Große Namen: Ernst von Stern

29.10.2024 von Ines Godazgar in Varia, Große Namen
Er hat einen der größten Fälschungsskandale der Archäologie mit aufgedeckt, gilt als Pionier der Schwarzmeerforschung und war zweimal Rektor der halleschen Universität: Ernst von Stern. Zum 100. Todestag wird das Wirken des Altertumswissenschaftlers auf einer internationalen Fachtagung an der MLU beleuchtet.
Ausschnitt aus einem Gemälde von Ernst von Stern, das sich im Besitz der Universität befindet
Ausschnitt aus einem Gemälde von Ernst von Stern, das sich im Besitz der Universität befindet (Foto: Zentrale Kustodie / Markus Scholz)

Es war ein Fälschungsskandal, der Ende des 19. Jahrhunderts europaweit Wellen schlug: 1896 kaufte der Pariser Louvre die „Tiara des Saitaphernes“, eine helmförmige Krone aus Gold, die angeblich in Olbia am Schwarzen Meer gefunden worden war. An der Echtheit kamen damals schnell Zweifel auf. Jahre später musste der Louvre sich und der Öffentlichkeit schließlich eingestehen, dass das Schmuckstück eine Fälschung ist, geschaffen von einem Goldschmied in Odessa. Neben dem deutschen Archäologen Adolf Furtwängler war ein weiterer Wissenschaftler ganz maßgeblich an der Aufklärung des Skandals beteiligt: Ernst von Stern.

Als Forscher an der Universität Odessa, insbesondere aber als Leiter des dortigen Museums der Kaiserlichen Gesellschaft für Geschichte und Altertümer hatte Ernst von Stern Wind von einer Fälscherwerkstatt in Odessa bekommen – und diese sogar aufgesucht. Erste Erkenntnisse publizierte er bereits 1896, zunächst noch in russischer Sprache. Es ist durchaus denkbar, dass seine Rolle in dem Archäologie-Krimi Jahre später ein Pluspunkt für die Berufung an der Universität Halle gewesen ist.

Doch bis zu seinem Umzug in die Saalestadt war der 1859 im Baltikum geborene Altphilologe und Archäologe fast drei Jahrzehnte an der Universität Odessa tätig, wohl auch, um dort den Objekten seiner Forschungen räumlich nahe sein zu können: Von Stern gilt als Mitbegründer der Schwarzmeerforschung und hat in dieser Region viele antike Grabungsstätten lokalisiert und freigelegt, darunter auch zahlreiche Spuren historischer Orte nordwestlich der Halbinsel Krim.

Sein Wechsel aus Odessa nach Halle hatte vor allem persönliche Gründe, denn die am Schwarzen Meer gelegene Hafenstadt gehörte zu jener Zeit zum politisch unruhigen russischen Zarenreich, und so wollte von Stern sich und seine Familie mit dem neuen Wirkungsort wohl auch in Sicherheit wissen. Bereits 1905/06 hatte es zwischen ihm und der Universität Halle Berufungsverhandlungen gegeben, die jedoch scheiterten. Als es nach dem Tod seines Amtsvorgängers 1911 schließlich doch klappte, „begründete von Stern mit seinen Arbeiten in Halle zugleich die große Tradition, die die hiesige Universität bis heute im Bereich der Schwarzmeerforschung besitzt“, so Prof. Dr. Jochen Fornasier, Archäologe an der MLU. „Ein großer Teil des Fachwissens, das wir heute auf diesem Gebiet ganz selbstverständlich nutzen, haben wir ihm zu verdanken“, sagt der Wissenschaftler.

Mehr noch: Durch den Umzug kam von Stern auch in einen völlig anderen Kulturraum. „Deshalb sah er sich hier selbst als Mittler zwischen Ost und West“. Damit, so Fornasier, sei sein Lebensweg eigentlich hochaktuell und spiegele auch die heutige Zeit wider. Nicht zuletzt aus diesem Grund und anlässlich seines 100. Todestags wird von Stern jetzt wieder in öffentliches Licht gerückt: Unter dem Titel „Ein Forscherleben zwischen Ost und West“ beginnt an der MLU am 6. November eine dreitägige internationale Fachtagung, die sich intensiv mit der wissenschaftlichen Bedeutung Ernst von Sterns befassen wird.

