Training für den Marathon

04.07.2024 von Katrin Löwe in Im Fokus, Studium und Lehre
Künftige Lehrerinnen und Lehrer brauchen mehr als Fachwissen und Didaktik.Erkenntnisse aus der Sprechwissenschaft helfen ihnen zum Beispiel, mit der Belastung ihrer Stimme umzugehen. Dazu ist an der MLU der umfangreiche, frei zugängliche Onlinekurs "Körper. Stimme. Haltung" entstanden.
Zungentraining kann die deutliche Aussprache im Alltag verbessern - Stephan Brosch zeigt, wie es geht.
Zungentraining kann die deutliche Aussprache im Alltag verbessern - Stephan Brosch zeigt, wie es geht. (Foto: Jessica Grashoff)

80 Dezibel, so laut wie eine stark befahrene Straße. Diese Lautstärke braucht eine Lehrerin oder ein Lehrer, um von einer unruhigen Klasse gehört zu werden. Eine unruhige wohlgemerkt, noch keine eskalierende. Und dennoch: „Bei 80 Dezibel kommen manche Studierende im zehnminütigen Stimmbelastungstest schon ins Schwitzen“, sagt Maxi Grehl, Mitarbeiterin im Arbeitsbereich „Kommunikation und Stimme“ am Zentrum für Lehrer*innenbildung (ZLB). Wer tagtäglich mehrere Stunden lang vor Schülerinnen und Schülern steht, braucht mithin nicht nur fachliches und didaktisches Wissen, sondern lernt bestenfalls auch, die eigene Stimme zu trainieren – oder aber durch nonverbalen Ausdruck zu schonen. Und wird dafür schon im Studium sensibilisiert. „Es kommt ja auch keiner auf die Idee, einen Marathon zu laufen, ohne vorher zu trainieren“, sagt Grehl.

In dem Projekt „Körper. Stimme. Haltung Wirkungsstrategien für Lehrer*innen“ hat das ZLB deshalb Angebote entwickelt, die den Praxistest inzwischen schon bestanden haben. In einem multimedialen Onlinekurs wird grundlegendes Wissen über Körperausdruck und dessen Wirkung, Atmung, Stimme und Aussprache vermittelt. Die Notwendigkeit dafür ist nicht nur eine gefühlte, sie ist wissenschaftlich belegt. „Studien zeigen, dass schon ein Drittel der Lehramtsstudierenden stimmlich deutlich auffällig ist“, sagt Sprechwissenschaftlerin Grehl. Bei 15 Prozent bestehe gar Therapiebedarf, das Risiko einer Stimmerkrankung steige, wenn es im Studium keine Stimmausbildung gibt. Und: Erforscht ist in der Sprechwissenschaft auch, dass Schülerinnen und Schüler schneller ermüden, undisziplinierter sind und eine geringere Merkfähigkeit haben, wenn sie von Lehrkräften mit Stimmstörungen unterrichtet werden.
 

Maxi Grehl zeigt eine Übung zur Körperhaltung (
Maxi Grehl zeigt eine Übung zur Körperhaltung ( (Foto: Jessica Grashoff)
Maxi Grehl (links) zeigt gemeinsam mit Freja Kullmann eine Übung zur Kräftigung der Stimme mit Hilfe von Boxbewegungen.
Maxi Grehl (links) zeigt gemeinsam mit Freja Kullmann eine Übung zur Kräftigung der Stimme mit Hilfe von Boxbewegungen. (Foto: Jessica Grashoff)

Die Idee von „Körper. Stimme. Haltung“ war, etwas Nachhaltiges zu schaffen, bei dem insbesondere Studierende, aber auch Lehrkräfte in der Praxis an den Schulen Inspirationen und Anleitungen erhalten, um ihren Körper- und Sprechausdruck zu trainieren. Grundsätzlich ist in der Lehrkräftebildung an der MLU neben einem freiwilligen Stimmcheck das Modul „Kommunikation und Stimme“ für alle Schulformen verpflichtend. In ihm werden Studierende ebenfalls im Stimmtraining angeleitet und darin, ihr eigenes Kommunikationsverhalten und ihre Feedbackkultur zu reflektieren, sagt Grehl. Das sei längst nicht an allen Universitäten vorgesehen. Der neu entwickelte Onlinekurs soll noch etwas über die obligatorischen 15 Semesterwochenstunden hinaus bieten. Und das auch zu einem Zeitpunkt, zu dem den meisten Studierenden der Wert ihrer Stimme erst richtig bewusst wird: in den Praktikumsphasen oder später im Vorbereitungsdienst.
Entstanden sind für das mit Hochschulpaktmitteln geförderte Projekt 28 bis zu sechs Minuten lange Videos, darunter reine Erklärvideos, Übungsvideos und Filme mit einfach umzusetzenden Tipps, mehrere Quiz und Audiodateien zur Entspannung. Die Themenbreite ist groß: Wie lerne ich, mit Lampenfieber umzugehen, meine Wahrnehmung zu schärfen, gelassener zu bleiben? „Wir zeigen auch, welche Übungen man machen kann, um morgens die Stimme zu wecken. Sich strecken, mal seufzen, mit den Lippen flattern, summen – das ist alles kein Hexenwerk“, sagt Grehl. Es mache die Stimme aber belastbarer. Die Sprechwissenschaftlerin, die das Projekt unter der Leitung von Dr. Katharina Heider konzipiert hat, wirbt auch für die Miniübungen, die sich spielend in den Alltag integrieren lassen. Der Ausdruck der Darstellerinnen und Darsteller ist insgesamt bewusst humorvoll – die Videos sollen nicht nur ästhetisch, professionell und natürlich lehrhaft sein, sondern auch Spaß machen und motivieren.

Mehr als 100.000 Mal sind die Videos bislang auf YouTube aufgerufen worden, zwei Filme zum Lockern der Stimme und zur Körperhaltung erreichten jeweils schon bis zu 9.000 Aufrufe. Die Veröffentlichung des kostenlosen Angebots im März 2020 hätte passender kaum sein können: Während der Pandemie habe nicht nur die MLU darauf zurückgegriffen, sondern unter anderen auch die Universitäten Potsdam, Erfurt und Leipzig, so Grehl. In Halle wurde ein eng mit dem Projekt verzahnter Digitalkurs 2021 mit dem Lehrpreis @ward ausgezeichnet.

Geht es weiter? Maxi Grehl sieht durchaus Stoff für mehr: „Studierende wünschen sich manchmal zusätzliches Training für Konfliktgespräche, zum Beispiel mit Eltern.“ Auch Stressprävention und Körpersprache könnten noch intensiver thematisiert werden. Tatsächlich sind bereits zwei neue Videos in der Bearbeitung.

 

Zur Projektseite: https://koerperstimmehaltung.zlb.uni-halle.de/

Maxi Grehl
Zentrum für Lehrer*innenbildung
Tel.: +49 345 55-21723
E-Mail: maxi.grehl@zlb.uni-halle.de

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