„Flexibilität ist unser Vorteil“

26.04.2018 von Ines Godazgar in Im Fokus, Wissenschaft
Hightech-Standort Weinberg Campus: Auf dem Areal, das auch Herzstück des naturwissenschaftlichen Campus der Universität ist, wurde in den vergangenen 25 Jahren rund eine Milliarde Euro investiert. Die Dichte an Forschungseinrichtungen, die sich auf dem rund 134 Hektar großen Gelände angesiedelt haben, ist hoch. Dazu kommen erfolgreiche Unternehmen, die oft aus Start-ups hervorgegangen sind. Wichtige Motoren des Prozesses sind die Technologie- und Gründerzentren. Das erste öffnete 1993, der Technologiepark war geboren. Prof. Dr. Reinhard Neubert gehört zu den Wegbereitern dieser Entwicklung – als Wissenschaftler, Prorektor und nicht zuletzt als Gründer. Im Interview spricht er darüber.
Von Anfang an dabei: Ohne Reinhard Neubert wäre der Weinberg Campus wohl nicht zu dem geworden, was er heute ist.
Von Anfang an dabei: Ohne Reinhard Neubert wäre der Weinberg Campus wohl nicht zu dem geworden, was er heute ist. (Foto: Michael Deutsch)

Haben Sie sich in den 1990er Jahren träumen lassen, dass auf dem Weinberg Campus einmal so etwas Großes entsteht?
Neubert: Nein, aber bevor man ein solches Projekt angeht, braucht man eine Vision. Außerdem darf man von Anfang an nichts dem Zufall überlassen. Insofern war es nur folgerichtig, dass das Rektorat, dem ich auch angehörte, seinerzeit an der MLU Strukturentscheidungen getroffen hat, die das heutige Gefüge begünstigt haben. Eine davon war, die naturwissenschaftlichen Fächer, die bis dato noch auf das Stadtgebiet verteilt waren, auf dem Weinberg Campus zu konzentrieren. So konnten sich effektive Netzwerke bilden, die heute die Zusammenarbeit, sowohl unter einzelnen Uni-Instituten als auch zwischen universitären und außeruniversitären Forschungseinrichtungen, enorm erleichtern. Bei der Entwicklung des Standorts hatten wir seitens der Universität stets eine Profilstärkung im Blick. Soll heißen: Wir haben uns auf unsere Forschungsschwerpunkte konzentriert. Das sind bis heute die Biowissenschaften, allen voran die Proteinforschung, und die Materialwissenschaften.

Wie ging es damals vor 25 Jahren los?
Der Standort war auch vor 25 Jahren kein unbeschriebenes Blatt. Dort gab es bereits einige Uni-Einrichtungen, zum Beispiel den Bereich Pharmazie, in dem ich selbst tätig war, und mit dem späteren Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie und dem Max-Planck-Institut für Mikrostrukturphysik auch zwei ehemalige Institute der Akademie der Wissenschaften der DDR. Diese Grundlage konnten wir nutzen. Positiv wirkte sich außerdem aus, dass das Rektorat der MLU von Anfang an erkannt hatte, welche Chancen für die Uni in einer solchen Ansiedlung liegen. Dass mit Prof. Dr.-Ing. Wolfgang Lukas ein echter Macher mit guten Verbindungen die Koordination für das erste Technologie- und Gründerzentrum (TGZ) übernommen hatte, war ebenfalls sehr förderlich. Hinzu kam, dass von Anfang an Fördermittel bereitstanden. Mit dieser Unterstützung entstand binnen weniger Monate ein erstes TGZ-Gebäude, das damals gerade mal 3.500 Quadratmeter Fläche bot.

Das markiert den Beginn einer gewaltigen Aufbauleistung.
Ja. Vor allem, weil der Standort auf dem Weinberg Campus irgendwann um die ehemalige Kaserne in Heide-Süd erweitert worden ist, in deren Gebäude sukzessive naturwissenschaftliche Uni-Institute einzogen. 1998 eröffnete außerdem das Biozentrum. Inzwischen gibt es auf dem gesamten Gelände acht TGZ, in denen sich viele kleine und mittelständische Unternehmen angesiedelt haben. Einige sind junge Gründer, die zuvor schon bei uns an der MLU studiert haben und die das exzellente Gründernetzwerk zum Aufbau ihres eigenen Start-ups in Anspruch genommen haben. Andere sind aus anderen Bundesländern dazu gekommen. Ihnen stehen inzwischen 27.000 Quadrat­meter Fläche zur Verfügung. Sie alle eint, dass sie innovative Ideen umsetzen wollen und hier optimale Bedingungen zur Verwirklichung vorfinden. Das belegen auch unsere Zahlen: Seit dem Start haben wir mehr als 200 Firmen bei ihrer Gründung begleitet. Derzeit sind auf dem Weinberg Campus rund 100 Firmen tätig, vom kleinen Start-up bis zum global agierenden Chemiekonzern. Insgesamt sind 5.500 Menschen hier beschäftigt.

Inzwischen hat es in der Chef-Etage der TGZ GmbH einen Generationenwechsel gegeben. Gibt es neue Perspektiven?
2014 hat Wolfgang Lukas, der langjährige Geschäftsführer, die Geschäfte an Dr. Ulf-Marten Schmieder übergeben. Schmieder ist ein Eigengewächs der MLU und kein Unbekannter. Wir haben lange gemeinsam im Bereich Gründung und Wissenstransfer gearbeitet. Schmieder war auch seit 2004 auf dem Campus als Chef des Univations-Instituts, einem An-Institut der Universität, tätig und hat sich mit dafür engagiert, dass die MLU 2011 von der Bundesregierung zu einer von zehn Gründerhochschulen ernannt worden ist. So konnte er systematisch in seine jetzige Aufgabe hineinwachsen. Er kennt die Akteure vor Ort ebenso wie die in der Landeshauptstadt. Das sind optimale Voraussetzungen.