Dazu konnte Fornasier namhafte Forschende aus der Ukraine, Deutschland und der Schweiz gewinnen. Gemeinsam wollen sie – Vertreterinnen und Vertreter aus den Altertumswissenschaften, der Kunstgeschichte sowie verschiedener Archive aus Halle, Kiew und Odessa – sich der Person Ernst von Stern nun von zwei Seiten nähern. Ukrainische Forschende werden ihre Arbeiten aus den dortigen Archiven vorstellen, die dann mit den Erkenntnissen aus Halle verglichen und diskutiert werden können. Besonders interessant: von Sterns Schriftverkehr, der in der Nationalbibliothek in Kiew lagert und von einem internationalen Expertenteam nun erstmals gesichtet wurde. Es handelt sich dabei um zahlreiche Briefe aus seinem privaten wie auch beruflichen Umfeld. „Von besonderem Interesse ist die Korrespondenz aus dem Jahr 1910, die den Verlauf der Berufungsverhandlungen beleuchtet und uns nicht nur den Wissenschaftler von Stern, sondern auch den Menschen von Stern mit seinen Wünschen, Hoffnungen und Bedenken vor dem einschneidenden Wechsel nach Halle näher bringt“, so Fornasier.

An der MLU, das zeigen Akten aus dem Universitätsarchiv, überzeugte von Stern damals übrigens nicht nur mit einer ausgezeichneten wissenschaftlichen Expertise, sondern besaß auch eine hohe persönliche Reputation. Belege dafür sind unter anderem seine Aufnahme in den renommierten Halleschen Spirituskreis – eine Gelehrtengesellschaft –, seine Ernennung zum Dekan der Philosophischen Fakultät im Jahr 1920 und schließlich seine Wahl zum 228. Rektor der Universität im Jahr 1921. Ein Jahr später übernahm er außerdem den Vorsitz der Vereinigung der Freunde und Förderer der Universität, dem 1917 gegründeten und damit ältesten deutschen Förderverein einer Universität. Eine zweite Amtszeit zum Rektor, für die von Stern 1923 gewählt wurde, blieb unvollendet. Ernst von Stern ist einer von zwei halleschen Rektoren, die während ihrer Amtszeit verstarben.

In den später publizierten Reden auf einem Trauergottesdienst im Dom zu Halle tritt das Wesen des als eher zurückhaltend bekannten Altertumsforschers hervor. Mehrfach ist von seiner „ausgezeichneten Klarheit des Blickes“ und den „unschätzbaren Diensten“ für die Universität die Rede. Hervorgehoben wird auch seine exzellente Lehre, denn offenbar verstand es von Stern in seinen Lehrveranstaltungen, den richtigen Ton zu treffen und damit die jungen Zuhörer zu fesseln. So habe er „in der studierenden Jugend, die ihm anvertraut war, etwas anderes gesehen als bloße Gefäße, die mit allerhand Wissen und Wissenschaft anzufüllen waren, sondern lebendige junge Menschen“. Einer seiner Studenten wird mit den Worten zitiert, dass der Professor in seinen Vorlesungen über die Inhalte gesprochen habe, „als wenn er sie selbst mitgemacht hätte“.

Umsichtig schien er zudem als Familienmensch gewesen zu sein. Davon zeugen seine im Archiv erhaltenen Bemühungen um die Erhöhung seiner zu erwartenden Pensionsansprüche, bei denen er aufgrund seiner außerhalb des damaligen Deutschen Reichs liegenden Berufstätigkeit in Odessa eine Kürzung befürchtete. Doch von Stern wandte sich ein Jahr vor seinem Tod per Brief an das Kultusministerium mit der Bitte, ihm die in Odessa abgeleisteten Jahre bei seiner Pensionszahlung zu berücksichtigen, damit seine Ehefrau nach seinem Tod finanziell abgesichert bleibt. Offenbar blieben die eindrücklich formulierten Zeilen bei den preußischen Beamten in Berlin nicht ohne Wirkung: Ein ebenfalls erhalten gebliebener Antwortbrief der Finanzverwaltung in von Sterns Personalakte bescheinigt ihm, dass seinem Antrag stattgegeben wurde.

Von seiner zweiten Frau, die ihn bis zum Tod begleitete, sind auch seine letzten Worte überliefert: „Es geht zu Ende, in deine Hände - grüße alle, alle.“

Ein Forscherleben zwischen Ost und West. Der Hallesche Altertumswissenschaftler Ernst von Stern (1859–1924)
Mittwoch, 6. November, bis Freitag, 8. November 2024
Löwengebäude und Robertinum
Universitätsplatz 11 und 12
06108 Halle (Saale)

Das komplette Programm unter: https://veranstaltungen.uni-halle.de/veranstaltungen.html?id=23948

 

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Archäologie

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