„I don’t deserve it“
Romano Prodi ist an diesem Tag früh aufgestanden. Gemeinsam mit seiner Gattin hat ihn Kustos Dr. Ralf-Torsten Speler auf einen Spaziergang zu den Sehenswürdigkeiten von Universität und Saalestadt gelockt. „Halle ist eine richtige Universitätsstadt - es riecht überall nach Studenten“, berichtet Prodi „Es scheint mir, dass Professoren und Studenten hier sehr gut leben können.“ Auch die kulinarische Seite Sachsen-Anhalts hat den Italiener bereits überzeugt: Am Vorabend ist er beim gemeinsamen Essen mit Dekan Prof. Dr. Christian Tietje der Martinsgans verfallen. Ein erster kleiner Beitrag zur Festigung und Belebung der deutsch-italienischen Beziehungen.
„Soll Europa ein Museum sein oder ein Labor?“ Mit dieser rethorischen Frage eröffnet Prodi seine Rede beim Festakt in der bis auf den letzten Platz gefüllten Aula. Er spricht über den Euro, zieht aber nicht mit den Banken ins Gericht oder mahnt die Griechen ab. Nein, er wählt bewusst die Rückschau auf Entscheidungen und Emotionen, um zu zeigen, dass die Idee hinter der kriselnden Währung eine gute, dass diese aktuelle nicht die erste Krisenprüfung für die Europäische Union ist. „Ich will nicht in einem Museum leben“, ruft Prodi aus. Doch wer nur auf die Vergangenheit schaue, während sich die Welt um ihn herum verändert, werde schnell zum Museumswärter. So nehme die Krise ihren Lauf. „Europa braucht mehr denn je starke Entscheidungen und eine gemeinsame, gemeinschaftliche Politik“, resümiert Prodi energisch. „Deshalb wünsche ich mir, dass der EU aus dieser Krise neue Stärke und neue Ideen erwachsen. Wir kennen die Alternative.“
Dass auch Wirtschaftswissenschaftler und Staatsmänner zuweilen bescheiden auftreten können, zeigt Prodi bei der Übergabe der Ehrenurkunde, die ihm Professor Tietje mit lobenden Worten überreicht. Der Dekan verweist auf ein „nicht nur beeindruckendes sondern überwältigendes Lebenswerk“.
Zutiefst gerührt sei er von der ganzen Zeremonie, dem Aufwand, der für ihn betrieben wird, sagt Prodi und haucht ein „I don’t deserve it“ ins Mikro. Man glaubt es ihm. Interessiert blättert er in dem Buch zur Uni-Historie, das ihm Tietje als Geschenk reicht. Begutachtet die Zehn-Euro-Münze mit Himmelsscheiben-Motiv, die Ministerpräsident Dr. Reiner Haseloff als Andenken an den Besuch in Sachsen-Anhalt mitgebracht hat. Haseloff empfiehlt sie als stabile Wertanlage: „Die hat mittlerweile einen Gegenwert von 300 Euro.“ Prodi kontert schelmisch: „Ich hoffe nur, dass dieses Geschenk die deutsche Außenhandelsbilanz nicht ins Wanken bringt.“
Anschließend – so hat es sich Prodi ausdrücklich gewünscht – sollen Studenten die Gelegenheit haben, den Staatsmann auf die Probe zu stellen. Die Chance, ihren Landsmann mit einer Frage zur Europa- und Währungspolitik herauszufordern, lässt sich auch Martina Agosti, Studentin von Prodis Alma Mater, der Universitá Cattolica in Mailand, nicht nehmen. Sie nimmt am gemeinsamen Masterprogramm der beiden Hochschulen „Europäische Integration“ teil und serviert gleich zu Anfang einen schweren Happen. „Welche Überlebenschancen hat der Euro vor dem Hintergrund der starken wirtschaftlichen Unterschiede der Mitgliedsländer?“ Prodi zeigt sich in der Diskussion souverän, vertritt mit Bestimmtheit seine Ansichten: Er verteidigt den Euro und die wirtschaftliche Stärke der EU als solide Basis für dessen Fortbestehen. Er kritisiert die europäische Entscheidungsmüdigkeit der vergangenen Jahre und die ausgeprägte politische Kurzsicht als bedeutende Hemmnisse der Krisenbewältigung.
Auf die Frage, ob er für sich nach dem Regierungswechsel in Italien neue politische Perspektiven sehe, lässt sich Prodi bei der Pressekonferenz im Anschluss allerdings nur vage Worte entlocken: „Ich bin doch viel zu alt“, zwinkert er und fügt hinzu: „Allerdings ist die Politik meine Leidenschaft, von der ich nicht loskomme. Sie ist geradezu eine unheilbare Krankheit.“
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