Konsequent international: Die Gründungsprofessorin der Japanologie
Eine Sekretärin und ein leeres Büro – das war der Anfang der Japanologie in Halle. Gesine Foljanty-Jost erinnert sich gern an diese Zeit. Nicht nur, weil sie mit der Sekretärin von damals bis heute einen freundschaftlichen Kontakt pflegt. „Es war eine Zeit voller Möglichkeiten“, sagt sie, denn überall galt es in der Nachwende-Ära kreative Ideen umzusetzen, und zwar bei großem Gestaltungsspielraum.
Ausgestattet mit einem Millionenbetrag, den der Mitsubishi-Konzern für eine Japanologie-Professur und den damit verbundenen neu aufzubauenden Studiengang bereitstellte, kam Foljanty-Jost 1992 aus Berlin nach Halle. Drei Jahre später war die hiesige Japanologie bereits ein eigenes Fach, für das sich immer mehr Studierende interessierten. Viele von ihnen kamen ohne Vorkenntnisse. „Es waren die Neugierigen und jene, die Fernweh hatten.“ Sie alle suchten den Kontakt zu der fremden Kultur. Bereits 1996 gab es in Halle die erste Partnerschaft zu einer japanischen Universität und mit ihr natürlich jede Menge Gelegenheiten für echten Austausch.
Dabei half auch, dass die inhaltliche Orientierung des neuen Lehrstuhls ganz bewusst sozialwissenschaftlich ausgerichtet war und in Forschung und Lehre der Schwerpunkt auf der heutigen japanischen Gesellschaft lag. Ein Umstand, der für die Studierenden viele spannende Themen nach sich zog: Gewalt und Jugendkriminalität zählten dazu genauso wie demografischer Wandel und Umweltpolitik. Das Besondere daran: „Japan bietet sich bei vielen Themen für einen Vergleich mit Deutschland an“, sagt Gesine Foljanty-Jost, „denn obwohl beide Länder auf den ersten Blick kulturell sehr verschieden sind, existieren zwischen ihnen doch historische Parallelen, die oft zu einer ähnlichen Entwicklung geführt haben.“
Die gesellschaftliche Relevanz all dieser Themen war es auch, die dazu führte, dass Foljanty-Josts Forschungsprojekte stets viel Beachtung fanden. Sie wurden unter anderem von der Volkswagen-Stiftung, der Japan Society for the Promotion of Science und dem japanischen Außenministerium gefördert. Auch die DFG finanzierte reichlich, so ein auf neun Jahre angelegtes deutsch-japanisches Graduiertenkolleg. „Die eingeworbenen Drittmittel waren Voraussetzung für den Aufbau stabiler Forschungsbeziehungen zu Kollegen in Japan und boten Nachwuchswissenschaftlern und Wissenschaftlerinnen eine wichtige Chance zur Weiterqualifikation“, so Foljanty-Jost, die 2009 auch den 14. deutschsprachigen Japanologentag nach Halle holte. Rezept ihres Erfolgs war stets auch die Bereitschaft zur Vernetzung: „Als Vertreterin eines kleinen Regionalfachs braucht man Kooperationspartner in anderen Disziplinen.“ Aus dieser Einsicht folgten viele hochrangige interdisziplinäre Forschungsprojekte.
Besonders am Herzen lag ihr indes stets die Arbeit mit den Studierenden. Etlichen hat die in Halle erworbene interkulturelle Kompetenz den beruflichen Weg nach Japan geebnet. Andere sind in international agierenden Unternehmen, an Universitäten oder anderen Forschungseinrichtungen untergekommen.
