„Ich brauche eine emotionale Verknüpfung“
Herr Stoll, Sie arbeiten in Ihrer Forschung vor allem mit Leistungssportlerinnen und -sportlern zusammen. Was ist der große Unterschied zu „normalen Menschen“?
Oliver Stoll: Leistungssportlerinnen und -sportler muss ich nicht motivieren, am Ball zu bleiben. Sie würden nicht tun, was sie tun, wenn das ein Problem wäre. Außerhalb des Leistungssports gibt es normalerweise keine Leistungsziele. Man kann sich die Motivation aber extern suchen: Die ABC ist ein Beispiel dafür, oder denken Sie nur an die 10.000 Schritte, die man pro Tag zurücklegen soll. Aber alleine reicht so ein externer Anreiz nicht aus, mich dauerhaft zu motivieren. Ich brauche eine emotionale Verknüpfung.
Was meinen Sie damit?
Wenn ich liebe, was ich tue, dann haben wir das, was wir in der Psychologie intrinsische Motivation nennen. Sie tun etwas nicht nur, um eine Belohnung dafür zu bekommen, sondern weil für Sie die Belohnung schon in der Tätigkeit liegt. Ich liebe es zum Beispiel zu laufen. Ich laufe jeden Tag. Für mich ist das keine Belastung, sondern eine Freude. Ohne intrinsische Motivation ist das Dranbleiben schwieriger und da sind Aktionen wie die ABC eine gute Sache, weil sie einen antreiben können.
Die Challenge hat vor einigen Tagen begonnen. Zu Beginn hat man sich vielleicht viel vorgenommen. Wie bei Neujahrsvorsätzen dauert es aber leider meist nur kurz, bis von den guten Vorsätzen nicht mehr so viel übrig ist …
Das ist genau das Problem. Viele Menschen fassen nur sogenannte intentionale Ziele, bei denen sie sagen, was sie erreichen möchten. Das kann zum Beispiel sein, dass ich mit dem Rauchen aufhören möchte oder drei Mal pro Woche ins Fitnessstudie gehen …
… oder mehrere Hundert Kilometer bei der ABC zu fahren.
Oft verharren die Menschen bei diesen Zielen, ohne sich über die Umsetzung Gedanken zu machen. Ihnen gelingt es nicht, ihre Zielintentionen in Ausführungsintentionen zu überführen. Das Ziel alleine hilft mir noch nicht, wenn ich nicht weiß, wie ich es umsetzen kann. Darüber muss man sich Gedanken machen. Das steigert auch die Wahrscheinlichkeit, dass ich meine Ziele erreiche.
Wie geht das am besten?
Nehmen Sie Ihren Kalender, schauen Sie sich Ihre Tagespläne an und suchen Sie nach Zeitfenstern, in denen sie Radfahren könnten. Wenn Sie im Juni 300 Kilometer fahren möchten, müssen Sie überlegen, wie Sie die rund 75 Kilometer pro Woche unterkriegen. Und diese Zeitfenster müssen dann auch wirklich fest sein. Natürlich können Sie auch überlegen, wie Sie das Radfahren in den Alltag integrieren können – etwa auf dem Weg zur Arbeit. Ich wohne in Leipzig und laufe von zu Hause zur Haltestelle, steige am Hauptbahnhof in Halle aus und laufe weiter auf Arbeit. Damit habe ich mein Training schon erledigt und muss nicht weiter darüber nachdenken, mir noch mehr Zeit dafür freizuschaufeln. Gerade wenn man beruflich oder familiär stark eingespannt ist, kann das eine gute Methode sein. Und diese Pläne muss man dann natürlich auch einhalten.
Und wie gelingt das?
Wenn es für mich keine subjektive Relevanz hat, bringt mir das alles gar nichts. Ist es mir wichtig, verpflichte ich mich vor mir selbst. Es kann auch helfen, diese Verpflichtung nach außen zu tragen und es anderen zu sagen. Hält man das Ziel nicht ein, kratzt das an der Ehre.
Eine Challenge wie die ABC ist auch ein Wettkampf: Man fährt ja nicht nur für sich, sondern „gegen“ Kolleginnen und Kollegen oder andere Hochschulen. Ist das auch eine gute Motivation, wenn ich besser als die anderen sein möchte?
Natürlich. Das ist ja das System von nahezu allen Sportspielen. (lacht) Es ist in der Regel das Ziel, besser zu sein als andere Teilnehmerinnen und Teilnehmer oder andere Mannschaften. Wichtig ist hier aber, dass ich mich mit meiner Gruppe identifizieren kann. Wenn ich weiß, dass meine Leistung in die Gesamtleistung einer Mannschaft oder eines Unternehmens eingeht, bin ich Teil eines großen Ganzen und dann bedeutet mir das etwas.
Gibt es noch andere Möglichkeiten, sich zu motivieren?
Sie können ein Event daraus machen und zum Beispiel größere Fahrradtouren am Wochenende planen, um Ihre Umgebung besser kennenzulernen. Am besten in der Gruppe: Es ist viel leichter, wenn Sie Ihre Kolleginnen und Kollegen oder Ihre Freunde zum Mitmachen animieren können.
Mehr Sport ist immer gut. Wie kann ich die ABC für eine dauerhafte Veränderung nutzen?
Langfristige Verhaltensänderungen sind natürlich schwieriger umzusetzen als ein auf wenige Wochen begrenztes Event. Sie sollten sich nach der Challenge einmal vor Augen führen, wie viel Sie erreicht haben. Sie sind weniger Auto gefahren und im besten Fall hat Ihnen das Radfahren Spaß gemacht. Vielleicht haben Sie sogar etwas abgenommen, wenn Ihnen das wichtig ist. Konnten Sie während Ihrer Touren abschalten, die Fahrten sogar genießen? Wenn Sie dann zu dem Schluss kommen, dass die Challenge eine gute Sache war, haben Sie den ersten Schritt schon gemacht und sind intrinsisch motiviert, die Veränderungen dauerhaft in den Alltag zu integrieren. Dann sind vielleicht solche starken Planungsprozesse wie während der Challenge gar nicht mehr nötig.
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