Große Namen: Christian Wolff

14.02.2019 von Ines Godazgar in Varia, Große Namen
Christian Wolff war seiner Zeit weit voraus. Er war einer der progressivsten, aber auch streitbarsten Professoren, die je an Halles Universität gelehrt haben. Er befasste sich mit Mathematik und Physik, mit Philosophie und - wie erst kürzlich bekannt wurde - sogar mit Sexualaufklärung. Sehr zum Ärger der Pietisten, mit denen sich Wolff regelrechte Kämpfe lieferte. Und die dafür sorgten, dass der aufrechte Denker schließlich aus Halle vertrieben wurde.
Die Darstellung von Christian Wolffs Empfang in Halle im Jahr 1740 stammt aus einem Stammbuch.
Die Darstellung von Christian Wolffs Empfang in Halle im Jahr 1740 stammt aus einem Stammbuch. (Foto: ULB)

Es war um Weihnachten des Jahres 1706 als Christian Wolff nach Halle kam, um dort eine Professur an der Universität anzutreten. Er reiste aus Richtung Leipzig an, und so musste er wohl zunächst am Galgtor angekommen sein, der heutigen Leipziger Straße. Der Gedanke liegt nahe, dass sein erster Eindruck ihn wohl wenig für die Saalestadt eingenommen haben wird: Schließlich stand am Galgtor die hiesige Richtstätte. Außerdem säumten in Ermangelung von Kanalisation oder Müllabfuhr reichlich Misthaufen und Unrat die Gegend. Und als wäre diese optische Zumutung nicht schon genug der unerfreulichen Begrüßung, so wurde sie auch noch von einer Dunstglocke aus Gestank und Rauchgasen abgerundet.

Diese Schilderung ist nur eine von vielen detailreich beschriebenen Szenen aus einer Biografie, die der emeritierte Germanist Prof. Dr. Hans-Joachim Kertscher kürzlich vorgelegt hat. Ein Buch, das längst überfällig war, denn die letzte größere geschlossene Lebensbeschreibung des großen Universalgelehrten Christian Wolff erschien 1841. Als Titel für die nun neu im Mitteldeutschen Verlag erschienene Publikation fungiert ein eindrückliches Zitat des Erlanger Pädagogen Karl Bayer: „Er brachte Licht und Ordnung in die Welt“ schrieb dieser 1838 über Wolff.  Eine Aussage, die symptomatisch für Relevanz und Strahlkraft des am 24. Januar 1679 in Breslau geboren Aufklärers steht, ohne den - so heißt es in der Fachwelt - andere aufklärerisch wirkende Philosophen wie der alles überragende Immanuel Kant wohl kaum möglich gewesen wären.

Wolffs wortgewaltiger Scharfsinn sorgte bald dafür, dass er in Halle immer wieder aneckte. Das Geschehen spitzte sich über die Jahre zu und mündete in einen Konflikt, der seinerzeit weit über die Grenzen der Saalestadt hinaus wirkte. 1723 eskalierte dieser endgültig und führte zu einem Willkürakt des preußischen Königs Friedrich Wilhelm I., der europaweit für Aufsehen sorgte: Wolff wurde unter Androhung der Todesstrafe gezwungen, Preußen (und damit das zu Preußen gehörende Halle) innerhalb von 48 Stunden zu verlassen. Er floh schließlich ins hessische Marburg.

Im Historischen Sessionssaal ist Christian Wolff auf einem Gemälde zu sehen.
Im Historischen Sessionssaal ist Christian Wolff auf einem Gemälde zu sehen. (Foto: Markus Scholz)

Damit endete, zumindest vorerst, eine Ära, die Halles Universität enormen Zulauf beschert hatte. Erst des Königs Amtsnachfolger, Friedrich II. von Preußen, auch Alter Fritz genannt, rief den Gelehrten 1740 zurück nach Halle. Dessen zweite Ankunft in der Saalestadt war indes ein öffentliches Ereignis. Wolff reiste am Nikolaustag in Begleitung seiner Familie an – unter zahlreichen Gunstbezeugungen von Studenten, die ihn zu Pferd oder mit Wagen flankierten. Seine Rückkehr war den „Wöchentlichen Hallischen Anzeigen“ eine Notiz wert und auch eine Gedenkmünze wurde eigens für dieses Ereignis geprägt.

Drei Jahre später wurde Wolff in Halle zum Kanzler ernannt. Und auch sonst wirkte er wieder überaus segensreich. Der Universität blieb er diesmal bis zu seinem Tod am 9. April 1754 erhalten. Ursprünglich war er Professor für Mathematik, wandte sich aber auch der Physik zu. Er verfasste Schriften zu Logik und zum Naturrecht, zu Metaphysik und Ethik. Oft tat er dies in deutscher Sprache, ein Novum für die damalige Zeit. Er beeinflusste viele andere Gelehrte, und nicht nur er selbst, auch viele seiner Schüler wirkten segensreich für das Zeitalter der Aufklärung.

So weit, so bekannt. Denn, obwohl Wolffs Werk bisher nur in Teilen erschlossen worden ist, so ist es gerade in Halle immer wieder auch Gegenstand wissenschaftlicher Betrachtungen gewesen. In der Tat treten selbst heute, rund 300 Jahre nach Wolffs Wirken, noch neue Aspekte seines Schaffens zutage. Erst kürzlich entdeckte der Berliner Wissenschaftshistoriker Dr. Stefan Borchers, dass Wolff auch noch in einem anderen Aspekt aufklärerisch gewirkt hat, genauer: in der Sexualaufklärung.

Die lustvolle Ausübung des Geschlechtsverkehrs war für Wolff offenbar keine Einbahnstraße. Der Universalgelehrte vermittelte seinen Studenten in der Vorlesung, dass der Geschlechtsakt „beßer von statten gehet, wenn beyde Mann und Weib Lust haben“.

Zu lesen ist diese für jene Zeit gleichermaßen offenherzig wie fortschrittliche Erkenntnis in einer Vorlesungsnachschrift aus dem akademischen Jahr 1717/18. Ein Heft, das lange Zeit ein weitgehend unbeachtetes Dasein in der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) fristete. Borchers, der über Zeugungslehren des 18. Jahrhunderts promoviert hat, war darauf gestoßen, als er 2010 im Rahmen einer Gastprofessur an der MLU lehrte.

„Dass sich Wolff auch als Sexualaufklärer betätigt hat, war bislang unbekannt“, sagt er. „Und erst recht, wie freimütig Wolff sich im mündlichen Vortrag über Fragen der menschlichen Sexualität geäußert hat.“ Nicht zuletzt belegt Borchers Fund aber auch, dass die Beschäftigung mit der Philosophie der Aufklärung auch heute noch alles andere als langweilig ist.

Große Namen

Die Geschichte der Universität ist mit vielen bekannten Namen oder großen Ideen verbunden. Nicht immer hat jeder sofort die Fakten parat, die sich dahinter verbergen. Das soll sich an dieser Stelle ändern: Die Rubrik "Große Namen" erinnert an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Halle.

Zum Buch: Hans-Joachim Kertscher: "Er brachte Licht und Ordnung in die Welt", Christian Wolff – eine Biographie, Halle 2018, 312 Seiten, 25,00 Euro, ISBN 978-3-96311-096-2

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