Große Namen: Heinz Bethge
Bereits zu Beginn der 1950er Jahre hat Heinz Bethge in Halle das erste Elektronenmikroskop selbst konzipiert. Wenig später wurde es in der institutseigenen Werkstatt gebaut und ging 1952 in Betrieb. Schon damals war Bethge der Meinung, dass dieses bildgebende Verfahren gut in der Festkörperphysik nutzbar wäre. Erste Ergebnisse seiner Arbeiten stellte er bereits 1958 auf einer internationalen Konferenz für Elektronenmikroskopie in Berlin vor. Das sorgte nicht nur in der Fachwelt für Aufsehen, auch die politisch Verantwortlichen wurden aktiv, was zu dem Beschluss führte, in Halle auf dem damals noch am Stadtrand gelegenen Weinberg eine Zentrale Forschungsstelle für Elektonenmikroskopie aufzubauen.
Bethge, damals gerade einmal 40 Jahre alt, trat 1960 mit einem jungen Team an, diese Einrichtung aufzubauen. Die Startbedingungen waren eher schlicht, so mussten die jungen Wissenschaftler anfangs in den Räumen einer ehemaligen Gaststätte forschen. Den einstigen Tanzsaal der Einrichtung teilten sie sich mit einer Mensa für die Studenten. Was damals mehr oder weniger provisorisch begann, mündete 1968 schließlich in die Gründung des Instituts für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie (IFE). Eine Einrichtung, der Bethge unter seiner Leitung schließlich zu internationalem Ansehen verhalf.
Gegen Einflussnahme gewehrt
Im November wäre Heinz Bethge 100 Jahre alt geworden. Er starb 2001, doch bereits zu Lebzeiten war der in Magdeburg geborene Sohn eines Tischlermeisters eine Instanz. In seinem Fach weltweit anerkannt, als Mensch stets nahbar und mit einer Persönlichkeit ausgestattet, mit der er gegenüber den politisch Mächtigen in der DDR Haltung zeigte. So setzte er sich an der MLU, wo er ab 1960 eine Professur für Experimentalphysik innehatte, auch für Studenten ein, die politisch verfolgt wurden.
1974 wurde er zum XXIII. Präsidenten der Nationalen Akademie der Wissenschaften Leopoldina gewählt. Dass diese älteste und international hochkarätig besetzte Gelehrtenvereinigung Deutschlands zu DDR-Zeiten weitgehend frei von politischer Einflussnahme gehalten werden konnte, ist maßgeblich sein Verdienst und das seines Vorgängers Kurt Mothes. Immer wieder hat es von Seiten der Staatsmacht Versuche gegeben, die Unabhängigkeit der Wissenschaft aufzuweichen.
So zum Beispiel durch die Forderung, die zu Beginn der 1980er Jahre von der SED an die Leopoldina herangetragen wurde, nach der man doch bitte mehr Parteigenossen aufnehmen möge. Bethge kam diesem Ansinnen nicht nach, denn nach seiner tiefen inneren Überzeugung sollte einzig die wissenschaftliche Exzellenz über den Zugang entscheiden.
Seine Widerständigkeit war erfolgreich und folgenreich zugleich. Wie sehr, das belegen noch heute Schilderungen älterer Mitarbeiter der Leopoldina: Die Partei rächte sich für die Eigenständigkeit der Wissenschaftler und sorgte dafür, dass die Leopoldina künftig einen für Veranstaltungen dringend benötigten Vortragssaal an der MLU nicht mehr nutzen durfte. Ein Zustand, den Bethge so nicht akzeptieren konnte und wollte.
Er nutzte seine guten Kontakte und seine internationale Vernetzung und wandte sich hilfesuchend an Berthold Beitz, den damaligen Generalbevollmächtigten der Krupp-Stiftung in der Bundesrepublik. Dieser, und das war ein höchst ungewöhnlicher Vorgang in jener Zeit, stellte enorme finanzielle Mittel zum Bau für einen eigenen Vortragssaal der Leopoldina zur Verfügung. Das gespendete Westgeld wurde mit Hilfe der unter Leitung von Alexander Schalck-Golodkowski stehenden Spezialabteilung für Kommerzielle Koordinierung des Außenhandelsministeriums der DDR (KoKo) in Ostgeld transferiert.
Und so entstand mit Hilfe des „Klassenfeinds“ im Gebäude Emil-Abderhalden-Straße 36 ein neuer Vortragsbereich. Bethge selbst, so heißt es, habe damals von seinen Westreisen die Fliesen für den Neubau mitgebracht und später, anlässlich der Einweihung im Jahr 1989 sogar noch persönlich an der Zapfanlage für das Festbier gestanden.
Namhafte Gäste
Unter seiner Führung war die Leopoldina immer auch ein „Loch in der Mauer“, überlebenswichtig für den wissenschaftlichen Austausch der Forscher in den Ostblock-Staaten. Denn zu den in Halle stattfindenden Jahrestagungen kamen regelmäßig die Großen der Branche in die abgeschottete DDR. Namhafte Wissenschaftler aus aller Welt, darunter der deutschstämmige US-Amerikaner und Nobelpreisträger Max Delbrück oder auch der Physiker Carl Friedrich von Weizsäcker, Bruder des Politikers und Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker, zählten zu den Gästen.
Bethge hat das Zusammenwachsen der Wissenschaft nach der politischen Wende in der DDR noch erlebt. Aus dem von ihm bis 1985 geleiteten Institut für Festkörperphysik und Elektronenmikroskopie gingen 1992 gleich zwei hochkarätige Forschungsinstitute hervor: Das Max-Planck-Institut (MPI) für Mikrostrukturphysik, das das erste MPI in den neuen Bundesländern war. Und außerdem das heutige Fraunhofer-Institut für Mikrostruktur von Werkstoffen und Systemen IMWS. Im gleichen Jahr bekam Heinz Bethge das Große Bundesverdienstkreuz mit Stern. Er war einer der ersten ehemaligen DDR-Bürger, dem diese Ehre zuteilwurde.
Große Namen
Die Geschichte der Universität ist mit vielen bekannten Namen oder großen Ideen verbunden. Nicht immer hat jeder sofort die Fakten parat, die sich dahinter verbergen. Das soll sich an dieser Stelle ändern: Die Rubrik "Große Namen" erinnert an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Halle.