundarstufe I angepasst. Da hoffe ich, dass das Thema aufgegriffen wird.

Der Klimawandel wird öffentlich sehr kontrovers diskutiert. Es gibt viele Mythen, falsche Vorstellungen und Falschmeldungen. Inwiefern spielt das auch für den Physikunterricht eine Rolle?
In den Bildungsstandards sind verschiedene Kompetenzbereiche festgeschrieben, die bei jedem Thema im Unterricht adressiert werden sollen. Dazu gehört auch die Bewertungskompetenz. Im Unterricht könnte das zum Beispiel bedeuten, dass man innerfachlich – politisch ganz neutral – beurteilt, ob eine Argumentation physikalisch schlüssig und haltbar ist. Oder man kann das Thema ausweiten und darüber diskutieren, was der Klimawandel für Entscheidungsfindungen in der Gesellschaft bedeutet. Die Fähigkeit, Klimakommunikation zu verstehen und zu bewerten, wird aktuell unter dem Begriff „science media literacy“ diskutiert. Das wird in der Umsetzung etwas sein, was nicht allen Physiklehrkräften behagen wird.

Warum?
Ich glaube, viele sehen das nicht als ihr ureigenstes Terrain an. Man fühlt sich nicht mehr auf ganz sicherem Grund. Deshalb ist es wichtig, dass es hierfür Fort- und Weiterbildungen für Lehrerinnen und Lehrer gibt. Zuletzt hat zum Beispiel die Deutsche Physikalische Gesellschaft hierzu ein gutes Angebot gemacht.

Und wie sieht es in Sachsen-Anhalt aus?
Innerhalb des Landes ist es die Aufgabe des Landesinstituts für Schulqualität und Lehrerbildung Sachsen- Anhalt, das Thema aufzugreifen. In meiner Arbeitsgruppe unterstützen wir diesen Prozess natürlich sehr gern.

Wie könnte diese Unterstützung aussehen?
Einer meiner Mitarbeiter hat beispielsweise eine kleine Unterrichtssequenz entworfen mit dem Titel „Klimafakten statt Klimamythen“. Darin geht es um Scheinargumente im Zusammenhang mit dem Klimawandel. Außerdem haben wir kleinere Bausteine für den Physikunterricht entwickelt. Wir bieten mit unserem Schülerlabor auch einen Lernort an, an dem Schulklassen zu dem Thema experimentieren können.

Greifen Sie das Thema auch in der Lehramtsausbildung auf?
Wir haben eine Lehrveranstaltung zum Thema Umweltphysik. Da spielt die Klimaphysik auch jetzt schon eine größere Rolle. Wir werden auch unsere anderen Veranstaltungen daraufhin überprüfen, wo wir Klimabildung weiter aufgreifen können. Unser Ziel ist, dass die nächste Generation von Lehrerinnen und Lehrern gut auf das Thema vorbereitet in die Schule geht.

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Physik

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