Die Neugier auf das Fremde ist etwas, das Gesine Foljanty-Jost absolut nachvollziehen kann, denn auch bei ihr war es vor allem die Neugier, die sie seinerzeit zum Studium nach Japan geführt hat. „Eigentlich“, so meint sie, „hat mich das Land nicht von vornherein fasziniert. Aber ich wollte nur weit weg und eine ganz fremde Kultur kennenlernen. Und Japan lag damals für mich am Ende der Welt“, erinnert sie sich. In der Tat war das Land seinerzeit gefühlt sehr viel weiter weg als heute. Es gab kein Internet, ein Brief nach Deutschland brauchte drei Wochen. Außerdem: „Ich musste erleben, dass ich nicht dazu gehörte, weil ich eben anders aussah. Die Sprache war eine Herausforderung, aber auch das Essen. Zum Frühstück gab es Reis mit Fisch und Salzgemüse. Da habe ich gelernt, wie es sich anfühlt, Ausländerin zu sein.“ Eine Erfahrung, die Foljanty-Jost als sehr elementar wahrgenommen hat und die sie später auch einbringen konnte, als sie 2010 an der MLU zur Prorektorin für Forschung und wissenschaftlichen Nachwuchs gewählt wurde. Zu ihren Aufgaben in diesem Amt gehörte fortan auch die Internationalisierung. „Der Erfolg einer Universität ist eng mit ihrer Weltoffenheit verbunden.“ Auch deshalb hat sie immer wieder neue Kooperationsmöglichkeiten initiiert und sich für die Pflege von internationalen Partnerschaften eingesetzt.
Für ihr konsequentes Eintreten für die Internationalisierung wurde sie 2016 mit dem Bundesverdienstkreuz am Bande ausgezeichnet. Drei Jahre zuvor war sie von der japanischen Regierung ähnlich hoch dekoriert worden. Für ihre Verdienste um die Förderung der deutsch-japanischen Beziehungen erhielt sie den Orden der Aufgehenden Sonne, eine der höchsten Auszeichnungen, die das Kaiserreich zu vergeben hat. Und die DFG würdigte mit dem Eugen und Ilse Seibold-Preis ihre Leistungen in den deutsch-japanischen Forschungsbeziehungen.
2010 zählte Foljanty-Jost gemeinsam mit der Pharmazeutin Prof. Dr. Birgit Dräger zu den ersten Frauen, die ins Rektorat gewählt wurden. Noch heute liegt ihr die Verbesserung der Situation für Frauen in der Wissenschaft am Herzen. Denn obwohl sie selbst Mutter zweier Kinder ist, weiß sie, dass eine Karriere in der Wissenschaft bei Frauen noch viel zu oft mit dem Verzicht auf Familie und Kinder einhergeht. Überhaupt spielte das Engagement im hochschulpolitischen Bereich in den vergangenen Jahren für sie eine immer größere Rolle. Sie hatte Funktionen in allen führenden japanologischen Fachverbänden inne und ist noch heute Mitglied im Stiftungsrat des Japanisch-Deutschem Zentrums (JDZB) in Berlin. Auch zukünftig möchte sie weiter die Internationalisierung ihrer Universität vor allem im asiatischen Raum unterstützen. Im nächsten Jahr wird sie für einige Zeit als Gastprofessorin an die Shangdong University of Finance and Economics nach China gehen. Fragen nach Zukunftsvisionen für die Universitäten und der Rolle der Geistes- und Sozialwissenschaften für die Internationalisierung stehen auch dort auf der Tagesordnung.
Mit Blick auf ihr Ausscheiden aus der MLU meint Foljanty-Jost: „Ein bisschen Wehmut gehört natürlich auch dazu.“ Und ergänzt: „Dafür hatte ich hier großartige Jahre. Bis zuletzt hatte ich immer ein tolles Team und wünsche mir, dass unser Kontakt auch nach dem Ausscheiden bestehen bleibt.“ Die Chancen dafür stehen gut, denn ihrer Alma Mater und auch der Stadt Halle bleibt die umtriebige Wissenschaftlerin weiterhin erhalten. Sie findet es schade, dass viele geisteswissenschaftliche Kollegen nach der Emeritierung wegziehen. „Ich bleibe hier.“ Damit schließt sich für sie auch ein familiärer Kreis: „Die Saalestadt ist mit meiner Familiengeschichte verwoben. Denn bevor meine Eltern in den Westen flohen, war mein Vater hier ein Jahr als Berufsschullehrer tätig.“