Auch die Nähe von Universität und außeruniversitären Forschungseinrichtungen ist immer wieder positiv…
Sie ist ein Segen! Viele Einrichtungen arbeiten an ähnlich gelagerten Projekten. Da ergeben sich viele Möglichkeiten für Kooperationen. Ein Beispiel: Das Zentrum für integrative Biodiversitätsforschung iDiv, das als großes Forschungszentrum von den drei mitteldeutschen Universitäten Halle, Jena und Leipzig und dem Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) getragen wird, ist auf dem Campus durch einzelne Projekte vertreten. Sie werden zum Teil gemeinsam von Arbeitsgruppen der MLU, dem UFZ und dem Leibniz-Institut für Pflanzenbiochemie (IPB) bearbeitet. Da gibt es viele Synergieeffekte.
Aber auch innerhalb der MLU konnte die Zusammenarbeit verschiedener Arbeitsgruppen gebündelt werden. Aktuelles Beispiel ist das neu gebaute Proteinzentrum, das nun quasi als Kernstück der Proteinforschung auf dem Campus sichtbar wird. 45 Millionen Euro haben Land und Bund in den innovativen Bau gesteckt. Gerade ziehen dort die Biochemiker der MLU sowie eine Arbeitsgruppe aus dem Bereich Pharmazie und drei aus der Medizin ein. Die damit verbundenen kurzen Wege erleichtern auch ihnen den fachlichen Austausch, denn sie arbeiten an ähnlichen Fragestellungen.

Was zeichnet den Standort gegenüber anderen aus?
Unser Vorteil ist unsere Flexibilität. Und wir bieten Service. Durch unser gut funktionierendes Netzwerk sind wir zum Beispiel in der Lage, junge Gründer von der ersten Idee bis zur eigenen Firma zu begleiten. Außerdem verfügen wir über große Flächen. Somit war und ist auf dem Weinberg Campus immer die Option zur Erweiterung gegeben. Das ist ein entscheidender Vorteil für weiteres Wachstum und unterscheidet uns zum Beispiel von ähnlichen Standorten, wo oft kaum noch Platz für weitere Ansiedlungen vorhanden ist.

Sie wissen, wovon Sie reden. Gründer sind Sie mit der Skinomics GmbH auch selbst gewesen. Ein Modell, das Sie anderen Wissenschaftlern empfehlen?
Ja natürlich. Wenn Hochschullehrer selbst gründen, bereichert das den Standort und schafft hochwertige Arbeitsplätze für unsere Absolventen. Wenn man, wie ich, lange genug in der Grundlagenforschung tätig ist, weiß man irgendwann, wohin die Trends gehen und welche Ideen sich eventuell zur Vermarktung eignen. Doch das allein bringt noch keinen Erfolg. Der Transfer von der Forschung bis zur Anwendung ist ein langer Prozess, bei dem man Unterstützung gut gebrauchen kann. Ich selbst habe bei der Gründung meiner eigenen Firma 2008 die Hilfe von Univations in Anspruch genommen. Meine eigenen Erfahrungen gebe ich heute gern an junge Gründer weiter.

2004 wurde der Weinberg Campus-Verein gegründet. Was macht der eigentlich?
Das Ganze ist als eine Art Überbau gedacht. Eine Marke, unter der man auftritt und gemeinsame Ziele verfolgt. Wir haben 2004 mit nur acht Mitgliedern begonnen, inzwischen sind es rund 100. Vieles ist schon erreicht worden: So ist es uns gelungen, den angrenzenden Stadtteil Heide-Süd in den Campus einzubinden. Dort sind Gästehäuser entstanden, die auswärtige Wissenschaftler und Besucher nutzen können. Vor allem die weitere Entwicklung der Infrastruktur liegt uns am Herzen. Wir setzen uns seit Langem für den Ausbau des Gimritzer Damms, der Zufahrtsstraße zum Campus, ein. Es freut uns, dass die Stadt inzwischen den Bau eines Kreisverkehrs in ihre Planung aufgenommen hat. Darüber hinaus wollen wir uns für die Verbesserung von Familienfreundlichkeit und Lebensqualität auf dem Campus einsetzen.

Was wünschen Sie sich für die Zukunft?
Viele der hiesigen Unternehmen betreiben Grundlagenforschung. Sie ist enorm wichtig, mündet allerdings nicht unmittelbar in eine praktische Anwendung und sie ist sehr kostenintensiv. Die dafür erforderlichen Mittel können weder die Universität noch die beteiligten Firmen allein aufbringen. Dafür wünschen wir uns noch mehr Unterstützung der Landesregierung. Nicht nur finanziell, sondern auch strategisch.

Zur Person:

Prof. Dr. Reinhard Neubert wurde am 21. Juli 1949 in Bärenstein geboren. Er studierte Pharmazie an der Martin-Luther-Universität in Halle. 1992 wurde er dort auf eine Professur für Arzneiformenlehre und Biopharmazie berufen, die er bis 2015 innehatte. Von 1996 bis 2017 war er Vorsitzender (seit 2017 stellvertretender Vorsitzender) des An-Instituts für Angewandte Dermatopharmazie (IADP). Zwischen 2000 und 2006 war er zudem Prorektor für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs. Seit Gründung des Technologieparks engagiert sich Neubert für dessen Entwicklung. Er war Mitglied im Aufsichtsrat des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung Leipzig-Halle, Mitglied im Institutsrat des Leibniz-Instituts für Pflanzenbiochemie und ist Inhaber von 29 Patenten.

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