Große Namen: Ferdinand Wohltmann
Dem Züchter Otto Cimbal aus Frömsdorf in Schlesien gelang 1895 ein Meilenstein seiner Arbeit: Er entwickelte eine neuartige, stärkereiche Kartoffelsorte, die sich noch dazu resistent gegen ungünstige Licht- und Bodenverhältnisse zeigte. Cimbal nannte den hochwertigen neuen Erdapfel „Professor Wohltmann“ und nahm damit Bezug auf den in Halle lehrenden Wissenschaftler Ferdinand Wohltmann, mit dem er gut bekannt war und der seine praktischen Zuchterfolge wis-senschaftlich dokumentierte.
„Wohltmann war einer der bedeutendsten Pflanzenwissenschaftler seiner Zeit“, sagt Dr. Renate Schafberg, Wissenschaftlerin am Institut für Agrar- und Ernährungswissenschaften und Kustodin des Haustierkundemuseums „Julius Kühn“ der MLU. Noch dazu war er einer, der das Fach schon in sehr jungen Jahren kennenlernte. Geboren 1857 in Hitzacker an der Elbe als Sohn eines Landwirts, absolvierte er zunächst eine Lehre in der Landwirtschaft und arbeitete als Gutsverwalter.
Im Anschluss studierte Wohltmann ab 1881 in Halle, Berlin, Heidelberg und schließlich wieder in Halle, wo er 1886 mit einer Arbeit über Versuchsmethoden zur Bodenprüfung promoviert wurde. Danach war er Assistent für das Versuchswesen bei Prof. Dr. Julius Kühn, dem Begründer des ersten landwirtschaftlichen Instituts an einer deutschen Universität, das enorme Berühmtheit erlangt hatte.
In den folgenden Jahren unternahm Wohltmann viele Reisen, darunter immer wieder in damalige deutsche Kolonien nach Westafrika. Die Zeit, die er dort verbrachte, prägte zunehmend seine wissenschaftliche Arbeit. 1891 habilitierte er sich in Halle mit einer Arbeit über koloniale Landwirtschaft unter dem Titel „Über die Verbesserung und künstliche Veranlagung der natürlichen Produktionsfaktoren in der tropischen Agrarkultur“.
Forschung in den Tropen
1894 folgte Wohltmann zunächst einem Ruf als ordentlicher Professor an die seinerzeit berühmte Landwirtschaftliche Akademie in Bonn-Poppelsdorf. Auch von dort aus unternahm er zahlreiche Forschungsreisen, zum Beispiel nach Kamerun, Deutsch-Ostafrika, Togo und Samoa, über die er mehrere Bücher schrieb.
Seitdem galt Wohltmann in Fachkreisen als Experte für tropischen Landbau. Nicht zuletzt deshalb wurde er 1897 in den Vorstand der Deutschen Kolonialgesellschaft berufen und gab die Zeitschrift „Der Tropenpflanzer“ mit heraus. Was seine Forschungen zur kolonialen Landwirtschaft angeht, so muss man sie „vor dem Hintergrund der damaligen Zeit sehen und einordnen“, sagt die Biologin Renate Schafberg. Der Grundtenor sei ambivalent. Wohltmann habe zwar eine wissenschaftlich-neutrale Perspektive auf die Kolonien und ihre Menschen eingenommen, jedoch waren seine Forschungen mit dem Ziel gefördert worden, die Kolonien wirtschaftlich voranzubringen. Der Profit dürfte der einheimischen Bevölkerung gewiss nicht ausreichend zu Gute gekommen sein. „Deshalb muss dieses Kapitel unbedingt aufgearbeitet werden.“
Neben der kolonialen Landwirtschaft war Wohltmann auch im Bereich Pflanzenzüchtung tätig. Unter seiner Ägide entstanden mehrere neue Weizensorten. Nachdem er 1905 einen Ruf an die Uni Halle angenommen hatte, führte er hier auch den 1878 angelegten Dauerfeldversuch „Ewiger Roggen“ weiter, der bis heute existiert. In der Saalestadt befasste er sich weiter mit dem tropischen Landbau, so wurde hier 1908 unter seiner Leitung die Kolonial-Akademie zu Halle gegründet, die die Kolonialbehörden im Kaiserreich im Bereich von Forschung und Lehre unterstützen sollte.
Zunächst war Wohltmann stellvertretender Direktor, ab 1909 Direktor des Landwirtschaftlichen Instituts – „und er war ein würdiger Nachfolger für den großen Julius Kühn“, sagt Renate Schafberg. Inzwischen mag sein Name nur noch Spezialisten vertraut sein, an der MLU ist er dennoch präsent, und zwar in Form eines Bauwerks auf dem Kühn-Versuchsfeld: Dort steht noch heute der so genannte Wohltmann-Schuppen, in dem Bodenproben archiviert werden und das Saatgut des Langzeitversuchs „Ewiger Roggen“ lagert. Der Begriff „Schuppen“ ist in diesem Zusammenhang missverständlich, denn dahinter verbirgt sich ein zentral gelegenes Gebäude, das ein wenig in die Jahre gekommen ist, aber optisch eher an ein Gutshaus erinnert. Ferdinand Wohltmann ließ es 1910 für die Pflanzenzüchtung bauen. Es war gekennzeichnet durch zwei seitliche Türme, die inzwischen nicht mehr stehen.
Auf Schienen in den Hörsaal
„Wohltmann war ein Organisationstalent“, sagt Renate Schafberg. Das zeige sich auch am ehemaligen Gebäude der Tierzucht, das 1913/14 unter seiner Leitung fertiggestellt wurde und das heute frisch saniert zum Ensemble des Steintor Campus gehört. „Es ist sensationell durchgeplant“, sagt Schafberg, die als Expertin für Tierknochen ab 2003 selbst dort tätig war. Die zwei unter dem Dach gelegenen Etagen seien zu Wohltmanns Zeiten dem Sammlungsgut vorbehalten gewesen. Per Fahrstuhl und auf einem eigens eingebauten Schienensystem konnten die dort gelagerten Objekte, zum Beispiel große montierte Skelette, direkt zur Vorlesung in den im Hochparterre gelegenen Hörsaal transportiert werden.
Als Stärke von Wohltmann gilt auch, dass er sich stets um das große Ganze gekümmert hat. Die Belange seiner Kollegen aus der Tierzucht waren ihm dabei genauso wichtig, so vertrat er das Fach bis zur Berufung eines zweiten Ordinarius. Seine Grundsätze werden auch im Zitat einer Rede deutlich, die er anlässlich des 50. Jahrestages der Institutsgründung hielt: „Fertig kann ja ein Universitäts-Institut nie sein, denn seine Aufgaben schreiten mit der Zeit beständig fort und sind unbegrenzt wie die Wissenschaft.“
Ferdinand Wohltmann starb im April 1919, wie er selbst zuvor schrieb „an einer ganz grauenhaften Ansteckung“.
Große Namen
Die Geschichte der Universität ist mit vielen bekannten Namen oder großen Ideen verbunden. Nicht immer hat jeder sofort die Fakten parat, die sich dahinter verbergen. Das soll sich an dieser Stelle ändern: Die Rubrik "Große Namen" erinnert an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Halle.