Große Namen: Betty Heimann
Es waren schwierige Zeiten, in denen die junge Betty Heimann Wissenschaftlerin werden wollte. Zwar hatten Frauen, vor allem so genannte „höhere Töchter“, grundsätzlich Zugang zu Bildung, trotzdem besaßen sie an Hochschulen noch immer Seltenheitswert. Zudem sah sich Deutschland überall mit den wirtschaftlichen Folgen des ersten Weltkriegs konfrontiert.
Betty Heimann war begabt und stammte aus gutem Hause. 1888 in Wandsbek bei Hamburg geboren, wuchs sie als viertes Kind eines jüdischen Bankiers auf. 1921, auf dem Höhepunkt der Inflation, hatte die klassische Philologin an der Universität Kiel mit einer Arbeit über Sanskrit promoviert. Durch die rasante Geldentwertung mittellos geworden, kam sie 1923 an die Universität Halle, wo sie sich anfangs noch nicht einmal eine eigene Wohnung leisten konnte. Immerhin erhielt sie 1926 einen Lehrauftrag für indische Philosophie.
Als man ihr irgendwann sogar eine feste Bleibe im Mühlweg 3 zuwies, waren die von ihr mitgebrachten Möbel ihr einziger Besitz. Zwar erhielt sie von der Uni nach Abzug der Steuern ein monatliches Gehalt von 305,80 Reichsmark. Doch das reichte kaum, um sich über Wasser zu halten. Deshalb bat sie am 19. November 1927 per Brief den für Verwaltung zuständigen Kurator Hermann Sommer um Hilfe: „Diese Möbel - das Erbe meiner Mutter - stellen heute mein einziges Vermögen dar. Sie waren, weil ich sie, solange ich wohnungslos war, viele Jahre lang auf Speichern usw. nur sehr schlecht unterstellen konnte, allmählich so beschädigt worden, dass ich schon zu ihrer Erhaltung leider gezwungen war, weitere sehr hohe Summen zu ihrer Reparatur aufzuwenden. Nachdem mir …endlich vom Wohnungsamt eine Drei-Zimmer-Wohnung zugesprochen wurde, habe ich, …, zu ihrer notdürftigen baulichen Wiederherstellung etwa 500 Reichsmark aufwenden müssen, und bin nun endlich nach jahrelangem Kampf in den Besitz eines Heims gekommen, das mir zu ruhiger wissenschaftlicher Arbeit die Möglichkeit gibt. Diesem großen Erfolge, steht aber die Tatsache gegenüber, dass ich durch die vorstehend aufgeführten Aufwendungen in Schulden gekommen bin…Ich erlaube mir die Anfrage, ob es möglich wäre, mir erneut eine einmalige Unterstützung aus diesem Anlass zu gewähren?“
Das ausladend formulierte Gesuch blieb nicht ungehört. Vier Wochen später, am 22. Dezember 1922, wies das Ministerium für Wissenschaft, Kunst und Volksbildung eine Zahlung über 500 Reichsmark als „einmaliges Stipendium“ für Betty Heimann an.
Geldsorgen und andere Schwierigkeiten schienen sie indes nicht abzuschrecken. Auch nicht die Tatsache, dass sie in einer von Männern dominierten Universität als Frau mit vielen zusätzlichen Hürden zu kämpfen hatte. Obwohl ihre Vorlesungen sehr beliebt waren und großen Zulauf hatten, erhielt sie - wie alle Frauen per Gesetz - nur 70 Prozent des Lohns ihrer männlichen Kollegen.
Ein Blick auf Heimanns Schriftverkehr, der heute im Universitätsarchiv lagert, verdeutlicht, dass sie sich den Respekt für ihre Forschungsarbeit hart erarbeiten musste. Als Expertin für Sanskrit war sie auf Landeskenntnisse angewiesen, weshalb sie ab 1928 mehrere Anträge bei diversen Gremien zur Unterstützung einer Indien-Reise stellte. Diese blieben jedoch - trotz fachlicher Eignung - ohne Erfolg.
Das änderte sich erst, als Heimann 1931 für ein von ihr geschriebenes Buch mit dem Titel „Studien zur Eigenart indischen Denkens“ mit einem internationalen Preis geehrt wurde. Dieser war in England eigens für die wissenschaftliche Arbeit von Frauen gestiftet worden. Damit verbunden war ein Stipendium, mit dessen Hilfe Heimann ab Oktober 1931 für neun Monate nach Indien reisen konnte.
Im gleichen Jahr wurde sie in Halle zur nichtbeamteten außerordentlichen Professorin ernannt. Kurze Zeit später sah sie sich als Jüdin jedoch zunehmend antisemitischen Ressentiments ausgesetzt. Als diese zunahmen, suchte sie nach Auswegen. Zu Hilfe kam ihr die Möglichkeit einer Vortragsreise nach England, für die sie zuvor eine Ausreisegenehmigung erwirkt hatte.
Anfang September 1933 brach sie auf. In England erreichte sie die Nachricht über den Entzug der Lehrbefugnis und die Einstellung ihrer Bezüge. Heimann kehrte nicht zurück und lehrte fortan unter anderem als Dozentin für Indische Philosophie an der University of London.
Mit ihrer einstigen Wirkungsstätte in Halle trat sie nach dem zweiten Weltkrieg lediglich in brieflichen Kontakt, und zwar um anzufragen, ob ihr für ihre Tätigkeit ein Ruhegeld zustünde. Die Anfrage wurde im November 1947 fein säuberlich registriert und abgeheftet sowie wenig später mit bürokratischer Gründlichkeit abgelehnt, weil man dafür „nach den zur Zeit geltenden Bestimmungen“ keine Möglichkeit sah. 1957 wurde Betty Heimann – rückwirkend ab 1935 – von der MLU zur ordentlichen Professorin ernannt.
Heute erinnert auf dem Weinberg Campus im Bereich Heide-Süd wieder eine Straße an die begabte Wissenschaftlerin aus dem kleinen Fach. Und eine 1933, also kurz vor Heimanns Abreise, von der Bildhauerin Grete Budde geschaffene Büste. Sie gehört inzwischen zur Kunstsammlung der Universität.
Große Namen
Die Geschichte der Universität ist mit vielen bekannten Namen oder großen Ideen verbunden. Nicht immer hat jeder sofort die Fakten parat, die sich dahinter verbergen. Das soll sich an dieser Stelle ändern: Die Rubrik "Große Namen" erinnert an herausragende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Halle.